Alle reden vom Reden
Von Reinhard Lauterbach
Russland hat die Ukraine aufgefordert, an den 2022 von ihr verlassenen Verhandlungstisch zurückzukehren. Präsident Wladimir Putin sagte in der Nacht zum Sonntag, Russland sei zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen bereit. Nicht Moskau habe 2022 die Friedensgespräche abgebrochen, sondern die Ukraine. Putin schlug als Termin für die neuerlichen Gespräche den kommenden Donnerstag vor und als Ort Istanbul. Dort hatten Vertreter Russlands und der Ukraine 2022 verhandelt. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan erklärte die Bereitschaft seines Landes, Gastgeber solcher Verhandlungen zu sein. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, sagte am Sonntag, zuerst müsse es um die »primären Ursachen« des Konflikts gehen, also im Klartext um die Frage, ob die Ukraine der NATO beitritt; erst danach könne man über einen möglichen Waffenstillstand sprechen.
Auf ukrainischer Seite sagte Staatspräsident Wolodimir Selenskij, die Ukraine sei zu Verhandlungen bereit, wenn Russland zuvor eine bedingungslose Waffenruhe akzeptiere. Es habe keinen Sinn zu verhandeln, wenn gleichzeitig die Waffen sprächen. Ähnlich äußerte sich auch der französische Präsident Emmanuel Macron. Er nannte Putins Angebot unzureichend. Es müsse ab sofort eine Waffenruhe für mindestens 30 Tage geben. Der französische Präsident war am Sonnabend gemeinsam mit Bundeskanzler Friedrich Merz, dem britischen Premier Keir Starmer und dem polnischen Regierungschef Donald Tusk nach Kiew gereist, um der Ukraine die fortdauernde Unterstützung »Europas« zuzusichern. Die vier Politiker drohten Russland mit weiteren Sanktionen, wenn das Land nicht sofort das Feuer einstelle. Angeblich hat auch US-Präsident Donald Trump die Initiative der »Europäer« unterstützt. Eine direkte Bestätigung dafür aus Washington gab es allerdings zunächst nicht. Trump schrieb auf seiner Onlineplattform »Truth Social« nur, es stehe »eine großartige Woche« bevor, und die USA würden weiter daran arbeiten, dass das »sinnlose Blutbad« in der Ukraine ein Ende finde.
Einstweilen sieht es nicht danach aus. Russland und die Ukraine beschuldigten sich gegenseitig, die Waffenruhe der letzten drei Tage in zahlreichen Fällen gebrochen zu haben. Nachprüfbar sind diese Vorwürfe in der Regel nicht. Ukrainische Medien berichteten am Sonntag von einem »maximal erfolglosen« und mit hohen Verlusten erkauften Gegenangriff ukrainischer Truppen in der seit Monaten umkämpften Bergbaustadt Torezk. Die ukrainische Seite habe zahlreiche Panzer und andere Fahrzeuge in einer geschlossenen Kolonne über offenes Gelände herangeführt, so dass die russischen Drohnenführer eine förmliche »Safari« hätten veranstalten können. Das militärnahe Portal »Deep State UA« beschuldigte die Militärführung mangelnder Koordination. Dieser Vorwurf ist zuletzt öfter zu hören gewesen. Berichtet wird auch von ukrainischer Seite immer häufiger, dass das ukrainische Militär seine wenigen Reserven ständig verlegen müsse, um akut entstehende Lücken zu stopfen. Örtliche Kommandeure handelten immer öfter auf eigene Faust und ohne Absprache mit der höheren Führung oder benachbarten Einheiten. Ukrainische Medien spekulierten auch über einen angeblich bevorstehenden Versuch Russlands, sich wieder auf dem rechten Dnipro-Ufer in der Gegend von Cherson festzusetzen. Es seien schon mehrere hundert Boote für die Überquerung des Flusses gesammelt worden.
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