Wieviel eisiger wird das soziale Klima?
Interview: Gitta Düperthal
Betroffene der von der Bundesregierung beschlossenen neuen Grundsicherung müssten sich warm anziehen, kritisieren Sie. Die Einführung der dann nicht mehr »Bürgergeld« genannten Leistungen ist derzeit für Juli geplant. Wieviel eisiger wird das soziale Klima in diesem Land?
Schon die Debatte um die Einführung des Bürgergeldes wurde von Hetze begleitet: Die Rede war von der angeblichen »sozialen Hängematte« sowie von vermeintlichen »Totalverweigerern, die nicht arbeiten wollen«. Arbeit lohne sich nicht mehr, da man ebenso gut Geld vom Staat beziehen könne. Das Gegenteil lässt sich belegen, dringt aber kaum durch. All das spaltet Erwerbslose von Erwerbstätigen ab, obgleich die im Krisenfall gleichermaßen ihren Job verlieren und in diese Lage geraten. Immer mehr Menschen befürchten, ihren Lebensstandard nicht mehr halten zu können. Der Regelsatz für Erwerbslose mit 563 Euro ist zu gering, um davon anständig leben zu können, und das Ausspielen prekärer Gruppen gegeneinander ist infam: Als ob es jemandem, der Mindestlohn bezieht, besser ginge, wenn der Staat Erwerbslose schlechter behandelt! Durch solche Verschärfungen werden alle erpressbar, jeden noch so unzumutbaren Job an- oder auch hinnehmen zu müssen.
Was plant die Bundesregierung an neuen Strafen durch die Jobcenter?
Bei sogenannten Pflichtverletzungen droht sie mit harten Sanktionen. Wer Termine nicht wahrnimmt, die gewünschte Anzahl von Bewerbungen nicht erbringt oder eine Arbeit ablehnt, muss künftig sehr schnell mit einer Kürzung der monatlichen Leistungen von 30 Prozent für drei Monate rechnen; nach einem dritten Versäumnis gar mit dem vollständigen Wegfall. Selbst Miete und Heizung könnten nicht mehr finanziert werden. Obdachlosigkeit droht.
Unsicherheit macht sich bei Aufstockern mit Minijob breit, was etwa im krisengeplagten Taxigewerbe als gängiges Geschäftsmodell gilt. Es sei ungerecht, dass die einen in Vollzeit arbeiten, andere nur wenige Stunden, Miete und Heizung aber vom Staat finanziert bekämen, tönten Unionspolitiker in Talkshows. Was meinen Sie dazu?
In der gesetzlichen Regelung des SGB II ist das nicht beinhaltet. Eine Kommission zur »Modernisierung und Entbürokratisierung des Sozialstaats« mit Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen diskutiert nach Anhören von Sozial- und Wirtschaftsverbänden »mehr Anreiz zur Erwerbsarbeit«. Es geht um die Transferentzugsrate: inwiefern Leistungen gekürzt werden, wenn das Einkommen steigt.
Wir sind gegen mehr Druck auf geringfügig Beschäftigte, fordern aber vom ersten Euro an volle Sozialversicherungspflicht. Denn im Minijob können Beschäftigte keine ausreichenden Rentenansprüche erwerben, sind bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit nicht abgesichert.
Angekündigte Einsparungen bei Erwerbslosen in Milliardenhöhe sind nicht zu erwarten. Worauf könnte die Bundesregierung dann zielen?
»Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt«, brüstete sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2005: Nun geht es darum, den gesellschaftlichen Reichtum noch weiter nach oben, hin zu den Vermögenden zu verschieben. Wir meinen: Der Gegensatz besteht zwischen Arm und Reich – nicht zwischen Beschäftigten und Erwerbslosen. Auch die Spaltung zwischen Alt und Jung, die in Hetzreden aufgemacht wird, ist Quatsch. Der Angriff auf den Sozialstaat betrifft uns alle: Jeder kann krank, pflegebedürftig oder arbeitslos werden, jeder geht irgendwann in Rente. Egal ist das nur den jungen Reichen von der Jungen Union, die den Aufruhr in der Debatte initiiert haben.
Führt also alles zurück zur Klassenfrage?
Zusammenschluss und Organisierung sind wichtig. Zum einen, um den Angriff auf Sozialleistungen generell abzuwehren. Zum anderen, wenn persönliche Rechte beschnitten werden. Dann ist es besser, nicht allein zu sein. Organisierte Gegenwehr, die es bei der Einführung von Hartz IV schon gab, wollen wir erneut stärken. Gewerkschaften müssen Gemeinsamkeiten von Erwerbstätigen und Erwerbslosen betonen. Wir alle brauchen den Ausbau des Sozialstaats.
Heike Wagner ist Referentin der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (Kos)
www.erwerbslos.de
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