Ökonomische Disruptionen
Von Theo Wentzke
Den Krieg in der Ukraine beginnt Russland mit dem Einsatz seiner überlegenen Streitkräfte, die laut den einschlägigen Statistiken die zweitmächtigsten der Welt sind. Dafür unterhält es einen leistungsfähigen »militärisch-industriellen Komplex«, der die russischen Streitkräfte mit allen erforderlichen Waffengattungen bis hin zu den strategischen Abschreckungswaffen ausstattet, die Russland zu der autonomen Kriegsführung auf dem Niveau einer militärischen Weltmacht befähigen. Den finanziellen Aufwand dafür hat es, wie es sich für einen modernen Staat gehört, als festen Posten in seinem Haushalt verbucht. Wegen der Unterstützung der Ukraine durch die NATO-Staaten, die ihren Stellvertreter kontinuierlich und mit immer mehr und immer wuchtigeren konventionellen Waffen ausstatten, ist aus der »speziellen Militäroperation« allerdings ein ausgewachsener Abnutzungskrieg geworden. Und so steht Russland vor der Herausforderung, die nötige militärische Überlegenheit vor Ort permanent zu erneuern und gleichzeitig seine Abschreckungsmacht gegen die NATO aufrechtzuerhalten. Dieser Kriegsaufwand beansprucht seine Ökonomie in neuer Weise: Der Staat stellt auf Kriegswirtschaft um.
Folgen des Rüstungsbedarfs
Der Staat hat zunächst einen enormen Bedarf sowohl an Soldaten als auch an militärischen Gebrauchsgütern. Er benötigt in praktisch allen konventionellen Waffengattungen, die auf dem Schlachtfeld zum Einsatz kommen, einen Nachschub, der ihn befähigt, es mit der vom Westen ausgestatteten Ukraine aufzunehmen. Der Verschleiß auf dem Schlachtfeld sorgt für permanent steigenden Bedarf, so dass der Rüstungssektor auf alte Lagerbestände zugreifen, seine vorrätig gehaltenen Produktionspotenzen ausschöpfen, sich neue verschaffen und in die voll ausgelastete Drei-Schicht-Produktion übergehen muss.
Der Staat bestellt und bezahlt das Benötigte mit seinem Geld. So werden das Militär, der Aufwand für die Frontinfrastruktur und die Waffenproduktion mit der dem Kriegszweck entsprechend organisierten, massiven staatlichen Kaufkraft zum zentralen Bezugspunkt der restlichen Wirtschaft und treten zugleich in Konkurrenz zu ihr: Die angeworbenen Soldaten fallen als Arbeitskräfte aus, die Rüstungsindustrie zieht Produktionsmittel und Arbeitskräfte aus anderen Branchen auf sich, sorgt für Mangel an vielen Stellen und so – marktwirtschaftlich konsequent – für flächendeckend steigende Preise. Dadurch, dass sie höhere Preise bezahlen, werden Rüstungsunternehmen zu besonders geschätzten Kunden und bevorzugt beliefert. Davon profitieren zwar einige Unternehmen, aber die höheren Kosten – im besonderen die stark gestiegenen Lohnkosten für Facharbeiter – belasten wiederum an vielen Stellen die etablierten Geschäftsrechnungen und funktionierenden Geschäftsbeziehungen. Die Unternehmen leiden unter den hohen Preisen, den längeren Lieferzeiten oder sogar dem Totalausfall von eingeplanten Lieferungen. Die betroffenen Unternehmen können weniger absetzen, ihre Rentabilität sinkt, und sie müssen im schlimmsten Fall ihre Produktion einstellen. Insgesamt kämpft Russland also mit erheblichen Disruptionen in der gesamten nationalen Ökonomie.
