Nicht für alle gedacht
Von David Maiwald
Nicht jeder soll es schaffen, aber jeder soll es wollen. Es lasse sich einfach niemand Geeignetes finden, kommentieren Firmen alle Jahre wieder die nicht besetzten Ausbildungsstellen. Schuld daran haben in jedem Jahr die jungen Leute selbst: Sie würden einfach nicht die »Mindestvoraussetzungen« erfüllen, seien nicht belastbar, könnten nicht richtig Deutsch sprechen oder auch mal nicht richtig rechnen, erzählten Unternehmen der Deutschen Industrie- und Handelskammer. In der zum diesjährigen Ausbildungsbeginn veröffentlichten Umfrage des Unternehmerverbands nennen diejenigen, die einstellen könnten, aber nicht wollen, das dann »Passungsprobleme«.
Wer es nicht bringt, ist selbst schuld. Das Jahr für Jahr wieder vorgetragene »Die Leute sind einfach zu doof« führt mittlerweile sogar dazu, dass sich viele gar nicht mehr zutrauen, überhaupt einen Ausbildungsplatz erhalten zu können. Gerade wer einen niedrigeren Schulabschluss hat, kann sich häufig überhaupt nicht vorstellen, dass irgendeine der angebotenen Stellen für ihn oder sie in Frage käme. Das ermittelte die Studie »Ausbildungsperspektiven 2025« der Bertelsmann-Stiftung. Und das stimmt leider: Ein großer Teil der Ausbildungsstellen kommt für Menschen mit Haupt- und Realschulabschluss nicht in Frage. Zusätzlich antworten viele Unternehmen ihnen nicht einmal auf Bewerbungen. Junge Menschen mit Migrationsgeschichte trifft das besonders.
Bei der Bundeswehr lautet die »Mindestvoraussetzung« schlicht: »Stillgestanden!« Die Armee bietet viele Berufe zur Ausbildung an und bezahlt besser, als Unternehmen landauf, landab bereit wären. Das soll den Kriegsdienst attraktiv machen. Wer woanders keine Chance bekommt, dem lässt sich der Kampf für Kapitalinteressen und Großmachtwahn besser als sein eigenes Interesse verkaufen.
Nicht zufällig kommen diejenigen, die mit ungünstigen Bedingungen ihr Bildungs- und Berufsleben starten, auch eher in schlechte Verhältnisse. Diese ziehen sich dann durch Generationen. Das soll so sein, denn die Löhne für Unternehmen sollen niedrig bleiben. Und dafür braucht es immer Leute, die bereit sind, schlechte Bedingungen anzunehmen, um ihre noch schlechtere Situation zu verbessern. Ungelernte werden bei gleicher Tätigkeit schlechter entlohnt als Facharbeiter – warum also ausbilden, wenn man nicht gezwungen wird?
Zum Ausbildungsstart blieben in der Bundesrepublik auch in diesem Jahr mehr als 182.000 Lehrstellen unbesetzt. Gleichzeitig war es 140.000 jungen Menschen nicht möglich, einen Ausbildungsplatz zu finden. Zwar bewege sich in den ersten Monaten »noch viel auf dem Ausbildungsmarkt«, wie die Bundesagentur für Arbeit Ende August mitteilte. Doch waren im vergangenen Jahr schon rund 70.000 Stellen unbesetzt geblieben.
In Berlin wurden der regionalen Zweigstelle zufolge rund 4.550 der insgesamt 13.700 verfügbaren Stellen nicht an eine Bewerberin oder einen Bewerber vergeben, während mehr als 7.800 junge Leute keine Stelle erhielten und bislang noch keine Berufsausbildung anfangen konnten. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen waren wiederum 24.848 Stellen unbesetzt, während 35.562 Personen weiterhin auf der Suche waren.
Nur eines von zehn Unternehmen bildet überhaupt aus. Zwingt sie ja keiner. Wer einen Ausbildungsplatz findet, wird häufig zu Überstunden und irgendwelchen Drecksarbeiten angehalten, die nichts mit dem angestrebten Berufsbild zu tun haben. Vergütung und Unzufriedenheit wachsen von Ausbildungsjahr zu Ausbildungsjahr im selben Tempo. Leben lässt es sich vom einen wie vom anderen schlecht. Zufrieden sind viele letztlich dennoch, bedeutet ein Berufsabschluss am Arbeitsmarkt womöglich einen Vorteil. Die 3,6 Millionen Mitbewerber werden es schließlich nicht alle schaffen.
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