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13.10.2021 14:36 Uhr

Fort mit den Trümmern

Überwältigende Resonanz: Mehr als 2000 Teilnehmer bei Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin. Diskussion über Politik, Kultur und Medien
Von Rüdiger Göbel und Sebastian Wessels
Gut gefüllt von Anfang an – der Humboldt-Saal im Urania-Haus
Mandakranta Sen aus Indien
Aleka Papariga aus Griechenland
Tubal Paez aus Kuba
Neuer Rekord bei der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin. Noch nie gab es so viele politische und kulturelle Beiträge, noch nie so viele Besucher wie in diesem Jahr. Mehr als 2000 Teilnehmer zog es am Samstag zu der von dieser Zeitung und unzähligen Unterstützern organisierten Veranstaltung. Fulminant wie unterhaltsam schon der Auftakt im großen Saal der Urania am Wittenbergplatz. Die Sängerin und Schauspielerin Gina Pietsch begeisterte das Publikum mit Texten von Bertolt Brecht, darunter, als Referenz an die junge Welt, das Aufbaulied der FDJ »Fort mit den Trümmern«. Es war quasi Handlungsanleitung, getreu dem Teilmotto der Konferenz »Klasse für sich«: Wenn die Linke etwas werden und erreichen will, braucht sie ihre eigene Politik, ihre eigene Kultur und ihre Medien – letzteres der rote Faden, der sich durch die Vorträge zog. Draußen vor der Tür, das KaDeWe, Einkaufstempel der Besserverdienenden, und die CDU-Zentrale am Landwehrkanal gut zu Fuß zu erreichen, wehten – dem unermüdlichen Aktionsbüro und seinen Helfern sei Dank – unzählige rote Fahnen.
Rasant die junge indische Schriftstellerin Mandakranta Sen. Ihr Überblick über die vielfältige Literaturszene des Subkontinents und die Probleme, die das Kastensystem für den Klassenkampf mit sich bringt, war eine echte Herausforderung für die Simultandolmetscher. Ausführlich schilderte sie die Probleme, die etwa Publizistinnen im patriarchalen Verlagswesen ihres Landes haben – und blieb doch zuversichtlich. Der Vorsitzende des kubanischen Journalistenverbandes, Tubal Paez, bekräftigte die Notwendigkeit »revolutionärer Medien«. In seinem Land seien dies die staatlichen Sender. Sie seien »klassenbewußt« und an den Interessen der Bevölkerung orientiert. Paez verwies insbesondere auf die Erfolge Kubas im Bildungsbereich. Sein Land sei das einzige in Lateinamerika, das die entsprechenden Millenniumsziele der UNO erreicht habe.
Der US-Publizist Mumia Abu-Jamal forderte die Linke in seinem per Tonband eingespielten Beitrag auf, »eine authentische Arbeiterpresse aufzubauen, die die Bedürfnisse und Sorgen der Klasse anspricht«. In den USA sei dies schwierig, da es diesbezüglich keinerlei Traditionen gebe. Sein Anwalt Robert Bryan wies auf die dramatische Situation seines Klienten hin. Mumia Abu-Jamal wurde 1982 wegen angeblichen Polizistenmordes zum Tode verurteilt und kämpft seitdem für die Wiederaufnahme des Verfahrens. In den kommenden Wochen entscheide das zuständige Bundesgericht, ob er einen neuen, dann hoffentlich fairen Prozeß erhalten wird.
Wer sich über die Möglichkeiten alternativer Medien Gedanken macht, dürfte vor allem aus dem Redebeitrag von William Grigsby wertvolle praktische Anregungen gewonnen haben. Grigsby ist Chef des »Radio La Primerisima«, eines revolutionären und dennoch führenden Radiosenders in Nicaragua, wo die sozialistischen Sandinisten 1979 die Somoza-Diktatur beendet hatten, jedoch 1990 von den US-gestützten Antisandinisten wieder entmachtet wurden. Aufgrund der Massenarmut und einer Analphabetenrate von 35 Prozent in Nicaragua sei das Radio als Massenmedium am besten geeignet, so Grigsby. Alternative Medien müßten »in Form und Technik der Kommunikation exzellent« sein, um ihre Chancen zu nutzen. An die politische Linke richtete er die Warnung, nicht den Versuchungen des »Sektierertums« zu erliegen. Dieses führe immer wieder zu Akten der Zensur innerhalb der Linken – also dazu, daß man gegeneinander dieselben Mittel der Herrschaft einsetze, die es zu bekämpfen gelte.
Im scharfen Kontrast zum oppositionellen Radio Nicaraguas stehen die Massenmedien in den reichen Industriestaaten, wie sie der Chefredakteur der französischen Monatszeitung Le Monde diplomatique, Ignacio Ramonet, charakterisierte. Diese würden oft als »vierte Gewalt« bezeichnet, die im Namen der Bevölkerung eine Gegenmacht gegen die Staatsgewalten in Stellung bringe. Heute jedoch befänden sich die Massenmedien mehrheitlich in Besitz internationaler Konzerne, welche zugleich die Nationalstaaten als tonangebende Akteure der Globalisierung abgelöst hätten. Somit seien die Medien ins Lager der Herrschaft »übergelaufen« und hätten »die Bürger verraten«. Es gelte, für eine »Ökologie der Informationen« einzutreten – wie heute zunehmend Lebensmittel ohne Schadstoffe verlangt würden, müßten auch von den Medien korrekte und unverfälschte Informationen eingefordert werden. Wie dies geschehen soll, dazu hätte man gerne mehr Konkretes gehört – etwa eine Einschätzung der heute zahlreichen privaten Initiativen im Internet, die genau diesen Anspruch erheben.
Aufgelockert und bereichert wurde das Programm durch Politsatiren von Rainer Kröhnert und Dietrich Kittner sowie eine musikalische Einlage von Danbert Nobacon, dem ehemaligen Sänger der Band Chumbawamba. Der Autor Martin Keßler zeigte mit einer Kostprobe aus seinem neuen Film »Das war der Gipfel«, einer Hommage an die Protestbewegung von Heiligendamm, daß jenseits aller Diskussionen der Aufbau »eigener Medien« machbar ist.
Aleka Papariga, Generalsekretärin der KP Griechenlands (KKE), schließlich sprach über die Erfahrungen ihrer Partei seit Ende des Realsozialismus. Die KKE nehme ihren diesjährigen 90. Geburtstag zum Anlaß zurückzublicken, begangene Fehler zu analysieren und die Diskussion über Taktik und Strategie für die Zukunft zu erneuern. Dabei wandte sie sich scharf gegen die Annahme, man könne »zum Zeitalter der französischen Aufklärung zurückkehren« und darauf hoffen, daß der Kapitalismus sich mit seinen Exzessen selbst untergrabe. Es gelte, den Kampf auf der Grundlage genauer politischer Analyse weiterzuführen. Mit ihrem Schlußwort setzte Papariga ein Ausrufezeichen unter den Vortragsblock der Konferenz: Sie sei »überzeugt«, sagte sie in Anspielung auf das russische Kriegsschiff, das als Symbol für die Oktoberrevolution steht, »daß die Kanonen der Aurora wieder feuern werden«.

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