Das westliche Sanktionsregime
Die Abhängigkeit vom Weltmarkt macht sich der Westen, der als Aufsichtsmacht über ihn agiert, zunutze, um Russland die Fähigkeit zur Kriegsführung zu nehmen. Der Krieg findet zwar außerhalb Russlands und nur vereinzelt auf russischem Gebiet statt, dafür hat Russland es mit einem Wirtschaftskrieg neuer Qualität zu tun, der den Zweck verfolgt, Russlands Ökonomie zu ruinieren. Das betrifft zunächst den Boykott russischer Importe von allen Teilen, die für die Kriegsproduktion erforderlich sind oder im Verdacht stehen, das zu sein. Vorprodukte für die Waffenproduktion, Dual-Use-Güter, Elektronik, Werkzeuge, Ersatzteile, Produktionsmittel und komplexe Industrieanlagen werden auf die Sanktionslisten gesetzt, die der Westen mit der Androhung von sekundären Sanktionen für den Rest der Welt verbindlich zu machen versucht.
Die Kombination aus russischer Not und üppigen Devisenreserven ist für einige Drittstaaten allerdings weiterhin attraktiv, so dass Russland mit Parallelimport, Lieferantenaustausch und massenhaftem Schmuggel den Boykott – auf reduziertem Niveau – umgeht. Das verweist die westlichen Staaten um so mehr auf die zweite Front ihres Wirtschaftskrieges: Mit allerlei Sanktionen, Importverboten und Preisdeckeln versuchen sie, Russlands »Kriegskasse« auszutrocknen und schränken russische Exporte ein, was neben Stahl, Weizen und Düngemitteln vor allem Öl und Gas betrifft.
Für beides, die Sanktionierung des Imports wie des Exports, wird Russland vom internationalen Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen. Zusammen mit weiteren Sanktionen im Finanzbereich soll Russland die internationale Zahlungsfähigkeit genommen werden. Das schließt den Ausschluss des Rubels von den internationalen Devisenmärkten und die Aufkündigung von dessen Konvertibilität ein – was den Warenhandel zwar nicht im ganzen unterbindet, seine Fortsetzung aber für Russland kompliziert und immer teurer macht. Darüber hinaus verliert Russland damit seinen Status als Spekulationsobjekt des internationalen Finanzkapitals, was in Kombination mit dem Einfrieren russischen Vermögens im Ausland, dem massenhaften politisch angeordneten Kapitalabzug und dem Verbot von Investitionen in Russland die Finanzmacht russischer Kapitale stark einschränkt.
Der dadurch verursachte Kapitalmangel sorgt zusammen mit dem Mangel an benötigten Importprodukten an vielen Stellen für eine Gefährdung der Produktion. Das wiederum zerrüttet das etablierte Verhältnis der Branchen, lässt flächendeckend die Preise und Kosten steigen und sorgt für Mangel bei den einen Unternehmen, für Überproduktion mit Absatzschwierigkeiten bei den anderen. Nicht zuletzt führt die Einschränkung des russischen Zugangs zu westlichen Produktionsmitteln dazu, dass die Produktionsstätten auf Verschleiß fahren müssen. Für den Erhalt seiner nationalen Kriegsproduktion steht der Staat vor der Aufgabe, seiner Wirtschaft eine belastbare materielle Grundlage zu verschaffen. Seine Mittel dafür sind Geld und Kredit.
Das betrifft in erster Linie die Umstellung auf Kriegsproduktion im engeren Sinne. Benötigte Waffen und Infrastruktur müssen in Rubel bezahlt und das Militär unterhalten werden; Rüstungsproduzenten brauchen sicheren Zugriff auf den vorhandenen nationalen Ressourcenreichtum und die Kapazitäten der industriellen Basis. Das erledigt der Staat per Versorgung der maßgeblichen Akteure mit dem nötigen Kapital: Erstens müssen die vorliegenden Produktionspotenzen aktiviert werden, es muss also für die Umstellung vorhandener Fabriken, für die Neuinbetriebnahme alter Fabriken und für den bevorzugten Zugriff des Rüstungssektors auf die benötigten Dual-Use-Güter, Ressourcen etc. gesorgt werden.
