»Ihre Körper wurden in der Ostsee versenkt«
Interview: Kristian Stemmler
Mit der Verlegung von sogenannten Stolpersteinen in Flensburg wird an diesem Montag an elf Kriegsdienstverweigerer erinnert, die vor 80 Jahren bei Kriegsende ermordet wurden. Wer hat das initiiert und wer waren diese Männer?
Initiator der Verlegung ist die Gruppe Flensburg der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen. Unterstützt hat uns die Ute-Karl-Friedrich-und-Carsten-Hagemann-Stiftung. Die Stadt Flensburg hat die Stolpersteine verlegt. Wir wollen damit erinnern an diese elf Männer, die noch am 5. Mai 1945 hingerichtet worden sind: die Maschinenmaate Heinrich Glasmacher und Bruno Rust, Bootsmaat Reinhold Kolenda, Feuerwerkshauptgefreiter Rolf Peters, Matrose Wilhelm Bretzke und die Matrosenobergefreiten Helmut Nuckelt, Gustav Kölle, Gerhard Prenzler, Gustav Ritz, Anton Roth und Hein Wilkowski.
Was war der Erschießung dieser Männer, einen Tag nach Inkrafttreten der Teilkapitulation für Nordwestdeutschland, vorausgegangen?
Kapitänleutnant Reinhart Ostertag, Kommandeur der 12. Minensuchflottille, hatte einen »Durchhaltebefehl« erteilt, der Krieg gegen Russland sollte fortgesetzt werden. Als am Abend des 4. Mai die Teilkapitulation bekannt geworden war, beschlossen zwangsrekrutierte Soldaten auf dem Minensuchboot M 612 jedoch, die befohlene Fahrt nach Kurland zu verhindern. Am 5. Mai wurde der Plan umgesetzt. Der Kommandant und alle Offiziere wurden festgesetzt, Heinrich Glasmacher übernahm das Kommando. Die M 612 nahm Kurs auf Flensburg, doch Schnellboote stoppten das Schiff im Alsensund und die Matrosen ergaben sich.
Noch am selben Tag trat auf Anordnung des Führers der Minenschiffe, Kapitän zur See Hugo Pahl, an Bord der M 612 ein Standgericht zusammen. 20 Männer wurden wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt und nach weniger als einer Stunde elf von ihnen zum Tode verurteilt. Vor den Augen der gesamten Besatzung begann um 23.35 Uhr auf der von Scheinwerfern beleuchteten Back der M 612 die Ermordung der Männer. Sie wurden ungefesselt und ohne Augenbinde erschossen, ihre Körper mit Gewichten beschwert in der Ostsee versenkt.
Ist irgendeiner der Verantwortlichen nach Kriegsende zur Verantwortung gezogen worden?
Nur gegen Hugo Pahl wurde 1950 ein Verfahren eingeleitet. Dieses wurde aber eingestellt, nachdem Walter Lüdde-Neurath, Adjutant von Großadmiral Karl Dönitz, eidesstattlich erklärt hatte, er halte es für absolut sicher, dass dieser nichts von der Teilkapitulation gewusst habe.
Die »Stolpersteine« liegen vor der heutigen Marinesportschule. Was macht diesen Ort so besonders?
Dort war ab dem 3. Mai 1945 kurzzeitig der letzte Sitz der Reichsregierung unter Karl Dönitz. Er organisierte die Rettung zahlreicher Nazis aus den bereits besetzten Landesteilen. So wurde das nördliche Schleswig-Holstein zum Fluchtpunkt für die Drahtzieher des Faschismus. Wir wollen an diesem Ort gedenken, da die Matrosen von hier aus in den Krieg geschickt wurden und für ihre Verweigerung mit dem Tode bestraft worden sind.
In der DDR wurde die Ermordung der Männer von der M 612 im Fernsehfünfteiler »Rottenknechte« thematisiert. In der BRD war sie offenbar kein Thema.
Es gab die Erzählung »Ein Kriegsende« von Siegfried Lenz, die sich offenbar auf diese Meuterei bezog. Wer dort allerdings nicht vorkommt, ist Kapitänleutnant Ostertag, der den Marinesoldaten den Befehl zur Fortsetzung des Krieges gegen Russland gegeben hatte. Er wurde von der Bundeswehr bis zum Flottillenadmiral befördert und war 1968 bis 1971 Kommandant der Marineschule Mürwik. 1942 erhielt er das »Deutsche Kreuz in Gold« und 1971 das Bundesverdienstkreuz.
Die Verlegung der »Stolpersteine« findet in einer Zeit statt, in der Deutschland wieder »kriegstüchtig« werden soll. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Geschehen von damals und heute?
Ja, auch heute wird gegen Russland gerüstet und Kriegsschiffe der Bundesmarine fahren immer wieder in die östliche Ostsee. Aber heute, darauf muss man hinweisen, haben Reservisten und Soldaten jederzeit das Recht, den Kriegsdienst zu verweigern.
Siglinde Cüppers ist aktiv bei der DFG–VK Flensburg (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen)
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Hugo Braun aus Düsseldorf (12. Mai 2025 um 15:34 Uhr)Liebe Redaktion, die jW sollte nicht so unbescheiden sein. Der Skandal über die ermordeten Matrosen der M612 wurde vor ziemlich genau 60 Jahren von der Jungen Welt enthüllt. Auf der Grundlage dieser enthüllenden Serie entstand die Fersehserie »Rottenknechte« von Frank Beyer. Das hättet ihr durchaus erwähnen sollen. Als Autor und einer der Rechercheure dieses Skandals habe ich mich über dieses Interview über die Stolpersteine gefreut. Aber auch die Rheinische Post in Düsseldorf, wo ich heute lebe, hat das Thema zum 80. Jahrestag der Befreiung noch einmal aufgegriffen. Mit freundlichen Grüßen Hugo Braun https://rp-online.de/panorama/deutschland/80-jahre-kriegsende-matrosenaufstand-unter-heinrich-glasmacher_aid-126745161
- Antworten
-
Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (12. Mai 2025 um 09:23 Uhr)»Aber heute, (…), haben Reservisten und Soldaten jederzeit das Recht, den Kriegsdienst zu verweigern.« - Noch, aber noch ist ja auch noch nicht Krieg!
- Antworten
Ähnliche:
- Stefan Sauer/dpa22.03.2025
Ölpiraterie in der Ostsee
- Rune Stoltz Bertinussen/NTB Scanpix/AP/dpa17.02.2025
Seelenverkäufer unterwegs
- Jussi Nukari/Lehtikuva/dpa03.02.2025
Mare Nostrum
Mehr aus: Inland
-
Verarmungsprogramm Wohnen
vom 12.05.2025 -
Viel in Bewegung
vom 12.05.2025 -
Heimliche Waffenlieferungen
vom 12.05.2025 -
Hickhack um Altersvorsorge
vom 12.05.2025 -
Vom OP-Tisch direkt nach Hause
vom 12.05.2025