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Aus: Ausgabe vom 03.05.2025, Seite 11 / Feuilleton
Geschichte

Es braucht ein Jubiläum

Noch immer ein Rätsel für Historiker: Der deutsche Bauernkrieg von 1525. Drei neue Bücher zum Thema
Von André Weikard
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Die Belagerung von Neckarsulm 1525 (digital restaurierte Reproduktion einer undatierten Originalvorlage)

Für den Historiker Leopold Ranke war es »das größte Naturereignis des deutschen Staates«, für Friedrich Engels gar »die erste große Revolution, die auf Erden stattfand«. Und doch ist der sogenannte Bauernkrieg von 1525, der in der DDR mit Hunderten Thomas-Müntzer-Straßen und -Plätzen sowie dem Porträt des Theologen auf dem Fünf-Mark-Schein gewürdigt wurde, in der Erinnerungskultur verblasst. Gründe dafür gibt es viele. Beiden christlichen Konfessionen ist der antiklerikale Aufstand mit seinen zahlreichen Bilder- und Klosterstürmereien bis heute suspekt. Auch die BRD erinnert lieber an die bürgerlich-akademische Paulskirchenrevolution von 1848 als an die, wenn man so will, basisdemokratische Erhebung gut dreihundert Jahre zuvor. Es braucht also ein Jubiläum, um den Bauernkrieg wieder ins Gedächtnis zu rufen. Die Verlag S. Fischer, C. H. Beck und Propyläen haben den Anlass genutzt und jeweils einen dicken Wälzer vorgelegt. Mit 336 Seiten ist Christian Pantles »Der Bauernkrieg« bei Propyläen dem Umfang nach noch der bescheidenste Versuch, des Themas Herr zu werden. Gerd Schwerhoffs »Der Bauernkrieg« (C. H. Beck)benötigt dafür 720 Seiten, Lyndal Ropers »Für die Freiheit« (S. Fischer) immerhin 676.

Verständlich, schließlich reiben sich Historiker bis heute verwundert die Augen, wenn sie auf das Bauernkriegsereignis zurückblicken und sich auch nach 500 Jahren noch die Frage stellen: Was war das eigentlich? Für die Oxford-Professorin Roper zielte der Aufstand der von Leibeigenschaft, Frondiensten und den Willkürsteuern der Fürsten am meisten unterdrückten Bauern und einfachen Bürger auf nicht weniger als »eine neue Reichsordnung«. Die Rebellen hätten von einem »Land ohne monastische Herrscher, ohne Fürstbischöfe« geträumt. Sie zitiert zum Beleg aus Flugschriften der Bauern, in denen es heißt, die Vögel sollten »das Fleisch der Fürsten fressen« und ihr Blut saufen. In den Gepflogenheiten der Bauern, sich zu duzen und jeden im Tross zu zwingen, »von seinem hohen Ross« zu steigen, also zu Fuß zu gehen, sieht sie den Vorsatz, eine egalitäre Gesellschaft ohne Herren zu schaffen.

Dem steht die Darstellung Gerd Schwerhoffs gegenüber. Der Historiker von der TU Dresden hat das akademischste der drei Bücher vorgelegt. Allein der Anhang mit Quellenverzeichnis und Fußnoten umfasst rund 120 Seiten. Schwerhoffs Fleißarbeit kommt zum gegenteiligen Schluss, die Bauern hätten die bestehende Ordnung »nicht fundamental in Frage gestellt«. In der Traditionslinie westdeutscher Historiker sieht er im Bauernkrieg letztlich einen Ausläufer der Reformation. Das sei schon daran zu erkennen, dass die Aufstände ihren regionalen Schwerpunkt im Südwesten des Reiches, in Franken und in Thüringen gehabt hätten, während der Norden, in den die Reformation noch nicht vorgedrungen gewesen sei, nicht beteiligt war. Für ihn ist der Bauernkrieg mehr ein Ausläufer der Theologie Martin Luthers, er habe kein »transformatives Potential« gehabt und sei demnach auch gar keine »wirkliche Revolution«. Bestenfalls einen »antiklerikalen Furor« kann Schwerhoff erkennen. Die Herrschaft eines weltlichen Fürsten sei dagegen »kaum je in Frage gestellt worden.« Der Untertitel seines Buches lautet dennoch »Geschichte einer wilden Handlung«.