Zweitens braucht es die Fortentwicklung von Kriegstechnologie und überhaupt der gesellschaftlichen Produktivkräfte. Die Regierung identifiziert strategisch wichtige Bereiche, aktualisiert Entwicklungsstrategien, lässt nationale Alternativen zu westlicher Technologie erarbeiten und forciert deren Entwicklung; lauter Vorhaben, die sie unter dem Ideal der Technologiesouveränität schon längst ins Auge gefasst hatte, die jetzt aber eine neue Dringlichkeit erfahren. Durch den Krieg und die Produktionsumstellung entsteht drittens ein höherer Bedarf nach neuen Infrastrukturbedingungen. Das betrifft die Abteilung Transport und Logistik, aber auch die Energieversorgung, die nötigen Behausungen für die neu verteilten Arbeitskräfte und nicht zuletzt den kriegsgerechten Ausbau der Front und der entsprechenden Zugänge.
In diesem Bedarf eingeschlossen ist auch die Notwendigkeit der Sicherstellung der nationalen Versorgung insgesamt. Der Staat muss für Ersatz der gestörten Produktionszusammenhänge sorgen, seine Abhängigkeit von Importen, so gut es geht, verringern, die weggebrochenen europäischen Absatzmärkte durch eine Umstellung der Logistik nach Osten kompensieren sowie mit Unterstützungsleistungen verschiedener Art die belasteten Geschäftsbeziehungen aufrechterhalten; teils dadurch, dass er die Stundung von Zahlungsverpflichtungen erlaubt, um die Zahlungsfähigkeit der Unternehmen sicherzustellen, teils mit Steuerentlastungen, teils mit direkten Zahlungen aus seinem Haushalt und anderen Quellen, indem er Subventionen zur Verfügung stellt oder gleich als »Großinvestor« einspringt.
Staatliche Geldbeschaffung
Der Staat beschafft sich die Mittel zur Finanzierung des Haushalts durch gesetzlichen Zugriff auf die Gelderträge, die seine kapitalistische Gesellschaft unter seiner Hoheit zustande bringt. Dem gesteigerten Bedarf nach seinem ökonomischen Machtmittel trägt er zunächst dadurch Rechnung, dass er die Steuern erhöht. Davon betroffen sind auch die Rüstungsunternehmen und die ihnen zuarbeitenden Firmen, deren Gewinne zwar allein dadurch zustande kommen, dass der Staat sie bezahlt, die sein egalitärer Blick aber gleichwohl als Teil des Ensembles von Geldverdienern kennt, die ihm mit ihrer firmeneigenen Bereicherung als Quelle seiner Macht dienen. In dem Maße, wie sich der russische Staat am verdienten Geldreichtum seiner Gesellschaft bedient, strapaziert er diese Quelle zugleich. Er schädigt die schon belastete Ökonomie, auf deren Leistungsfähigkeit er für seinen Krieg verwiesen bleibt und deren Kapitalmangel er zugleich in Rechnung stellt, weswegen er den Zugriff wiederum begrenzt und an vielen Stellen mit Sonderbedingungen entschärft.
Eine außerordentlich ergiebige Geldquelle findet er in den Rohstoffunternehmen vor: Die Erlöse, die sie an sich ziehen, stehen in einem besonders vorteilhaften Verhältnis zu den geringen Kosten, die für den Abbau und Transport der Rohstoffe nötig sind. Im Vergleich zu den Unternehmen aus der produzierenden Industrie können sie enorme Gewinnspannen erzielen. Insofern sie dabei nicht für den internen Markt produzieren, sondern auf den Weltmarkt exportieren, erlösen sie viele Devisen, denn die Sanktionen haben die Einnahmen aus dem Export zwar insgesamt verringert, aber weil die russischen Rohstoffe für viele Länder als unerlässliche Versorgungsquelle für Energie fungieren, findet Russland nach wie vor Abnehmer.
