Vom OP-Tisch direkt nach Hause
Von Oliver Rast
Es ist ein kurzer Weg: vom OP-Tisch im Krankenhaus direkt ins Bett nach Hause. Der Brandenburger Gesundheitsministerin Britta Müller (parteilos, für BSW) zufolge sollten medizinische Behandlungen von Patienten möglichst ambulant, weniger stationär erfolgen. Müller stützt sich dabei auf eine von ihrem Ministerium in Auftrag gegebene »Versorgungsbedarfsanalyse« von Forschungs- und Beratungsunternehmen. Diese Analyse stellte die Ressortchefin am vergangenen Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Landtags Brandenburg in Potsdam vor.
Die Daten zeigten demnach einen deutlichen Rückgang des Bedarfs an vollstationärer Versorgung bis 2030. Mittels einer sogenannten Ambulantisierung fachärztlicher Untersuchungen und medizinischer Eingriffe könne die Zahl klinischer Unterbringungen reduziert werden. Erheblich. Denn das »Ambulantisierungspotential« liege bei 25 bis 29 Prozent der Krankenhausfälle, meint Ministerin Müller.
Bloß, ist das wirklich so? Die Werte seien Ergebnis einer wissenschaftlich-theoretischen Berechnung, betonte Michael Jacob am Freitag gegenüber jW. Der Geschäftsführer der Landeskrankenhausgesellschaft Brandenburg (LKB) hält allerdings »die Zahlen für schlicht utopisch und deutlich überschätzt in dem, was realisiert werden kann«. Und auch die Ministerin könne nicht davon ausgehen, dass ein solches Potential einer Ambulantisierung stationärer Aufenthalte praktisch umsetzbar wäre. Denn zu viele Faktoren sprächen dagegen. Welche? In weiten Teilen Brandenburgs fehlten niedergelassene Ärzte, weiß Jacob. Ferner Fachkräfte für eine häusliche Krankenpflege, aber auch eine erforderliche ÖPNV-Dichte. Und nicht zuletzt brauche es einen »ordnungspolitischen Rahmen, dass ambulante Versorgung auch im Krankenhaus regelhaft stattfinden darf und refinanziert wird«.
Die AOK Nordost hält die Ergebnisse des Gutachtens hingegen »für zutreffend und realistisch«, sagte ein Sprecher am Freitag auf jW-Nachfrage. Die Situation der teils hochdefizitären Kliniken in Brandenburg erzwinge förmlich »eine verzahnte Betrachtung der Versorgung, um die verfügbaren Ressourcen optimal und bedarfsgerecht einzusetzen.« Die Option von Ambulantisierung sei dabei ein Baustein.
Was sagt die parlamentarische Opposition, etwa die CDU? Fest stehe, es könnten deutlich mehr Behandlungen ambulant durchgeführt werden, so der gesundheitspolitische Fraktionssprecher Michael Schierack gleichentags zu jW. Vielleicht seien es sogar mehr als 30 Prozent. »Wichtig ist, dass die finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen stimmen.«
Aber: Ist ambulant statt stationär nicht vor allem eine »Kostenbremse« für Kliniken? Die Transformation des Gesundheitswesens hin zur Ambulantisierung werde zunächst viel Geld kosten, »langfristig jedoch Geld sparen«, erwartet Schierack. Der medizinisch-technische Fortschritt mache mehr ambulante Angebote möglich und entspreche dem Wunsch der Patienten.
Richtig, so Jacob von der LKB, in der Diskussion um die Ambulantisierung spiele der Gedanke mit, dass ambulante Versorgung kostengünstiger sei und somit einen positiven, weil dämpfenden Effekt auf die Beitragsentwicklung der Krankenkassen hätte. Er halte es aber für zu kurz gedacht, »ambulant immer mit billiger gleichzusetzen«. Denn die verbleibenden, reduzierten stationären Fälle würden teurer. Unter dem Strich könnte sich also ein gegenteiliger Effekt einstellen. Wichtiger sei, dass Krankenhäuser von den enormen, ressourcenbindenden Bürokratielasten befreit würden. Damit ließen sich »echte Einspareffekte erreichen, ohne die Versorgung zu gefährden«. Und zur Fürsorge gehört ein Klinikbett nach der OP.
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