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Aus: Ausgabe vom 11.09.2024, Seite 5 / Inland
Gewerkschaften und Friedensfrage

Unter Kriegsbedingungen

In Berlin trafen sich Gewerkschafter, die Aufrüstung und Sozialabbau in Zusammenhang bringen
Von Susanne Knütter
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Milliarden für inhumane Renditenausschüttungen der Waffenschmieden? Die üppigen Geldwerte wären in der humanen Sozialpolitik gewiss besser aufgehoben – Antikriegsdemo des DGB am 1. Mai 2022

Brandenburg an der Havel wird auch »Klein-Venedig« genannt. Über 80 Brücken gibt es in der »Stadt im Fluss« – wie man sagt. »Denn Brandenburg liegt praktisch im Wasser«, schwärmt Andreas Kutsche auf der Veranstaltung »Gewerkschafter sagen ›nein zu Krieg und Sozialabbau‹« in Berlin. »Sechs große davon sind baufällig.« Eine wurde bereits abgerissen, wodurch ein ganzer Stadtteil abgeschnitten sei. Dem Uniklinikum Brandenburg, wo Kutsche Betriebsratsvorsitzender ist, droht die Insolvenz. Medienberichten zufolge fehlen dem Krankenhaus Ende des Jahres sieben Millionen Euro in der Kasse. Bei Bildung gehöre das Land zu den Schlusslichtern, nur Bremen schneide im bundesweiten Vergleich noch schlechter ab. Die Tarifbindung liegt gerade mal bei 19 Prozent. Einziger Trost: »Immerhin 47 Prozent der Beschäftigten in Brandenburg arbeiten in den tarifgebundenen Betrieben«, berichtet der Gewerkschafter am Montag abend vor gut 100 Zuhörern. Die Probleme in Brandenburg, das wird in seinem Vortrag deutlich, sind bereits riesig. Aber dringend benötigte Mittel würden anderweitig investiert, zum Beispiel in die Ertüchtigung der Pipelines nach Rostock, »obwohl die Transitstrecken nach Russland noch intakt wären«, sagt Kutsche mit Blick auf die unsichere Zukunft der Raffinerie in Schwedt.

Warum er das alles erzähle? »Weil der soziale Frieden in Gefahr ist.« Das Land solle kriegstüchtig gemacht werden. Und die staatlichen Betriebe verlangten, dass die Tarifforderungen für die kommende Runde im öffentlichen Dienst »moderat ausfallen« sollen. Dazwischen bestehe ein Zusammenhang. Wie der für die BRD insgesamt aussieht, erläuterte Verdi-Sekretär Ralf Krämer. Seit Jahren steigen die Militärausgaben. Meldete die BRD der NATO im letzten Jahr bereits 68 Milliarden Euro, sind es in diesem Jahr schon mehr als 90 Milliarden. Das sind 2,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO wird damit also schon überschritten. »Der Haushalt gibt das nicht her«, so Krämer. Daher das sogenannte Sondervermögen für die Bundeswehr.

Die Bundesregierung möchte das Zwei-Prozent-Ziel der NATO gern dauerhaft erfüllen, so Krämer. »Dann sind wir schnell bei 100 Milliarden.« Und »um das Land kriegstüchtig zu machen, werden mehr als zwei Prozent benötigt werden«. Innerhalb der NATO werde bereits diskutiert, das Rüstungsziel auf 2,5 bis drei Prozent des BIP zu erhöhen. All das sei nicht zu leisten, ohne den Kernhaushalt zu belasten. 2027 werde das »Sondervermögen« aufgebraucht sein, erklärt Krämer. Die Schulden daraus werden ab 2031 zurückgezahlt werden müssen. Davor stehe noch die Tilgung der Coronaschulden (ab 2028) und der Ausgaben aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds an. »All das verringert die Spielräume für sonstige Ausgaben.« Gleichzeitig »soll die Schuldenbremse erhalten werden«. Das nötige Geld, das sei »gar nicht anders denkbar«, hole man sich aus dem größten Haushaltsposten »Arbeit und Soziales«.

Die Rechnung ist leicht, und alle Redner machten Vorschläge, wo diese Milliarden für Waffenaufträge, die unter anderem den Krieg in der Ukraine verlängern und das Massaker Israels an den Palästinensern mit ermöglichen, besser aufgehoben wären: etwa für den Bau von 100.000 dauerhaft sozialgebundenen Wohnungen pro Jahr (Jörn Rieken von der IG BAU) oder für gleichen Lohn für gleiche Arbeit bei den Tochtergesellschaften der Berliner Kliniken Charité und Vivantes (Mario Kunze von der Vivantes-Service-Gesellschaft).

