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Aus: Ausgabe vom 19.04.2024, Seite 5 / Inland
Krankenhausreform

Kliniksterben gewollt

Krankenhausreform: Verbände warnen vor »kalter Strukturbereinigung« bei ausbleibenden Hilfen
Von Ralf Wurzbacher
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»Krankenhausfinanzierung jetzt sicherstellen!«: 22 Bürgermeister aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen mit Landrat Speer bei einem Protest auf dem Dach des Klinikums Garmisch-Partenkirchen (14.2.2024)

Karl Lauterbach (SPD) will sie durchboxen – seine »große Krankenhausreform«. Dabei schreckt er nicht einmal davor zurück, als Verfassungsbrecher baden zu gehen. Bayern droht damit, Klage in Karlsruhe einzureichen, sollte sich der Bundesgesundheitsminister über die Interessen der Bundesländer hinwegsetzen wollen. Gemeinsam mit Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg hat der Freistaat ein Gutachten anfertigen lassen, das dem Gescholtenen am Mittwoch zuging. Darin befindet der Rechtswissenschaftler Ferdinand Wollenschläger von der Universität Augsburg im Kern zweierlei: Erstens greife das Vorhaben über Gebühr in die Planungshoheit der Länder ein, weshalb es zweitens nicht ohne Zustimmung des Bundesrats in Kraft zu setzen wäre. In der bestehenden Form berge das Projekt das Risiko, gegen das Grundgesetz zu verstoßen, so sein Urteil.

Im Anschluss an Gespräche mit seinen Länderkollegen am Mittwoch in Berlin signalisierte der Minister in gewissen Punkten Entgegenkommen. Konkret nannte er Forderungen nach mehr Entbürokratisierung sowie weitergehende Möglichkeiten, Patienten künftig einfacher ambulant zu behandeln. Die Hauptstoßrichtung seiner Gesetzesvorlage sei dagegen »nicht verhandelbar«, und frei heraus setzte er hinzu: »Es wird zu Klinikschließungen kommen, das ist auch gewollt.« Das wollen auch die Länder, aber nicht ganz so radikal und nicht so chaotisch, wie das Kliniksterben gegenwärtig vonstatten geht. Wegen der Nachwehen von Corona und der historisch hohen Energiepreise stecken über zwei Drittel der bundesweit rund 1.900 Vollversorger in finanziellen Nöten und bei etlichen könnte das Licht ausgehen, ehe Lauterbachs Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) in Kraft getreten sein wird.

So lange dürfe man nicht warten, hatte am Dienstag der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gewarnt. Nötig seien Soforthilfen aus Steuermitteln, um die »kalte Strukturbereinigung« zu verhindern, erklärte Bundesvorstandsmitglied Anja Piel. »Krankenhäuser dürfen nicht ohne Flankenschutz einfach in die Insolvenz gehen – besonders nicht in Regionen, wo es keine Versorgungsalternativen für Erkrankte gibt.« Einen weiteren »Rekord« an Pleiten, Schließungen von Abteilungen und Standorten prophezeite am Mittwoch auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Lauterbachs »Totschlagargument, es ginge ihm um die Qualität«, diene allein dazu, die »Öffentlichkeit zu täuschen«, äußerte sich Verbandschef Gerald Gaß. »Tatsächlich will er die Länder komplett entmachten und die Versorgungsstrukturen in ganz Deutschland in seine Berliner Schablone pressen.« Fraglich bloß, ob die DKG wirklich nur das Patientenwohl im Sinn hat. Wie die Länder begrüßt auch sie die Grundlinien der Reform, also »weniger Krankenhausstandorte, Umwandlungen in regionale Gesundheitszentren, Standortfusionen, die stärkere Konzentration besonders komplexer Behandlungen in Zentren und mehr ambulante Versorgung«, wie Gaß präzisierte. Der Kahlschlag soll aber geordnet über die Bühne gehen und nicht so, dass über Nacht ganze Regionen zur Versorgungswüste verkommen.

Lauterbach hat damit augenscheinlich kein Problem. Gegen die verlangten Nothilfen sperrt er sich beharrlich. Das alles hat Kalkül. »Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollten«, hatte er im Sommer 2019, damals als SPD-Abgeordneter bekannt. Der avisierte systematische Abbruch durch Degradierung und Abwicklung kleinerer Häuser vor allem auf dem Land mittels »Leistungsgruppen« und »Leveln« (jW berichtete) genügt dafür nicht. Noch mehr erreicht er, indem er die laufende Konkurswelle tatenlos laufen lässt. Je länger das geht, desto größer sind am Ende die Verluste, beziehungsweise die Gewinne der großen Klinikkonzerne und privaten Gesundheitsdienstleister, deren Agenda er vertritt. Die werden sich der »heimatlosen« Patienten gerne annehmen und so ihre Renditen steigern. Dafür bräuchte es nicht einmal die Lauterbach-»Revolution«. Vielleicht liegt am Ende ja der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, richtig. Der sagte am Mittwoch: »Die Reform nähert sich immer mehr dem Kippunkt, an dem keine Reform das kleinere Übel ist.«

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