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Aus: Kinder, Beilage der jW vom 28.05.2025
Kinder

»Meine Oma wird mir fehlen«

Neue Schule, anderer Stadtteil, Freunde verlieren, Raum gewinnen. Ein Gespräch mit und unter vier Geschwistern
Von Lena Reich
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Vor zwei Jahren haben wir die Drillinge Adelina, Bashkim und Granit zu ihrem Alltag im Berliner Wedding interviewt. Zu Wort kam auch ihre jüngere Schwester Vjollca. Weil ein Umzug in einen anderen Bezirk ansteht, haben wir die Geschwister erneut getroffen und wollten wissen: Wie geht es euch?

*

Heute ist der erste Tag nach den Osterferien. Wie war die Schule?

Granit: Ätzend. Ein Junge wollte mich auf dem Schulhof schlagen. Er hat gesagt, er holt seine Brüder. Aber sie sind nicht gekommen. Die haben nur gelabert. Was wichtiger ist: Kannst du diesmal unsere echten Namen nennen?

Ich denke nicht. Journalisten wollen ja vor allem Geschichten aus dem Leben erzählen, die dann in Zeitungen oder im Internet erscheinen.

Granit: Aber ich will berühmt werden. Wie viele Zeitungen wurden bei dem letzten Interview verkauft?

Die Zeitung wurde rund 20.000 Mal verkauft. Aber ich denke nicht, dass du durch mich sehr berühmt wirst.

Granit: Und warum machen wir dann schon wieder ein Interview?

Beim letzten Mal wollte ich den Lesern zeigen, wie so ein Alltag von Drillingen abläuft. Die wenigsten können sich das vorstellen. Und ihr habt dann sehr gut berichtet, wie ihr zu sechst in eurer Zwei-Zimmer-Wohnung zusammenlebt. Ihr habt erzählt, wie letztlich eure Mutter alles regelt: aufstehen, zur Schule gehen, Hausaufgaben machen, streiten …

Bashkim: Das hat total Spaß gemacht. Wir haben alle neue Namen bekommen, die albanisch klingen. Die haben sich unsere Eltern ausgedacht.

Und jetzt will ich wissen, wie es euch geht, nach den zwei Jahren. Immerhin gibt es ja große Veränderungen in eurem Leben. Ich fange diesmal mit dir an, Vjollca. Du kamst das letzte Mal kaum zu Wort.

Vjollca: Das ist so im Leben mit drei älteren Geschwistern. Aber ich habe keine Problem mit nix.

Du fandest es unfair, dass alle Chinanudeln essen dürfen, nur du nicht. Ist dein Wunsch mittlerweile in Erfüllung gegangen?

Vjollca: Ja, ich darf jetzt Chinanudeln essen. Und sie schmecken toll! Und ich bin jetzt in der Schule.

Wie läuft’s da?

Vjollca: Gut. Ich bin schön. Ich bin klug.

Auch dein anderer Wunsch ist in Erfüllung gegangen: dass ihr endlich in eine neue Wohnung zieht. Deine Mutter hat nach acht Jahren Suche endlich eine neue gefunden. Ihr sitzt ja sozusagen auf gepackten Kisten. Wie fühlst du dich damit?

Vjollca: Ich freue mich. Hier haben wir nur die zwei Zimmer. In der neuen Wohnung haben wir viel mehr Platz. Aber ich bin auch schon ein bisschen aufgeregt. Ich habe Angst, dass all meine Sachen nicht mitkommen. Ich habe zwar nur einen Koffer, aber der muss auf jeden Fall mit.

Adelina: Ich habe Angst, dass ich meine Freunde verlieren werde.

Vjollca: Ich finde überall Freunde!

Also freust du dich auf die neue Schule?

Vjollca: Ein bisschen Angst habe ich vor den Lehrern und den Kindern. Aber wir bekommen alle einen Hausschlüssel und dürfen alleine nach Hause gehen. Das ist toll.

Adelina: Aber du nicht, weil du immer alles verlierst.

Vjollca: Aber bald.

Adelina: Ich möchte nicht wegziehen.

Wieso?

Adelina: Ich mag meine ganze Klasse sehr gerne, außer ein Mädchen. Klar, ich bekomme ihre Nummern. Aber meine beste Freundin wohnt hier gleich um die Ecke, und ich bin auch oft zu ihr gegangen. Wirklich sehr, sehr oft. Und da war es immer richtig cool. Ich mag die Nachbarschaft auch sehr gerne. Ich finde, es ist hier eine schönere Atmosphäre, weil hier mehr Leute rumlaufen. Es ist auch etwas laut. Ich finde das einfach viel schöner.

