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Aus: Ausgabe vom 19.04.2024, Seite 4 / Inland
Repressiver Staatsapparat

Stelldichein der Hardliner

Europäischer Polizeikongress in Berlin: Überwachung von Fußballfans bei EM in BRD. Privatsache hingegen: Kiffer in Uniform
Von Oliver Rast
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Schaulaufen der Verfolger als Event: UEFA-EM-Turnierdirektor Philipp Lahm an der Torwand (Berlin, 16.4.2024)

Es war das jährliche Tête-à-Tête: Knapp 2.000 Sach- und Fachkundige aus mehr als 20 Ländern kamen am Dienstag und Mittwoch zum »Europäischen Polizeikongress« (EPK) in Berlin am Messegelände zusammen. Es war bereits der 27. Motto diesmal: »Europa – Integrierte Sicherheit. Rechtsstaat, Demokratie, Akzeptanz«. Der Veranstalter, das Medium Behörden-Spiegel, hatte im Vorfeld stolz verkündet, die Zusammenkunft sei »die größte Konferenz für innere Sicherheit in der Europäischen Union«, folglich ein »wichtiges Event für Entscheidungsträger von Polizei, Sicherheitsbehörden und Industrie«. Das stimmt wohl.

Und klar, das zweitägige Hauptprogramm sei inhaltlich »attraktiv«. Vier Themen standen im Vordergrund: Migrationsbekämpfung, multilaterale Kooperation von Repressionsbehörden, die Fußballeuropameisterschaft (EM) im Juni und Juli dieses Jahres in Deutschland und nicht zuletzt »Digitalstrategien«, das Zauberwort im »Sicherheitsdiskurs«.

Auffallend präsent auf dem EPK: Sponsoren, die sich dort Redezeiten einkaufen konnten, um die »Experten« zu unterhalten. Zu jenen zählten beispielsweise Unternehmen wie Motorola, Samsung, T-Systems oder BMW als »exklusiver Mobilitätspartner«. Ferner präsentierten zahlreiche Aussteller aus der Überwachungsbranche ihre neuen Hightechschlager. Etwa Bodycams, Drohnen oder Software für 3D-Animationen. Damit wollen die Produzenten bei der EM »noch mehr Überwachungsmaßnahmen von Fußballfans für die Polizei ermöglichen«, sagte Kongressbesucher Oliver Wiebe von der Fanhilfe Magdeburg am Donnerstag im jW-Gespräch. Wie das? Mittels Handydaten und Drohnenvideos – »in Echtzeit«. Bereits jetzt seien einzelne große Stadien softwareanimiert, weiß der Fanrechtler.

Nicht von ungefähr nahm die Kongressdebatte auf dem »Fachforum II« zu »Fußball-EM – Gewährleistung sicherer Spiele« großen Raum ein. »Die Sicherheitslage ist alles andere als entspannt«, wurde Podiumsdiskutant Timo Seibert bei Spiegel online zitiert. Der Leiter des Bereichs Sicherheit und Medizin der EM 2024 meinte weiter, es sei eine gewisse Unsicherheit in der Gesellschaft zu Recht vorhanden. Man solle aber auch »keine Ängste schüren«. Deutlicher wurde dem Bericht zufolge Dirk Hulverscheidt, nordrhein-westfälischer Polizeidirektor und Chef der Projektgruppe, die das »polizeiliche Rahmenkonzept für die EM« ausgearbeitet hat. Nicht nur hätten die Polizeibehörden »Terroristen« im Visier, sondern auch »gewalttätige Fußballfans«. Beim EM-Turnier 2016 in Frankreich habe es eine ähnlich »verschärfte Sicherheitslage« gegeben. Prügelnde Hooligans aus England, Russland, aber auch aus weiteren an Deutschland grenzenden Staaten fielen besonders auf. »Die Wege sind kurz, die Menschen aus den benachbarten Ländern sind schnell da und schnell wieder weg. Es bietet auch Gelegenheit für die Störerszene«, behauptete Hulverscheidt.

Um jene Missetäter aus dem Verkehr zu ziehen, ist die »Kriegskasse« üppig gefüllt. Hulverscheidt hat für seinen »Verantwortungsbereich« nach eigenen Angaben 40 Millionen Euro parat. Auch, um in Neuss das »International Police Corporation Center« (IPCC) einzurichten. Dort, wo während der EM rund 700 sogenannte internationale Verbindungsbeamte das Turniergeschehen überwachen und täglich ein Lagebild erstellen sollen. Dennoch, der Polizeidirektor aus NRW ahnt: »Hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben.«

Am Kongress teilgenommen hat auch die Berufsvereinigung »Deutsche Polizeigewerkschaft« (DPolG), Mitglied im Deutschen Beamtenbund (DBB). Der DPolG-Bundeschef, Rainer Wendt, bekräftigte in der Diskussionsrunde zur Evaluation des Cannabisgesetzes seine entschiedene Ablehnung der Teillegalisierung des Rauschmittels. Cannabis bleibe eine gefährliche (Einstiegs-)Droge. Nur, was ist mit Kiffern in Uniform oder kiffenden Polizisten? Die gibt es für Wendt offenbar nicht; jedenfalls nicht offiziell. Und in der EPK-Runde der Innenminister hieß es dazu schlicht: alles Privatsache.

Zurück zum Ernst: Datenschutz und Einhaltung von Bürger- oder Versammlungsrechten seien beim EPK kein Thema gewesen, resümierte Fanhelfer Wiebe. »Dieser Kongress war frei von jedweder kritischen Note.« Ein Stelldichein der Hardliner.

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