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Aus: Ausgabe vom 19.04.2024, Seite 8 / Inland
Repressionen gegen Demonstrierende

»Das Gericht übernahm meist die Perspektive der Polizei«

NRW: Bündnis erzielt Teilerfolg gegen unverhältnismäßigen Polizeikessel vom Juni 2021. Ein Gespräch mit Marcus Lamprecht
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Polizisten kesseln einen Teil der Demonstranten ein, die in Düsseldorf gegen das geplante Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen protestieren (26.6.2021)

Sie haben mit weiteren Mitstreiterinnen und Mitstreitern gegen einen Polizeieinsatz während einer Demonstration gegen das damals noch nicht in Kraft getretene Versammlungsgesetz NRW am 26. Juni 2021 geklagt. Was war der Anlass für die Klage?

Das Bündnis »Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten!« hat sich an der Klage beteiligt, weil die Polizei bei der Demonstration 338 Personen, darunter 38 Minderjährige, mehrere Stunden lang eingekesselt hatte. Damit wurde verhindert, dass unsere Demonstration bis zum Landtag ziehen konnte. Mit der Klage wollen wir der Kriminalisierung unserer Proteste entgegentreten und ähnliche Polizeimaßnahmen für die Zukunft verhindern.

Wie hat die Einsatzleitung ihr Vorgehen begründet?

Während der Versammlung wurden einige Rauchtöpfe gezündet und Transparente auf Sichthöhe gehalten, was die Polizei zunächst als Vermummung, später als Zeichen für die Vorbereitung und Begehung von Straftaten gewertet hat. Zudem kam es an einigen Stellen zu Rangeleien, nachdem Teile der Demo von der Polizei massiv bedrängt wurden. Die Einsatzleitung entschied daraufhin, pauschal gegen alle Menschen, die sich in einem Versammlungsblock aufgehalten haben, vorzugehen – unabhängig davon, wie die Personen sich davor verhalten hatten. Ich hatte zum Beispiel friedlich mit vielen anderen im Antifablock demonstriert, dennoch wurde ich durch die Polizei aus der Versammlung ausgeschlossen, eingekesselt und erkennungsdienstlich behandelt. Mir ist strafrechtlich nichts vorzuwerfen, ich habe lediglich meine Ablehnung des neuen Versammlungsgesetzes zum Ausdruck gebracht.

Sie sprechen von einem Teilerfolg vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf, den Sie am 10. April erreicht haben. Worin besteht er?

Der Teilerfolg vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf bestand in der Klarstellung, dass die Pressearbeit unserer Sprecherin Gizem Koçkaya kein Grund zum Einkesseln war. Unsere Sprecherin hatte den von der Polizei bedrängten Versammlungsblock begleitet und wurde deshalb ebenfalls eingekesselt. Das Gericht hat festgestellt, dass das rechtswidrig war.

Warum schätzen Sie das Urteil andererseits als »bittere Niederlage« ein?

Wir halten das Urteil für eine bittere Niederlage, weil das Gericht überwiegend die Perspektive der Polizei auf das Versammlungsgeschehen am 26.6.2021 übernommen hat. Vor der Einkesselung war – auch auf den Videos der Polizei – klar zu erkennen, dass der Demonstrationszug sich entspannt bewegte. Dennoch hat das Gericht die Erzählung der Polizei von einem dramatischen Eskalationsgeschehen geglaubt und unsere Klage gegen den Polizeikessel abgewiesen, mit Ausnahme der Einkesselung unserer Bündnissprecherin. Ein differenzierter Blick auf den Polizeieinsatz sieht anders aus. Die Entscheidung zugunsten unserer Sprecherin Gizem Koçkaya deutet eine Betrachtung auf Ebene der einzelnen Demoteilnehmerinnen und Teilnehmer an, die das Urteil ansonsten vermissen lässt. Würden alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einzeln betrachtet, so ließe sich leicht feststellen, dass keine Eskalation durch sie im Antifablock erfolgte.

Wie wird das Bündnis mit Blick auf das Urteil und das Anfang 2022 in Kraft getretene Versammlungsgesetz NRW nun weiter vorgehen?

Das Bündnis wird, soweit unsere Klage abgewiesen wurde, Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen. Außerdem läuft aktuell eine gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte eingelegte Landesverfassungsbeschwerde gegen bestimmte Vorschriften des Versammlungsgesetzes beim Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus werden wir weiterhin ungehorsam protestieren und auf ähnliche Vorhaben in anderen Bundesländern wie aktuell in Sachsen aufmerksam machen.

Marcus Lamprecht ist einer der Kläger gegen unverhältnismäßigen Polizeieinsatz am 26. Juni 2021 in Düsseldorf und aktiv im Bündnis »­Versammlungsgesetz NRW stoppen – ­Grundrechte erhalten!«

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