Freust du dich denn auf dein eigenes Zimmer?

Adelina: Auf jeden Fall. Wir Mädchen teilen uns ein Zimmer. Die Jungs bekommen auch ein eigenes. Endlich. Ich bekomme und ich brauche unbedingt ein eigenes Bett. Zur Zeit schlafe ich ja noch mit Vjollca in einem. Sie ist nachts so unruhig, und ich kriege immer ihre Füße in meinen Mund.

Vjollca: Entschuldigung? Wenn du den Kopf da hinlegst.

Adelina: Ich schlafe verkehrt rum, damit ich überhaupt schlafen kann! Ich schieb meine Schwester zwar immer richtig weit weg, aber dann kriecht sie wieder an mich ran.

Vjollca: Also wir bekommen zwei Betten. Und dann wünschen wir uns noch ein Sitzkissen und einen Hängesessel und eine Katze. Adelina: Das wäre so schön. Eine Katze zu haben ist mein absoluter Traum. Aber Haustiere sind verboten.

Du malst ja sehr gerne. Wie geht es denn deiner Kunst?

Adelina: Schau, das habe ich gemacht: Eine Leinwand, auf die habe ich Gips gelegt und sie mit rosa, lila und weißer Farbe bemalt. Das werde ich in meinem neuen Zimmer aufhängen.

Zur Zeit seid ihr Drillinge nicht in einer Klasse. Wie sieht das auf der neuen Schule aus?

Adelina: Das ist eine kleine Schule. Es gibt nur 280 Schüler. Das sind vierte, fünfte und sechste Klasse zusammen.

Granit: Also ja, wir kommen in eine Klasse.

Adelina: Trotzdem habe ich Angst, dass ich die ganze Zeit alleine bleiben werde und keine Freundin finde.

Granit: Wenn jemand blöd ist, können wir ihn ja schlagen.

Vjollca: Machst du aber eh nicht.

Bashkin: Du bist die Gewalttätige! Heute bist du schon wieder zu meinen Freunden gekommen und hast sie bedroht.

Vjollca: Die haben mich genervt. Die nerven immer!

Bashkin: Mama sagt, wenn wir genervt sind, sollen wir uns auf die Brust klopfen und ruhig ein- und ausatmen. Was ich noch sagen wollte: Meine Oma wird mir fehlen. Sie wohnt hier gleich nebenan.

Granit: Genau. In dieser Woche feiern wir unseren Geburtstag bei ihr nach. Wir sind jetzt nämlich zweistellig.

Adelina: Dafür wohnt dann unsere andere Oma viel näher bei uns. Wir können mit der U-Bahn direkt zu ihr fahren.

Wie ist denn die Gegend, in der die neue Wohnung liegt?

Adelina: Sie ist in der Nähe vom Kreuzberger Gleisdreieck, nicht weit enfernt vom Wasser. Die Straße ist eine Nebenstraße, ziemlich eng und nicht so breit wie hier im Wedding. Es sind auch nicht so viele Menschen auf der Straße. Irgendwie mag ich das mehr, wenn da viele Leute sind. Ich hab mich dran gewöhnt. Zur Zeit wohnen noch nicht alle Nachbarn da. Mir ist es da zu still.

Wart ihr schon in dem Haus?

Bashkim: Ja, wir sind schon einmal dagewesen. Es gibt fünf Zimmer und einen Balkon. Ich werde mit Granit in einem Zimmer wohnen. Und wir können das Fenster aufmachen. Jetzt ist es immer so laut, und wir sind morgens voll geschwitzt, weil es so eng ist. Da ist es viel ruhiger.

Adelina: Es gibt ein großes Badezimmer und ein kleines. In das kleine dürfen wir nicht gehen. Das ist ein Gäste-WC. Und wir sind ja keine Gäste …

Granit: Wir haben eine Küche und einen neuen Kühlschrank. Den bauen mein Vater und mein Cousin gerade auf.

Das heißt, ihr habt genügend Platz, euch auszutoben und müsst euch nicht darüber verständigen, wer wann das Zimmer benutzt, um auch mal Zeit für sich alleine zu haben?

Granit: Das ist total gut.

Bashkim: … und wir haben einen Keller. Aber der riecht nicht so gut wie unser jetziger Keller.

Nach was riecht denn euer Keller?

Bashkim: Nach so nass und alten Möbeln. Ich liebe den Geruch.

Lena Reich ist freie Journalistin aus Berlin und arbeitet u. a. für »Arte-Journal«. Seit 2018 leitet sie das Müllmuseum Soldiner Kiez.

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