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Aus: Ausgabe vom 15.05.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Ukraine-Krieg

Lasst alle Hoffnung fahren

Auch wenn es in Istanbul zu Verhandlungen kommen sollte, droht im Ukraine-Krieg ein »Weiter so«
Von Reinhard Lauterbach
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Das Sterben an der Front geht unvermindert weiter: Ukrainische Soldaten bei Pokrowsk, 3. März 2025

Zum Ukraine-Krieg fällt einem langsam nur noch das Motto ein, das Dante über den Höllenteil seiner »Göttlichen Komödie« geschrieben hat: »Die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren.« Russland hat es erkennbar nicht eilig, den Krieg zu beenden. Seine Truppen sind auf dem Vormarsch, jeder Tag bringt sie näher an die Verwaltungsgrenzen derjenigen ukrainischen Regionen, die Russland für sich beansprucht. Putin rühmt sich gleichzeitig, dass sich die Rekrutierung Freiwilliger für die »Militärische Spezialoperation« auf einem neuen Höchststand befinde: aufs Jahr hochgerechnet 60.000 Mann, um die Hälfte mehr, als noch vor einem Jahr angegeben. Mal unterstellt, das stimmt so: Dass dem vermutlich entsprechende Verluste gegenüberstehen, sagt Putin nicht dazu. Die Ukraine dagegen, die angeblich den Frieden so schnell wie möglich will und braucht, leistet sich den Luxus, das Treffen in Istanbul zu einer Show umzufunktionieren, um »der Welt zu zeigen, wer wirklich Frieden will und wer nicht«. Dieser Beweiszweck unterstellt, dass Russland offenbar bei weitem nicht so isoliert ist, wie es die westliche Propaganda gern darstellt. Das aber fällt ebenso unter den Tisch. Unernst und zynisch, was da abgeht.

Zumal sich die Ukraine ohne fortdauernde Hilfe aus dem Westen kaum noch auf den Beinen halten könnte. Zum Glück für die Regierung und zum Unglück für ihre Untertanen kann sie sich auf diese Hilfe allerdings einstweilen verlassen. Der französische Präsident will »die Ukraine unterstützen, ohne den Dritten Weltkrieg zu riskieren«. Er weiß also, was auf dem Spiel steht. Friedrich Merz erklärt unverblümt, er rechne damit, dass der Krieg noch lange dauern könne – und das heißt: aus seiner Sicht auch soll. Denn Europa müsse zeigen, dass es »zusammensteht«. Da hat sich das Schutzgut unter der Hand verändert: Der Machtanspruch der Staaten Westeuropas auch gegenüber den USA steht im Mittelpunkt. Für dieses Ziel dürfen die ansonsten lautstark bedauerten ukrainischen Zivilisten und Soldaten weiter geopfert werden.

Dies um so mehr, als der EU inzwischen offenbar langsam das Sanktionspulver ausgeht. Das jüngste Sanktionspaket – Nummer 17 – umfasst: Reisebeschränkungen für ein paar Dutzend Manager der Rüstungsindustrie und das Verbannen weiterer 60 Schiffe der sogenannten Schattenflotte aus EU-Häfen. Es bleiben aber noch geschätzte 500 unsanktioniert übrig. Wenn Wladimir Putin wirklich so kriegslüstern ist, wie er im Westen dargestellt wird, wird ihn das wohl kaum beeindrucken.

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