Die Steuern und Abgaben, die der Staat auf die in Rubel umgetauschten Deviseneinnahmen der Rohstoffkonzerne erhebt, machen etwa ein Drittel der Gesamteinnahmen seines Haushalts aus und decken rechnerisch ungefähr die Kriegsaufwendungen – jedenfalls die offiziell angegebenen. Darüber hinaus benutzt er die Einnahmen der Rohstoffunternehmen als Mittel für die Finanzierung diverser staatlicher Fonds, prominent des National Wealth Fonds (NWF), eines auf Rohstoffeinnahmen basierenden staatlichen Sondervermögens, das zu großen Teilen in russischen Wertpapieren angelegt ist und dem Staat dazu dient, die Abhängigkeit seiner Haushaltsplanung von der Volatilität des Weltenergiemarktpreises für Öl und Gas zu relativieren. Seit Beginn des Krieges greift er vermehrt auf diese Mittel zurück, um beispielsweise kostspielige Infrastrukturprojekte oder direkt seinen Haushalt zu finanzieren, was die liquiden Mittel des Fonds mehr und mehr aufzehrt. Außerdem verpflichtet der Staat die Energiekonzerne zum Einsatz ihrer Kapitalmacht für verschiedene von ihm definierte Zwecke.
Mobilisierung des Nationalkredits
Zur Deckung des Geld- und Kapitalbedarfs seiner für die Kriegsproduktion beanspruchten und vom Westen sanktionierten Wirtschaft bleibt der Staat nicht auf die Gelderträge beschränkt, die der Geschäftsgang seiner Gesellschaft hervorbringt und von denen er sich einen Teil abgreift. Für seine eigene Finanzierung wie für die Ausstattung der Wirtschaft mit Kapital steht ihm das nationale Kreditgewerbe zur Verfügung – dessen Fähigkeit, die Macht des Geldes, das durch erfolgreiche kapitalistische Geschäfte noch gar nicht geschaffen worden ist, gegen Zins verfügbar zu machen.
Dieses Gewerbe ist freilich von den durch Krieg und Wirtschaftskrieg verursachten Zerrüttungen des nationalen Wirtschaftslebens, vieler einzelner Kapitalkreisläufe und der Reproduktion des Kapitals des Landes insgesamt naturgemäß besonders betroffen. Der Kreislauf der Kredite – Vorschüsse, die sich durch erfolgreiche Geschäfte der Schuldner, insgesamt durch Akkumulation des Kapitals verwerten und so die Macht des Sektors zur Kreditschöpfung steigern – funktioniert angesichts des Durcheinanders neuer und alter Anforderungen nicht mehr bedarfsgemäß. Kriegswichtige Industrien brauchen Vorschüsse in ungewohnter Größenordnung, andere bieten nicht mehr die gewohnten Erfolgsaussichten. Die Sicherheit von Zins- und Tilgungszahlungen ist nicht mehr wie bisher zu haben; das be- oder verhindert sogar Kreditschöpfung und -vergabe. Wo Geschäfte weiterlaufen, werden unter Umständen unbediente Forderungen akkumuliert, die als wertlos abgeschrieben werden müssen.
Überall da, wo der Staat gewinnbringende Produktion anheizt, durch Preisdiktate und -kontrollen beschränkt oder an fehlender Kaufkraft scheitern lässt, ist er als Herr und Gestalter des nationalen Kreditgeschäfts gefordert. Er erfüllt diese Aufgabe – keineswegs ohne neue Störungen und Ungleichgewichte zu verursachen – mit dem Einsatz des gesamten Repertoires staatlicher Kreditbewirtschaftung: mit Aufträgen an die Großbanken, die ohnehin ihm gehören, zu zinsgünstiger Kreditvergabe; durch Spezialbanken mit besonderen Finanzierungsaufgaben; mit Eingriffen ins Kreditgeschäft mittels Subventionen, Garantien etc. Vor allem gibt er seinen Banken per Anpassung seiner Bankenvorschriften und mit den günstigen Refinanzierungsbedingungen durch seine Notenbank die Lizenz, die Kreditschöpfung von der Bindung an verfügbare Einlagen sehr weitgehend zu befreien. Lauter Maßnahmen, die davon zeugen, dass die Einlagen, Einnahmen und Sicherheiten, mit denen das Kreditgewerbe im idealen Normalfall im großen und ganzen seinen Kreditkreislauf bewerkstelligt, den neuen Leistungsanforderungen überhaupt nicht genügen. Mit seinen Interventionen tritt der Staat selbst mit eigenen Finanzmitteln als Investor, Kreditgarant, letztlich als Schöpfer der Kreditschöpfungsmacht des Finanzkapitals der Nation in Aktion.
