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Aus: Ausgabe vom 20.05.2025, Seite 10 / Feuilleton
Folklore

Europa lernt wieder Deutsch

Sehr hoch und sehr dramatisch: Wie Österreich zu Basel den 69. Eurovision Song Contest gewann
Von Maximilian Schäffer
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Singen kann er: JJ setzt die Segel zum Sieg

Beim diesjährigen CSD – ’tschuldigung, ESC – in der Schweiz ging es gewohnt bunt, national, aber bitte unpolitisch zu. Am Vorabend diskutierten engagierte Vertreter unserer Demokratie im Deutschlandfunk Kultur, ob der »Grand Prix« denn dieses Jahr »queer« genug sei. Ja, einigte man sich, weil Basel schon die ganze Woche zur queersten Stadt Europas geworden sei. Überall Blowjobs und Darkrooms und Gebimmel und Gebammel für die Liebe. Trotz des neuen Bühnenverbots für Regenbogenflagge und Transrosahellblau sei das genug. Ich will keine Politik beim CSD, das ist eine Schwulenparade, und Schwulsein sucht man sich nicht aus, außer man macht es zum Hobby! Genau, der ESC ist ja auch ein Liederwettbewerb, kein Moralwettbewerb und auch kein Gesangswettbewerb. An diese Eigentümlichkeit wurde sich seit der Publikumsabstimmung aber nicht mehr gehalten, die Leute sind einfach zu blöd. Wollen lieber für Nachbarn und gegen irgendwelche Kriege votieren, statt für gute Popsongs von Stefan Raab.

Es gewann also der junge queere Österreicher JJ (Sprich: »Jottjott«), der mir als halbasiatischer Knabe persönlich ganz gut gefällt. Ob der trans ist oder nicht, das ist gut gemacht, das sieht man nicht. Auf jeden Fall, der JJ trällerte als Countertenor wie der Haider Jörgl im Schwanzkäfig: sehr hoch und sehr dramatisch. Einen Song für den Contest konnte man nicht so richtig raushören, aber singen kann er, der Pietsch-Hans aus Wien. Fürs Großdeutsche Reich traten zwei Österreich-Ungar*innen an: Der Abor, der mir auch gut gefällt. Und die Tynna, die dem Stefan Raab gut gefällt. Beide sahen sie aus, wie nach dem CSD noch ins Berghain nicht reingekommen. Ihr Song »Baller« entstammt dem freikirchlichen Liederkreis der gepflegten Bumsmusik. Der Abor durfte, wie sein Vater, der bei den Wiener Philharmonikern fiedelt, mit einem weißleuchtenden Vollplaybackcello rumsitzen, während die Tynna für den Stefan Raab gut aussah. Platz 15.

Überhaupt ist Deutschsein wieder im Trend. Die Boys und Girl aus der Ukraine nannten sich heimattreu »Ziferblat«. Die Letten hatten irgendwas auf deutsch aufgenommen, müssen es jetzt schließlich wieder in der Schule lernen. Die finnische Domina plärrte »Ich komme!«. Toll, wie die sich alle mit uns, dem Deutschen Volk, um so mehr freuen, desto näher sie an »dem Russen« dran sind. Ganz traurig aber schienen unerwartet die knuffigen Litauer, die nicht auf deutsch sangen, sondern einen Emo-Gothic-Song in ihrer depressiven ostbaltischen Kleinsprache. »Tavo Akys« heißt »Deine Augen« und brachte etwas finnische Hoffnungslosigkeit ins Baltikum. Während die Finnin ja eine Schwedin war. Und die Schweden ein paar Finnen, die über Sauna sangen. Wären sie doch alle einfach deutsch, dann wär’ der CSD ein Oktoberfest.

Null Punkte vom Publikum gewann die Reinkarnation der Pudelchen der Jacob Sisters aus dem Vereinigten Königreich. Ebenso null Punkte an die Schweiz, die mit ihren traditionellen Qualitäten keine Armbanduhr mehr im Biomarkt verloren hat. Für Israel hingegen begeisterten sich die mitfühlenden Zuschauer. Dass Yuval Raphael das Massaker beim Supernova-Festival überlebt hatte, musste niemand erst recherchieren. Dafür gabs 297 Haltungspunkte aus dem Iran und nur 60 von der antifaschistischen Jury. Louane aus Frankreich heulte nach ihrer »Maman«, während sie im Durchfallregen stand. Noch beliebter als Nationalklischees sind jetzt übrigens individuelle Geschichten von Fluchterfahrung, Wurzeln und Minderheiten, so wie man sie in der Wochenendbeilage der jungen Welt zu lesen bekommt. Auch Claude aus den Niederlanden schrie nach der »Maman« aus dem Kongo.

Am besten von allen gefiel mir die Michelle Hunziker, die ich noch von »Wetten, dass …?« kenne, wo sie dem Thomas Gottschalk gut gefiel. Da weiß ich, dass das eine Frau ist – die sieht mit 48 immer noch gut geliftet aus und kann immer noch genauso nicht singen wie die meisten CSD-Schwuppen. Dafür ist sie fröhlich und nicht so gespielt traurig wie die Hazel Brugger vom ZDF. Und sie war mit dem Eros Ramazzotti verheiratet, der ein schöner Mann ist.

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