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Aus: Ausgabe vom 13.05.2025, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Die Fremde im Spiel

Tennislehrer auf Fuerteventura leben gefährlich: Jan-Ole Gersters Psychothriller »Islands«
Von Holger Römers
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Plötzlich schlägt im Leben des Tennislehrers eine Frau mit Kind auf

In seinem Spielfilmdebüt »Oh Boy!« (2012) ließ Jan-Ole Gerster die Hauptfigur einen Tag und eine Nacht durch Berlin streifen, wo der Filmemacher seit langem wohnt. Dort war auch »Lara« (2019) angesiedelt, wobei eine ähnliche Begrenzung von Handlungsort und -zeit dem Kinopublikum erneut bewusstmachte, wie frei und scheinbar ziellos der lockere Plot mäanderte.

Entsprechend stark ist nun der Kon-trast zum dritten Spielfilm des 1978 geborenen deutschen Regisseurs. Abgesehen davon, dass »Islands« in englischer (und spanischer) Sprache auf Fuerteventura gedreht wurde und somit auffallend in die Ferne schweift, verzichtet das von Gerster mit Blaž Kutin und Lawrie Doran verfasste Drehbuch auf eine klare Definition der Handlungszeit. Zwar liegt die Vermutung nahe, dass der zentrale Plot sich über die Dauer einer kürzeren Pauschalreise erstreckt, also über den Verlauf von etwa einer Woche. Jedoch bleibt offen, wie viel Zeit die Impressionen aus dem Alltag des Protagonisten umspannen, die der eigentlichen Handlung voran- beziehungsweise nachgestellt sind.

Zudem erfährt das Publikum nie, ob sich die Wohnhäuser, Geschäfte oder andere Bettenburgen in der Nähe des freistehenden Hotels befinden, in dem der Großteil des Geschehens angesiedelt ist. Zwar führt Kameramann Juan Sarmiento G. gleich in der Anfangssequenz mit einem Schwenk vor Augen, dass das öde Brachland, auf dem der Tennislehrer Tom (Sam Riley) verkatert neben seinem Auto aufwacht, in Sichtweite von dessen Arbeitsplatz liegt. Aber die Montage von Matthew Newman und Antje Zynga suggeriert nie einen geographischen Zusammenhang zwischen diesem Hotel und den anderen Orten, die der Mann gelegentlich auf der Urlaubsinsel ansteuert.

So ist die Ausgangssituation von einer subtilen Abstraktheit geprägt, die auch den Umgang mit den Genremustern bestimmt, die den Plot strukturieren – und wohl den auffälligsten Unterschied zu Gersters vorherigen Filmen markieren. Wie bei so mancher deutschen Dramödie der vergangenen Dekade haben wir es mit einem Protagonisten zu tun, dessen Jugend längst vorüber ist, der aber nie »richtig erwachsen« geworden ist. Hotelgäste bekunden gern ihren Neid auf Sams Leben, das in ihren Augen ewigen Sommerferien gleicht. Doch schon die anfängliche Montagesequenz deutet an, dass der Tennislehrer die Abfolge von routinierten Ballwechseln, Small Talk und anonymem Sex, zu der das ständige Kommen und Gehen der Touristen Gelegenheit bietet, zunehmend als eine Leere empfindet, die er mit Suff zu füllen neigt. Wie in dem einen oder anderen Film mit Til Schweiger oder Matthias Schweighöfer taucht dann plötzlich eine Frau mit einem Kind auf, was dem zwiespältig gezeichneten Kerl unverhofft Anlass bietet, sich mit dem Gedanken an ein solideres Leben mitsamt väterlicher Verantwortung anzufreunden.

Dass Gerster sich diese Figurenkonstellation zu ganz eigenen Zwecken ausborgt, lässt freilich bereits sein Verzicht auf jede Komik ahnen. Statt dessen hält seine Dramaturgie mit beeindruckender Nuanciertheit die Frage offen, ob der Protagonist der Urlauberin Anne (Stacy Martin) womöglich schon in der Vergangenheit begegnet ist. Sams wachsende Neigung, einzelne Aussagen und Aktionen dieser Frau dahingehend zu deuten, erscheint stets subjektiv, da die Erzählperspektive durchgehend an ihn gebunden ist.

Diese Mehrdeutigkeit ergibt zusätzliche Spannung, sobald wir uns nach einer Stunde unvermittelt in einem Film Noir beziehungsweise in einem Psychothriller wiederzufinden scheinen. Als Annes Ehemann Dave (Jack Farthing) verschwindet, veranlasst das jedenfalls nicht ohne Grund einen Kriminalkommissar (Ramiro Blas) zur Anreise vom Festland. Allerdings verdankt dieser Film seinen eigentümlichen Reiz weiterhin der kühlen Abstraktion, die Gerster der sorgfältigen Anwendung entsprechender Genre-regeln zugrunde legt.

Das heißt, dass der Filmemacher seinem Publikum wie seinem Protagonisten zumutet, auf die weibliche Hauptfigur wie auf eine neutrale Projektionsfläche zu blicken. Dass weder Inszenierung noch Montage oder Schauspiel uns Einblick in Annes Absichten gewähren, lässt deren oberflächliche Verwandtschaft zu klassischen Hitchcock-Blondinen um so unergründlicher scheinen. So bleibt Sam auf sich selbst zurückgeworfen, und »Islands« wirkt tatsächlich als Charakterstudie – auch wenn wir, abgesehen von einem halben Dialogsatz über eine Schulterverletzung, keinerlei Informationen über den biographischen Hintergrund dieses Mannes erhalten.

»Islands«, Regie: Jan-Ole Gerster, BRD 2025, 123 Min., bereits angelaufen

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