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Aus: Ausgabe vom 08.05.2024, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Militärseelsorge

Von Christian Stappenbeck
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Mit Gottes Segen den Degen pflegen. Evangelischer Militärpfarrer feiert mit Rekruten einen Feldgottesdienst

Sie ist ein Relikt aus vorbürgerlichen Zeiten. Seit der Aufklärung, seit der Französischen Revolution 1789 mit Trennung von Staat und Kirche könnte die Militärseelsorge als überholt gelten. Dem ist trotz einschlägiger Verfassungsbestimmungen nicht so. In Dutzenden von Ländern haben staatlich besoldete Militärpfarrer in Kasernen ihr Büro, bekleiden Offiziersrang, tragen bei Einsätzen militärische Kleidung, begleiten und beruhigen »ihre« Soldaten. Von den Armeen sozialistischer Länder allerdings ist bekannt, dass sie von jeher auf beamtete Seelsorger verzichteten.

Die Sache ist älter als gedacht. Religiöse Kulthandlungen vor und nach Kriegen waren schon bei antiken Griechen und römischen Legionen üblich. Unter dem heidnisch-christlichen Wendekaiser Konstantin (306–337) wurden die Waffen und Feldzeichen erstmals mit dem Kreuzsymbol versehen. »In diesem Zeichen wirst du siegen«, versprach man dem Kaiser. Von da an wurde es üblich, die Kirche einzuspannen, augenfällig bei den »Kreuzzügen« ins Morgenland. Mittelalterliche Kriegsherren beschäftigten besoldete Priester jeweils nur für die Dauer eines Feldzuges. Erst im 17. Jahrhundert, mit der Bildung stehender Heere, wurde die Feldseelsorge in Europa zu einer ständigen Einrichtung. Es war der Kurfürst von Brandenburg-Preußen, der dafür ab 1660 beamtete Prediger berief. Seit 1719 gab es einen preußischen Feldpropst, dem sämtliche Militärpfarrer unterstanden. Ihnen wurde neben der Seelsorge und den Sakramenten ganz unbefangen eine patriotisch-staatliche Aufgabe übertragen.

Nicht nur der deutsche, auch der französische Kriegsprediger, der Aumônier militaire, der englische Chaplain, der russische Kapellan oder Swjastschennik reklamierten Gott jeweils für ihre Seite und wirkten 1914 bis 1918 beim großen Völkermorden mit. Nun heißt es zwar laut einem Handwörterbuch von 1960, es sei nicht mehr Ziel der Soldatenseelsorge, »die Kampfkraft zu stärken oder patriotische Gefühle zu wecken«. Dies ist aber als Irrlicht zu werten; genau dafür finanziert der Staat der BRD nämlich die Militärkirche.

Militärkirche bedeutet eigene, pa­rallele Gemeindestrukturen neben den örtlichen Kirchengemeinden. Deren Leitungsgremien, das »Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr« wie sein katholisches Gegenstück sind Bundesoberbehörden beim Kriegsministerium – direkt weisungsgebunden. Rechtliche Grundlage ist katholischerseits seit langem das Hitler-Pacelli-Konkordat von 1933. Die evangelische Militärseelsorge basiert dagegen auf dem Staatsvertrag mit der BRD von 1957, der nach längeren Geheimverhandlungen gegen starken innerkirchlichen Widerstand durchgedrückt wurde. Was von Anfang an kaum eine Rolle spielte, waren verfassungsrechtliche Bedenken. Denn das Grundgesetz fordert, wortgleich mit der Weimarer Verfassung, lediglich die Zulassung der Seelsorge an Soldaten, nicht aber die staatliche Finanzierung einer quasi Militärgemeinde. Wörtlich: Die Religionsgesellschaften sind »zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist«.

Apropos Widerstand: Auch der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann stimmte daggen, wollte nicht einsehen, dass es Pfarrer im Staatsdienst geben müsse. Zu den aktiven Gegnern gehören heute die Deutsche Friedensgesellschaft und die Ökumenische Initiative zur Abschaffung der Militärseelsorge. Spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Angriff der Bundeswehr auf Jugoslawien 1999 war die Vertragskündigung geboten. Das unterblieb. Statt dessen änderte sich etwas: Der protestantische Militärbischof wird seit zehn Jahren hauptamtlich berufen, nicht mehr im Nebenamt. Ein starkes Signal. Der gegenwärtige Generaldekan als Leiter des Evangelischen Kirchenamtes hat seinen Bereich jüngst als »Truppenkameradschaft« deklariert; man sei nun offiziell »Kamerad der Soldaten«.

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