»Die Polizei bediente sich der Transporter von RWE«
Interview: Gitta Düperthal
Im Bericht des Grundrechtekomitees zur Räumung von Lützerath kritisieren Sie Nordrhein-Westfalens CDU-Innenminister Herbert Reul: Er habe die von Ihnen dort beobachtete systematische Polizeigewalt legitimiert, indem er sie als Reaktion auf eine einseitig von Demonstrierenden ausgehende Gewalt verharmloste. Wie ist das zu verstehen?
Diese skandalösen Aussagen Reuls im Innenausschuss in NRW am 19. Januar, kurz nach dem Ende der Räumung von Lützerath, sind der Versuch, das Thema Polizeigewalt im Landesparlament vom Tisch zu wischen. Ständig kam er auf Gewalt zu sprechen, die angeblich von den 35.000 Menschen ausgegangen sein soll, die am 14. Januar nach Lützerath kamen, um dort gegen den Abriss des Ortes und den geplanten Kohleabbau zu demonstrieren. Die 14 Beobachter des Grundrechtekomitees hatten an diesem Tag jedoch wahrgenommen, dass eine ganze Bandbreite von Demonstrierenden unterwegs waren, darunter auch Kinder und Rollstuhlfahrende. Einige organisierte schwarz gekleidete Gruppen und vereinzelt Bengalos waren zu sehen. Aus unserer Sicht fand die Polizeigewalt statt, um Menschen abzuhalten, Lützerath zu betreten. Es ging darum, die Allgemeinverfügung des Kreises Heinsberg durchzusetzen, die ein Aufenthalts- und Betretungsverbot für den Ort enthielt.
Wie haben Sie die Lage vor Ort wahrgenommen?
Der Ort wurde eingezäunt. Außer der Polizei, dem Personal des Kohlekonzerns RWE und akkreditierten Personen durfte niemand mehr hinein. Die Pressefreiheit war eingeschränkt. Neben dem Presseausweis mussten Journalisten zusätzlich eine Akkreditierung vorzeigen – die in einem Fall gar wieder entzogen wurde. Zwei Journalistinnen schubste die Polizei zurück; behinderte sie so bei ihrer Arbeit. Wer von den Demonstrierenden auf Feldern und Wegen nach Lützerath unterwegs war, wurde von der Polizei buchstäblich zurückgeschlagen. Der Grundsatz der freien Ortswahl innerhalb der Versammlungsfreiheit wurde während der Räumung und Zerstörung Lützeraths grundlegend verletzt. Nun relativiert Reul derart motivierte Schlagstockeinsätze obendrein. Es hätte einen Weg geben müssen, sich vor Ort versammeln zu können.
Welche Formen der Polizeigewalt haben Sie registriert?
Wir selbst haben heftige Einsätze gesehen. Menschen, die wir trafen, berichteten, Gewalt von Polizisten entweder selbst erlebt oder bei anderen gesehen zu haben. Sanitäterinnen legten dar, dass sie Verletzungen am Kopf, an Rippen oder am Rücken behandeln mussten. Reul behauptete, die Polizisten seien darauf trainiert, nicht in so einer Weise zu schlagen. Die Verletzungen aber zeichnen ein anderes Bild. Gegen Demonstrierende wurden Pferde und Hunde eingesetzt; trotz der Kälte an diesen Tagen auch Wasserwerfer. All das schätzen wir als gefährlich und völlig unverhältnismäßig ein.
Im Anschluss hieß es, Demosanitäterinnen hätten bei ihren Berichten übertrieben.
Welch eine Scheindebatte! Statt erleichtert zu sein, als Sanitäterinnen entwarnten, dass Polizisten Demonstrierende nicht lebensbedrohlich verletzt hatten – wie es zunächst gewirkt haben muss –, wurden sie der Falschdarstellung bezichtigt. Erschreckend war, dass keine der im Landtag vertretenen Parteien fragte, wie es überhaupt zu Verletzungen kommen konnte. Videos, die Polizeigewalt zeigten, wurden nicht angeschaut. Es gab keine Aufarbeitung.
Ein Bündnis ruft für Samstag zur Demo in Essen auf, weil die CDU/Grünen-Landesregierung den Ort mit Gewalt habe räumen lassen, um Profitinteressen von RWE durchzusetzen. Wie ordnen Sie das ein?
Wir haben dort eine enge Zusammenarbeit gesehen: Die Polizei bediente sich der Transporter von RWE. Der Konzern ließ das Areal bewachen, damit die Polizei räumen konnte. Wir schreiben Berichte, um ein vollständiges Bild abzugeben und die Versammlungsfreiheit zu erhalten. Schlussfolgerungen überlassen wir anderen.
Tina Keller ist Koordinatorin der Demonstrationsbeobachtung des Komitees für Grundrechte und Demokratie
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