Gewerkschaften hätten hier eine zentrale Aufgabe. Aber sie blendeten Aufrüstung in den haushalts- und finanzpolitischen Diskussionen komplett aus, kritisierten mehrere Redner. Zwar gebe es Beschlusslagen von den Gewerkschaftstagen gegen Hochrüstung und das Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Aber in der praktischen Umsetzung merke man nichts davon. Im Gegenteil, Diskussionen würden abgewürgt, kämen nicht auf die Tagesordnung oder würden negiert, berichtete etwa Kutsche aus eigener Erfahrung im Verdi-Fachbereich C und kritisierte eine zur gleichen Zeit in Potsdam stattfindende Wahlarena des DGB. Der hatte die »Spitzenkandidaten aller demokratischen Parteien« eingeladen, die bei der Landtagswahl am 22. September antreten. Aber das Bündnis Sahra Wagenknecht nicht. »Ich frage mich, wer entscheidet das?«, sagte der Brandenburger, der, wie die meisten der Redner an diesem Abend in Berlin, dem BSW angehört.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christa K. aus Litschau (11. September 2024 um 16:29 Uhr)
    Wie wichtig ist doch die Diskussion über die Milliardenbeträge, die die Aufrüstung in Deutschland verschlingt – und die an vielen wichtigen Punkten (Soziales, Wohnbauetc.) gestrichen werden. Noch klarer wäre die Dimension der Beträge in den jeweiligen Anteilen am Budget, dann sind 90 Mrd. gut 15 % vom Etat – das ist doch eine desaströse Summe. 2,1% vom BIP klingt bewusst »harmlos« dagegen – daher sollten sich die Gewerkschaften um aussagekräftige Argumente bemühen, die für alle Betroffenen eindeutig verständlich sind.
  • Leserbrief von Peter Groß (11. September 2024 um 13:54 Uhr)
    Die Russen tanzen bald auf dem Kurfürstendamm, ist die Botschaft aus Amerika, in Talkshows und bürgerlichen Medien. Letztlich und insgeheim der einzige Grund für die Regierung plus CDU/CSU, die Schuldenbremse zu lockern, bis Zinszahlungen und Schuldenhöhe nicht mehr von künftigen Generationen auszugleichen sind. Dann schlägt entgültig die Stunde der Organisierten Kriminalität. Alle Reste aufzukaufen, die Profit versprechen. Beispielsweise Schrottimmobilien, aus denen sich, wie heute schon, immer Mietzahlungen herauspressen lassen (vgl. Trump). Während besonders Linke und Gewerkschaften dem Trugschluss unterliegen, dass für den Fall, wenn die Schuldenbremse gelockert wird, Verbesserungen für Schulen, Infrastruktur und Soziales finanziert werden, hat die Ampelregierung ganz andere Vorstellungen, nämlich sowohl die EU als auch die deutsche Kriegskasse aufzufüllen. Die Angst, dass Russland über den westeuropäischen Staatenbund herfallen könnte, ist schlicht unbegründet, weil für Putin nicht finanzierbar. Das wird am Beispiel Ukraine täglich sichtbarer. Es ist schon seltsam, dass niemandem auffällt, dass eine Folge des Abzugs des damals sowjetischen Militärs mit der bevorstehenden Pleite der DDR zusammenhängt. Die DDR konnte die Schutzmacht nicht mehr finanzieren und die Sowjetunion auch nicht. Um nicht völlig in die Insolvenz zu rutschen, rief man die Armee aus Kostengründen nach Russland zurück. Einem Frieden mit Russland stünde nichts entgegen, wenn man bei EU und NATO begreift, dass ein Vorrücken in die Ukraine Krieg gegen Russland bedeutet, der durch tägliche Waffenhilfe, ukrainische Angriffe auf das Staatsgebiet Russlands und westliche Militärberater schon heute täglich vorangetrieben wird. Die DDR und Bundesrepublik haben Jahrzehnte auskömmlich nebeneinander existiert. Warum sollte das zwischen Ukraine und Russland nicht ohne Mauerbau möglich sein? Ich bin sicher, man könnte miteinander leben ohne Hass und Hetze. Krieg ist teuer, zu teuer. Also die Waffen nieder.
    • Leserbrief von Peter Balluff aus Vöhl (11. September 2024 um 14:49 Uhr)
      Die Russen tanzen bald auf dem Kurfürstendamm …? Wenn ich das noch erleben dürfte!

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