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Aus: Ausgabe vom 30.12.2025, Seite 3 / Inland
Politische Beteiligung der Jugend

Warum reicht es nicht, das Wahlalter abzusenken?

Die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen muss grundlegend erweitert werden, fordert Kathrin Vogler
Interview: David Bieber
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Wollen mehr als nur gehört werden: Junge Menschen demonstrieren in Leipzig gegen die Wehrpflicht (5.12.2025)

Nordrhein-Westfalen hat seine Verfassung geändert, um künftig schon 16jährigen die Möglichkeit zu geben, sich an Landtagswahlen zu beteiligen. Richtig so?

Na, endlich! Schon 2010 hat Die Linke NRW in ihrem Landtagswahlprogramm gefordert, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken. Leider hat es so lange gedauert, weil wir in den vergangenen 13 Jahren nicht im Landtag waren, um dafür weiter Druck zu machen. Das werden wir mit den Wahlen im Frühjahr 2027 ändern und dann wieder richtig Schwung in die Landespolitik bringen.

Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre weckt das politische Interesse von Jugendlichen, argumentieren die Befürworter. Und Sie?

Ich erlebe, dass viele Jugendliche großes politisches Interesse haben. Sie erleben, dass vieles, was sie betrifft, über ihre Köpfe hinweg entschieden wird und dass politische Entscheider heute Weichenstellungen dafür treffen, wie ihr Leben in zehn, 30 oder 50 Jahren aussehen wird. Finden sie dann noch einen bewohnbaren Planeten vor, der die Menschheit ernähren kann? Gelingt es, Kriege zu beenden und den Rüstungswahnsinn zu stoppen, oder führt der Kampf um die letzten Rohstoffe, Märkte und Handelswege zu einer dauerhaften Militarisierung aller Lebensbereiche? All das sind Fragen, über die sich Jugendliche die Köpfe zerbrechen. Deshalb ist es nur fair, sie an den Wahlen teilnehmen zu lassen.

Müsste man nicht noch viel früher ansetzen, als einfach nur das Wahlalter abzusenken?

Es reicht nicht, dass im Politikunterricht an den Schulen die Grundlagen des parlamentarischen Systems gelehrt werden. Die beste politische Bildung ist, Demokratie selbst zu erleben. Dafür muss die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen in Kitas, Schulen und Familien erweitert werden. Auch der Bericht der Landtags-Enquete-Kommission zur Überwindung von Chancenungleichheit im Bildungssystem vom Mai 2025 empfiehlt eine Stärkung der Demokratiebildung und eine Überprüfung der Mitbestimmungsinstrumente. Als Linke setzen wir uns für einen deutlichen Ausbau der Demokratie im Bildungswesen ein.

Wie lassen sich junge Wähler am besten mobilisieren?

Wie ältere auch, indem man ihre Interessen anspricht und glaubwürdige Alternativen zum vorherrschenden Politikangebot formuliert. Wählen ist leider bei jung und alt immer noch eine Klassenfrage: Die Wohlhabenden und Gebildeten vertreten ihre Interessen auch an der Wahlurne in großer Zahl, während in den sozial abgehängten Stadtteilen die Wahlbeteiligung niedrig ist. Dagegen hilft nicht kurzfristiges Agitieren in den Vierteln, sondern nur langfristiges, beharrliches Engagement vor Ort, bei den Menschen, die zu oft die Erfahrung machen mussten, dass sie übersehen und überhört werden.

Social Media ist die primäre Informationsquelle für junge Menschen. Künftig könnte in der EU der Gebrauch erst ab 16 erlaubt sein.

Durch ihre Algorithmen sorgen sie für das Entstehen von Filterblasen, in denen sich dann nur noch Personen begegnen, die ohnehin einer Meinung sind. Und durch die Kürze der Videos leidet die differenzierte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Themen. Demokratie lebt aber von der Kontroverse unterschiedlicher Meinungen und von der Wahrnehmung verschiedener Interessen sowie davon, auch Zusammenhänge zu verstehen. Ich bin skeptisch, ob sich ein altersbezogenes Social-Media-Verbot umsetzen lässt, aber falls es kommt, werden wir andere Möglichkeiten finden, mit jungen Menschen direkt zu kommunizieren.

Die Linke schnitt bei den Jungwählern zuletzt besonders gut ab. Wieso?

Das hat viel mit unserer Rolle als stärkste Gegenkraft zum politischen Rechtsruck und mit unserer konsequenten Haltung in Sachen Antifaschismus zu tun, aber auch mit einer klaren, verständlichen Sprache und mit glaubwürdigen Personen.

Rechnen Sie auch mit einer Absenkung des Wahlalters bei künftigen Bundestagswahlen?

Eine vom Bundestag eingesetzte Kommission zur Reform des Wahlrechts hat die Absenkung auf 16 Jahre empfohlen. Leider scheiterte das in der Vergangenheit immer wieder am Widerstand der CDU und der CSU, die es offenbar aufgegeben haben, um Vertrauen bei der Jugend zu werben.

Kathrin Vogler ist Vorsitzende der Partei Die Linke in Nordrhein-Westfalen

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