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Aus: Ausgabe vom 20.05.2025, Seite 11 / Feuilleton
Bildende Kunst

Die Sau reinlassen

Das Tier im Gemälde: Michael Sowas Prachtband »Fragile Idyllen – Bilder aus zwei Jahrhunderten«
Von Peter Köhler
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Einsteigen, bitte: »Die neue Straßenbahn« von Michael Sowa

Es ist ja nicht so, dass die Dürers, Tizians oder Michelangelos nichts konnten. Natürlich konnten sie sehr viel – aber eben nicht alles! Lustiges und Komisches malen, das konnten sie nämlich nicht; oder sie hielten mit diesem Talent hinterm Berg und ließen allenfalls privat mal die Sau raus. Und ob Picasso, Dalí oder Max Ernst, deren Sachen man durchaus beschmunzeln kann, ihre Bilder auch so gemeint haben und nicht mit schwerer Bedeutung, ernstem Tiefsinn beladen, belasten wollten, steht sehr dahin.

Michael Sowa aber ist einer, der auf seinen Bildern die Sau rauslässt – oder, noch besser, die Sau reinlässt. Da gibt es die rasende »Autobahnsau«, ebenso ein die Landstraße entlangzockelndes, einen Babywagen ziehendes Mutterschwein; und eines, das auf hoher See einsam auf einem Floß treibt, auch.

Es sammeln sich »Zugschweine« auf einem Telegraphendraht, während es sich »Schweine unter Apfelbäumen am Niederrhein im späten September um 16 Uhr« gutgehen lassen. Und vor allem ist da immer wieder das Schwein, das lustvoll in einen Teich springt, endlich auch das bekannteste: »Das Suppenschwein« im Suppenteller, das den Tisch eingesaut und den Künstler (oder vielleicht die Käufer seiner Bilder) anscheinend so begeistert hat, dass er es in immer neuen Variationen malte.

Es sind aber mitnichten nur Schweine, die Sowas Welten bevölkern. Es gibt randalierende Kühe, es gibt Katzen, Hasen, Hunde, es gibt Haifische, die, das fotorealistische Bild beweist es, die Vorstadt unsicher machen, es gibt Vögel wie den Buntspecht, der, Stichwort »Vorsprung durch Technik«, mit einer Bohrmaschine den Baum aufbohrt; und es gibt sogar Menschen.

Es muss ihn schon deshalb geben, weil das Tier in Sowas Gemälden nicht unbedingt für den Menschen steht und damit jede platte Paralleldeutung wie in der guten, veralteten Fabel abweist. Der Homo sapiens aber muss allemal für sich selbst einstehen, was nicht immer erfreulich, aber hier durchaus ins Komische gedreht ist wie im Fall von Vaters Porträt, das ihn mit einem Teppichklopfer zeigt, oder der zu Tisch sitzenden Festgesellschaft, die den spät kommenden Letzten – ein Stuhl ist frei – sichtbar als Störfaktor, skeptischen Blicks und tuschelnd, unbehaglich unwillkommen heißt.

Unvermeidlich ist es hier, dass der Betrachter nicht nur assoziiert, sondern interpretiert, Botschaften herausliest, eigene Erfahrungen wachruft. Manchmal scheint das recht einfach zu sein: ein Pfau im Vordergrund und im Hintergrund, ein Mann vor einem großen Spiegel – so ungewöhnlich das Setting, die Sache ist klar: Hier darf die männliche Eitelkeit belächelt und benickt werden (und die altmeisterliche Präzision des Gemäldes sollte ebenso bewundert werden).

Oder der Gorilla, der dem Wink eines Mädchens folgt und über den schäumenden Ozean rudert: Die Anspielung ist klar, aber, das ist das Entscheidende, die Umsetzung neu, und die rührt tiefere Schichten an, als einfache Satire, schlichter Humor es vermögen. Sowieso sind bei Sowa naheliegende Interpretationen selten möglich. Eine Frau führt eine riesengroße Motte spazieren – was mag es bedeuten, wenn es denn etwas bedeutet? Was hat es mit dem Schaf auf sich, dessen Rumpf in einem weißen Kasten steckt?

Möglich, dass der sinnbildlich für das Korsett aus Benimmregeln, Normen, Moral steht, aber ebenso unmöglich. Einfach auf den Begriff bringen lässt sich diese zum Verwundern schöne Malerei selten, und mehr Spaß macht es ohnehin, versteckte Details zu entdecken, die den Kunstgenuss noch erhöhen. Adam und Eva zum Beispiel, auch von Dürer und Co. schon gemalt, aber nicht so: Ein Engel, bekleidet mit einem blauen Nachthemd und ausgerüstet mit einem Fotoapparat, beobachtet von einem Gebüsch aus den Sündenfall – schon kurios, aber das ist nur das vordergründige Thema des Bildes »Der Beweis«; der oberlehrerhafte Marabu schräg hinter dem sündigen Paar setzt einen zusätzlichen Akzent, und die eigentliche Pointe ist erst im Hintergrund auszumachen: eine Frau, die ganz banal den Rasen mäht. So lustig kann Religionskritik sein!

Sowas Malerei ist surreal und doch auf spielerische Weise realistisch. Sie ist nicht im überkommenen Sinn politisch und plakativ, aber sie lässt die Augen Ungewöhnliches sehen und regt den Kopf an, zum Staunen, zum Denken und, ausgelöst vom Kontrast zwischen gewöhnlich und ungewohnt, zwischen Ordnung und Verrücktem, zwischen heimelig und unheimlich, zum Lachen oder Lächeln. Man muss nur, anders als der Mann auf dem Bild »Februar« – Pinguine fliegen am Fenster vorbei, die auf dem Fensterbrett sitzende Katze schaut zu, aber der Mann hockt Zeitung lesend am Tisch, ohne Notiz von der Sensation zu nehmen – hingucken.

Michael Sowa feiert in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag. Der zu diesem Anlass erscheinende Prachtband, der exakt so viele Euro kostet, wie der Meister an Jahren zählt, enthält farbige Reproduktionen von gut 300 Gemälden und als Zugabe weitere Arbeitsnachweise eines produktiven Lebens: Sowa hat Bücher von Axel Hacke, Eva Heller und vielen anderen illustriert, für die Reklame gearbeitet (aber Werbung für eine Schweinefleischfirma abgelehnt), an dem Film »Die fabelhafte Welt der Amélie« mitgewirkt und einst – damit fing es Anfang, Mitte der 1980er Jahre richtig an – für die noch sehr linke Berliner Alternative Liste zum Pinsel gegriffen und Wahlplakate gemalt – und wurde von Robert Gernhardt (Stichwort »Titanic«) entdeckt. Sage also keiner, dass politischer Einsatz keine Früchte trägt!

Michael Sowa: Fragile Idyllen. Bilder aus zwei Jahrhunderten. Kunstmann-Verlag, München 2025, 328 Seiten, 80 Euro

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