Verarmungsprogramm Wohnen
Von Niki Uhlmann
Jeden vierten Euro geben die Deutschen für das Wohnen aus. Auf eine Anfrage des BSW hat das Statistische Bundesamt kürzlich Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat ausgewertet. Demnach haben Haushalte im vergangenen Jahr durchschnittlich 24,5 Prozent ihrer Einkommen für Mieten oder andere Wohnkosten ausgeben müssen. Das sei zwar eine leichte Verbesserung gegenüber 2023, liege aber ganze 5,3 Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt. Gemessen am Einkommen ist Wohnen in der BRD also vergleichsweise teuer.
»Wohnen in Deutschland ist ein Verarmungsprogramm für weite Teile der Bevölkerung«, kommentierte die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht am Sonntag gegenüber AFP. Dass Wohnen arm macht, hatte im vergangenen Dezember auch der Paritätische Wohlfahrtsverband festgestellt und dafür den Begriff »Wohnarmut« geprägt. Berücksichtige man die Wohnkosten, hieß es in der Studie, müsste in der BRD jeder fünfte Mensch als arm gelten. Nun ergab die Anfrage des BSW, dass Arme sogar 43,8 Prozent ihres Einkommens für Wohnen aufwenden müssen – fast jeden zweiten Euro.
In vergleichbaren Ländern wie Frankreich, Österreich oder den Niederlanden liegen die Zahlen laut Auswertung der Eurostat-Daten deutlich niedriger. Das »zeigt, dass es auch anders geht«, hob Wagenknecht hervor und forderte einen bundesweiten Mietendeckel sowie mehr Gemeinnützigkeit am Wohnungsmarkt. Besonders niedrige Wohnkostenanteile fielen demnach in Zypern (11,4 Prozent), Malta (12,5 Prozent), Italien und Slowenien (jeweils 13,6 Prozent) an. Teurer seien nur Dänemark (26,3 Prozent) und vor allem Griechenland (35,5 Prozent).
Ob die neue Regierung die Wohnkosten in den Griff bekommt, bleibt abzuwarten. »Wohnen wollen wir für alle Menschen bezahlbar, verfügbar und umweltverträglich gestalten«, lautet jedenfalls ihr Versprechen. Laut Koalitionsvertrag soll die Mietpreisbremse verlängert, womöglich strikter sanktioniert, sollen Indexmieten »einer erweiterten Regulierung unterworfen« und Vermieter, die günstige Mieten anbieten, steuerlich entlastet werden – alles reichlich vage und natürlich unter Finanzierungsvorbehalt.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (12. Mai 2025 um 09:12 Uhr)Es ist bezeichnend, dass in unserer Gesellschaft ein Überangebot an Konsumgütern wie Fernsehern, Butter, Brot, Autos oder Möbeln existiert – Produkte, die in riesigen Mengen verfügbar sind und oft sogar verramscht werden. Warum aber fehlt es ausgerechnet an existenziellen Gütern wie bezahlbarem Wohnraum oder sicheren, gut bezahlten Arbeitsplätzen? Diese Schieflage legt den Verdacht nahe, dass dies kein bloßer »Fehler des Kapitalismus« ist, sondern ein systemisches Ergebnis – womöglich sogar bewusst gesteuert. Wohnen ist in Deutschland zu einem Verarmungsfaktor geworden. Wenn Arme fast jeden zweiten Euro für Miete ausgeben müssen, ist das kein individuelles Versagen, sondern Ausdruck eines kaputten Systems. Und wenn in anderen Ländern niedrigere Wohnkostenanteile möglich sind, dann ist das kein Naturgesetz, sondern eine Frage des politischen Willens und der Regulierung. Dass ausgerechnet beim Wohnen – einem Grundrecht – auf die »unsichtbare Hand des Marktes« vertraut wird, während gleichzeitig für Konsumüberfluss gesorgt ist, zeigt: Es geht nicht um Bedarf, sondern um Profitmaximierung. Deshalb braucht es einen Kurswechsel: Gemeinnützigkeit statt Renditezwang, staatlich geförderten Wohnungsbau statt Privatisierung – kurz: eine politische Steuerung, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, nicht an den Interessen der profitorientierten Immobilienkonzerne.
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