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Aus: Ausgabe vom 14.05.2025, Seite 11 / Feuilleton
Postpunk

Walk away, honey

Hübsch auf den dunklen Punkt: Anikas Postpunk-Album »Abyss«
Von René Hamann
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Klingt vertraut: Anika in der Berliner Kulturbrauerei (2023)

Die Frage, die sich als erstes stellt, ist die: Wo hat man das schon mal gehört? Selbstverständlich steckt »Abyss«, das dritte Album von Anika, der 38jährigen Sängerin aus Surrey mit deutschem Hintergrund und zahlreichen Verbindungen nach Berlin, knietief in den frühen Achtzigern, im Postpunk oder New Wave. Etwas Grunge ist auch erkennbar. In jüngerer Zeit hat sich Ähnliches durch die Modeboutiquen, die Indieklubs und Insta Reels gespielt. An Amyl and the Sniffers oder Dry Cleaning darf man natürlich auch denken.

Wir hören auf »Abyss« wavige Gitarren, einen treibenden Achtelbass, solides Schlagzeug, eine unaufgeregte, eher tiefe Frauenstimme. Für die Texte braucht man kein Abitur. Dass Annika Henderson mal Politikjournalistin war, ist vermutlich nicht mehr als ein Gerücht. Das Interessante an ihrer neuen Platte, an ihrer Musik überhaupt, ist das Pointierte daran. Wie gesagt, man hat das alles schon mal gehört, aber nicht unbedingt besser. Auf »Abyss« ist alles auf den Punkt, ergibt alles Sinn. Es ist das, was der Kulturtheoretiker Mark ­Fisher an Retromusik liebte und hasste: Sie klingt wie damals, aber fehlerlos und sehr viel besser produziert.

Jedes Stück ist ein kleiner Hit, gar nicht einfach, eines hervorzuheben. Aber gut, mir gefallen besonders »Honey« und die Single »Walk Away«, in deren Video sich Anika als putzender Vamp inszeniert, als Lady aus der Gruft, während ein unbekannter Jüngling an den Fassaden des Berliner »Mäusebunkers« herumklettert. Die Lyrics, na ja. U2s »I Will Follow«? Vielleicht sollte Anika bei Gelegenheit »War« oder »Boy« der Iren neu einsingen.

Was das alles bringt? Dass die nächste und übernächste Generation Joy Division und Bauhaus als superdunklen Scheiß neu entdecken. Genau wie die Generation davor. Eigentlich erstaunlich. Wie die frühen Rolling Stones will einfach niemand mehr klingen heutzutage.

Für Dads wie mich, die gern Dadbands hören, also Bands, die gut waren, als wir jung waren, und die es inzwischen wieder oder als Reinkarnationsmodell gibt, steckt in der Musik Anikas eine Menge Angeberpotential. Das Gute am Hier und Heute ist der kleinere Gendergap: Zu ­Anikas Songs tanzen bestimmt genauso viele Mädchen in der ersten Reihe wie Jungs. Das war früher sogar bei U2 undenkbar.

Anika: »Abyss« (Sacred Bones)

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