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Aus: Ausgabe vom 25.05.2024, Seite 2 / Ausland
Kurdistan

»Wir befürchten, dass Piroğlu sterben könnte«

Serbien: Kurdischer politischer Gefangener seit mehr als 100 Tagen im Hungerstreik. Ein Gespräch mit Cevat Dökmeci
Interview: Gitta Düperthal
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Auch nach zehn Jahren bleiben die Proteste sowie die staatliche Gewalt dagegen unvergessen: Demonstration in Istanbul (31.3.2023)

Der kurdische Aktivist Ecevit Piroğlu wurde 2021 am Belgrader Flughafen aufgrund einer »Red Notice« von Interpol festgenommen. Nun sitzt er im serbischen Gefängnis. Weil ihm von dort aus die Auslieferung in die Türkei droht, ist er seit 103 Tagen im Hungerstreik. Was wird ihm vorgeworfen?

Die türkische Regierung aus AKP und MHP lässt nahezu alle politischen Gegner und Oppositionellen mit Terrorismusvorwürfen verfolgen. So auch Ecevit Piroğlu. In seinem Fall geht es um die Beteiligung an den Gezi-Protesten 2013 und um die Unterstützung für Rojava. Seit seiner Jugendzeit war er als Kurde und Alevit, vor allem aber als Sozialist in der Türkei aktiv. Er wirkte als Vorstandsmitglied des international bekannten Menschenrechtsvereins İnsan Hakları Derneği, IHD, und als Geschäftsführer der Sozialistischen Demokratie-Partei SDP. Nachdem der Gezi-Aufstand 2013 niedergeschlagen wurde, ging er nach Nordsyrien und schloss sich dort den Kämpfen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG gegen die Terrormiliz Islamischer Staat an.

Es ist bereits sein zweiter Hungerstreik in Serbien. Weshalb ist die Türkei so hartnäckig an seiner Auslieferung interessiert?

Wer politisch gute Arbeit im Widerstand gegen das undemokratische System in der Türkei leistet, gegen den geht der türkische Staat in faschistischer Manier vor. Die »Red Notice« nutzt er als Keule, mit der er die Aktivisten verfolgen lässt. Die Türkei missbraucht das Interpol-System systematisch als Instrument zur Bestrafung ihrer politischen Gegner im Ausland. Ankara führt Piroğlu in seiner »Roten Liste« der meistgesuchten angeblichen »Terroristen«.

Wieso kam er nach Serbien?

In der Türkei wurde er aufgrund seiner politischen Arbeit mehrfach inhaftiert. 2021 beantragte er politisches Asyl in Serbien, nachdem er im Zusammenhang mit dem Gezi-Aufstand von 2013 des Terrorismus beschuldigt worden war.

Hatten Sie Kontakt zu Ecevit Piroğlu?

Ich selber war ebenso im Widerstand in der Türkei, trat wie er in der Haft dort in den Hungerstreik, bevor ich als politischer Geflüchteter nach Deutschland kam. Als ich davon hörte, dass er in Serbien im Gefängnis sitzt, reiste ich zur Prozessbeobachtung nach Belgrad und konnte ihm dort zumindest die Hand schütteln. Wir solidarisierten uns dort mit den serbischen Sozialisten und demonstrierten vor dem Gericht.

Wie ist die Reaktion der serbischen Öffentlichkeit?

Die renommierte serbische Rechtswissenschaftlerin an der Universität in Belgrad Vesna Rakić Vodinelić kritisierte das Vorgehen der serbischen Behörden als rechtswidrig: Obgleich die Rechtslage eindeutig und er von serbischen Gerichten freigesprochen worden sei, werde Ecevit Piroğlu dennoch im Gefängnis festgehalten und seiner Freiheit beraubt.

Wie geht es ihm nach mehr als 100 Tagen Hungerstreik?

Vor wenigen Tagen, am 99. Tag seines Streiks, haben wir eine Sprachnachricht von ihm erhalten. Seine Stimme klang sehr geschwächt. Er wirkt aber entschlossen, bis zu seiner Freilassung weiterzukämpfen. Gesundheitlich ist er nach 103 Tagen des Hungerstreiks stark gefährdet. Wir befürchten, dass er sterben könnte. Wir werden gemeinsam mit dem Bündnis der Europäischen Demokratischen Kräfte, kurz ADGB (türk. Avrupa Demokratik Güç Birliği, jW), den Internationalisten Ecevit Piroğlu in seinem Kampf nicht alleinlassen. Auch linke Parlamentarier in der Schweiz und im Europäischen Parlament, wie zum Beispiel Andrej Hunko vom BSW, unterstützen ihn.

Und was könnte Ecevit Piroğlu zur Freilassung verhelfen?

Nach allen juristischen Entscheidungen müsste er längst freigelassen sein, seine Gefangennahme ist rein politisch motiviert. Ein anderer Staat in der EU oder die Schweiz müsste seinen Asylantrag anerkennen. Zu befürchten ist, dass der türkische Geheimdienst auch auf deutsche Behörden einwirkt, damit er in der BRD kein Asyl erhält. Deshalb machen wir auch Druck auf die deutsche Bundesregierung.

Cevat Dökmeci ist aktiv in der Initiative »Freiheit für Ecevit Piroğlu« in Nordrhein-Westfalen

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