Die Leistungen des Finanzsystems nutzt der Staat auch für sich: Die bleibende Lücke zwischen den Haushaltseinnahmen und den – auch gerade durch die staatlichen Kreditsubventionen gestiegenen – Ausgaben deckt er, ganz nach den Regeln kapitalistischer Staatskunst, seinerseits bei seinen Kreditinstituten mit Anleihen, die die in Anspruch genommene Finanzmacht der Banken nicht aufzehren, sondern dadurch stärken, dass der Schuldner, der Staat, schlicht mit seiner souveränen Macht als Garant ihres Werts darin steckt. Sein Machtwort stiftet die Sicherheit und damit das finanzkapitalistische Wachstum, das ihm für seinen Geldbedarf als Finanzmasse zu Gebote steht: als Kreditmasse, die er selbst in seiner Eigenschaft als Nationalbank, kraft seiner Geldhoheit, mit der Emission von Krediten in Zahlungsfähigkeit verwandelt, nämlich als Rubel zirkulieren lässt. Damit befähigt er die Banken zu ihrer Geschäftstätigkeit, einschließlich der Finanzierung der staatlichen Haushaltsdefizite.
In Gestalt der Notenbank macht der Staat durch sein Machtwort Schulden zu Zahlungsmitteln, die ihm zum freien Verfügen über Reichtum und Bevölkerung des Landes dienen. Mit dem Einsatz seiner Rubel als flächendeckend wirksames, im Lebensprozess seiner Gesellschaft omnipräsentes Kommandomittel übt er seine Herrschaft aus, betätigt sich als Gewaltmonopolist, der seine Nation jahrelang Krieg führen lässt. Wladimir Putins neues Russland: mit seiner Kriegswirtschaft ein Musterexemplar der innigen Symbiose von Kapitalismus und Staatsgewalt.
Bewährungsprobe
Das ändert allerdings nichts daran, dass die Kreditmassen, mit denen der Staat seine Gesellschaft bewirtschaftet, durch die damit zustande gebrachte Akkumulation kapitalistischen Reichtums nicht in auch nur annähernd gleicher Größenordnung als vorweggenommene Mehrung kapitalistischer Wachstumsmacht ökonomisch gerechtfertigt, als »abstrakter Reichtum« in Wert gesetzt werden. Der Staat bezahlt mit Schulden und lässt seine Gesellschaft mit Schulden bezahlen, die zum überwiegenden Teil nicht zukünftigen kapitalistischen Ertrag repräsentieren, sondern bloßen staatlichen Konsum, und zwar – auch wenn mancher technologische Kollateralnutzen dabei herausspringt – einen denkbar unproduktiven: Die geschaffenen und bezahlten Gebrauchswerte werden auf gegenwärtigen und zukünftigen Schlachtfeldern verbraucht; ihr in Rubel bezifferter und zirkulierender Wert wird unproduktiv verzehrt.
Um die notwendige Folge, die Inflation des Rubels, zu bekämpfen, erhöht die Notenbank den Leitzins auf um die 20 Prozent, was durch die dadurch bewirkte Verteuerung der Kreditkosten die Zunahme an zusätzlicher Zahlungsfähigkeit und die damit einhergehenden Preissteigerungen drosseln und so die Solidität der nationalen Kreditschöpfung wiederherstellen soll – mit dem widersprüchlichen Effekt, dass das nicht bloß die Verschuldung des Staates selbst verteuert, sondern die Zahlungsfähigkeit der russischen Unternehmen noch weiter überfordert, die fortlaufend unter der steigenden Zinslast leiden. Deshalb flankiert der Staat die Maßnahmen seiner Zentralbank mit einer Ausweitung seiner Kreditsubventionen, die die Inflationsbekämpfung wiederum relativieren. Dieser Widerspruch wird in Russland deutlich in Form eines Dauerstreits zwischen der Notenbankchefin, die sich über die Sabotage ihrer Geldpolitik durch die staatlichen Unterstützungsleistungen beschwert, und verschiedenen Unternehmervertretern, die vor einer drohenden Insolvenzwelle warnen.