Christian Pantle, Journalist und Autor historischer Sachbuchbestseller, wiederum enthält sich solcher umfassender Interpretationen. Seine anekdotenreiche Schilderung führt den Leser zuerst in die frühe Neuzeit ein, räumt mit Vorurteilen auf, etwa, dass die Menschen damals nicht lesen konnten oder noch geglaubt hätten, die Welt sei eine Scheibe. Er erklärt, dass die Bauern, wiederholt zur Landesverteidigung herangezogen wurden und daher sehr wohl militärisch geübt und mit Hakenbüchsen und Brustschilden bewaffnet waren, statt mit Dreschflegeln und Mistgabeln, wie populäre Darstellungen oft glauben machen. Pantle gibt auch eine Orientierung, wie viele Menschen tatsächlich an den Aufständen beteiligt waren: Hunderttausende müssen es gewesen sein, immerhin zwei Drittel der männlichen Bevölkerung der betroffenen Regionen, schätzt man. Zudem komprimiert er die unübersichtlichen Erzählungen von den Ereignissen auf ein überschaubares Maß ein und porträtiert die wesentlichen Figuren, den »Bauernjörg« (Georg III. Truchsess von Waldburg-Zeil) auf seiten der Fürsten etwa oder Thomas Müntzer auf der anderen.

Lyndal Roper übergeht die eigentlichen Kriegsgeschehnisse größtenteils. Von der Expertin für Sozialgeschichte erfahren wir dafür vieles über den bäuerlichen Alltag. Über Fruchtfolgen, wie das Korn gelagert wurde oder wann die Aussaat stattfand. Ihre Darstellung gliedert sich nach den Jahreszeiten und beschreibt etwa ein rotierendes System, in dem die Bauern sich gegenseitig bei den aufständischen Haufen auslösen, um parallel die Feldarbeit bewältigen zu können. Kurzum, bei ihr erscheinen die Bauern als Nebenerwerbsrevoluzzer.

Schwerhoff widerspricht auch dieser Darstellung. Schon dass der Aufstand seinen Höhepunkt im April und Mai 1525 gehabt haben soll, wo die Bauern doch ganz besonders auf dem Acker gebraucht worden seien, stehe im Gegensatz zur These von einer »Synchronisierung von Rebellion und bäuerlicher Arbeitsbelastung«. Schwerhoff, der trotz des Umstands, dass die Bauern zeitweise selbst Städte wie Freiburg, Stuttgart, Mainz, Heilbronn oder Würzburg einnahmen, Hunderte Burgen schliffen und Klöster plünderten, in Zweifel zieht, ihre Bewegung hätte je die »machtpolitischen Mittel« gehabt, die Ordnung im Reich nachhaltig zu verändern, spielt auch die Wichtigkeit einzelner Protagonisten des Bauernkriegs herunter. Thomas Müntzer, so sein Urteil, werde man eine »tragende Rolle kaum zubilligen können«. Der Prediger sei beispielsweise erst dann in das oberrheinische Aufstandsgebiet gereist, als die Revolte dort längst im Gange war.

Schwer nachvollziehbar sind auch die Charakterisierungen anderer Köpfe des Bauernkriegs. So galt der Markgraf Kasimir von Brandenburg-Kulmbach, dem Schwerhoff eine »gewisse Grausamkeit« attestiert, schon den Zeitgenossen als »Bluthund«, der nach Kriegsende durch Franken reiste und in jeder Stadt vermeintliche Beteiligte am Aufstand in großer Zahl auf offenem Platz köpfen, die Finger abhacken oder die Augen ausstechen ließ. Georg Truchsess von Waldburg, unerbittlicher Heerführer der Fürsten, der Tausende Bauern niedermetzeln ließ, nennt er gar einen »glänzenden Politiker«.

Wer sich näher mit dem Thema befasst, wird irgendwann auch auf Peter Blickles Klassiker »Bauernkrieg. Die Revolution des gemeinen Mannes« stoßen, 2024 neu aufgelegt in der Reihe C. H. Beck – Wissen. Als ich mir in der Stadtbücherei Düsseldorf eine ältere Fassung des Buches auslieh, fiel mir ein Leihzettel mit Rückgabedatum 1998 in die Hände. Hatte wirklich seit 27 Jahren niemand mehr das Büchlein in Händen gehalten?

Christian Pantle: Der Bauernkrieg. Deutschlands großer Volksaufstand. Propyläen, Berlin 2024, 336 Seiten, 22 Euro

Lyndal Roper: Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525. S. Fischer, Frankfurt am Main 2024, 676 Seiten, 36 Euro

Gerd Schwerhoff: Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung. C. H. Beck, München 2024, 720 Euro, 34 Euro

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