Mit dem wirklichen Grund der Sache – dem Verhältnis zwischen staatlich autorisierter Schöpfung von Zahlungsfähigkeit allein für unproduktiven Staatsverbrauch und der wirklichen erweiterten Reproduktion der Macht des kapitalistischen Reichtums – hat es in Russlands Kriegswirtschaft allerdings seine besondere Bewandtnis. Mit dem Kredit, den er schöpft und schöpfen lässt und als Zahlungsmittel verwendet, finanziert der Staat eben keine irgendwie nützlichen, indirekt produktiven Vorleistungen, sondern Zerstörung, buchstäblich das Verpulvern eines ganzen Warenarsenals. Die dafür aufgewandten Gelder mindern die Reproduktion des notwendigen produktiven Reichtums der Nation im ganzen. Kapitalwachstum findet schon noch statt – was an Kapitalvorschuss von Staats wegen in das Wachstum der entsprechend kreditierten kriegswichtigen Firmen und Branchen hineinfließt, macht sich aber nicht durch Verkauf an andere Kapitale, also in Beiträgen zu deren Reproduktion und Akkumulation bezahlt, sondern vermehrt allein die staatlichen Verbindlichkeiten, wirkt bezogen auf den gesamtgesellschaftlichen Kapitalkreislauf als unproduktive Aufblähung des nationalen Kapitalvorschusses. Dem steht keine Fortführung des nationalen Produktionsprozesses gegenüber, sondern dessen Rückgang, eine Minderung der Macht des Kapitals zu Reproduktion und Wachstum. Denn was der Staat sich für seinen Krieg an Ressourcenverbrauch leistet, fehlt für die Erhaltung dieser Macht, was sich für die betroffenen Firmen als nicht bzw. nur mit entwertetem Geld bezahlbare Teuerung darstellt.
Russlands Rubel-Kapitalismus hält das aus, offensichtlich, schon im vierten Jahr. Die staatlichen Rechnungen gehen auf, weil eine Geldquelle zur Verfügung steht, die unverhältnismäßig viel mehr Geld einbringt, als sie an Vorschuss kostet: die – schon erwähnte – Ausfuhr von Energieträgern und anderen auf dem Weltmarkt gefragten Naturstoffen. Das wirkt, bezogen auf das rechnerische Verhältnis zwischen Kapitalvorschuss und Ertrag auf nationaler Stufe, wie ein enormes Plus an Kapitalproduktivität, rechtfertigt insoweit die Staatsschulden, mit denen der Krieg und die Beschaffung einer wachsenden Masse an tauglichen Kriegsmitteln finanziert werden. Eine wirkliche Kompensation dieses unproduktiven Aufwands ist das allerdings nicht. Dem Staat ersparen diese Einnahmen zum Teil eine Vermehrung seiner Schuldtitel, für deren Wert er allein mit seiner Geldhoheit einsteht. Was er damit bezahlt, die Kosten des Kriegs und die Geschäfte seiner Rüstungsindustrie, wird dadurch nicht produktiv, mehrt die Produktivkraft des nationalen Kapitals nicht nur nicht, sondern entzieht ihm die nötigen materiellen Mittel. Das im Export so wohlfeil verdiente Geld fehlt überall da, wo es für Investitionen in die Erhaltung und Steigerung der Akkumulation des nationalen Kapitals nicht nur vorgesehen war, sondern nötig ist, verplant und unerlässlich für den Status des russischen Kapitalismus als potenter Teil des Weltgeschäfts, als Macht an den Weltmärkten nicht nur für Öl und Gas, sondern für Technologie, für Geld und Kapital. Dass die Überschüsse aus dem Exportgeschäft, die Russland trotz aller westlichen Sanktionen einnimmt, rechnerisch – wie es heißt – den Kosten seiner Kriegführung entsprechen, ist schön für das Verhältnis, in dem die Nationalbank in ihren Bilanzen der Schaffung von Liquidität Devisen gegenüberstellen kann und nicht nur explodierende Verbindlichkeiten – in letzter Instanz – der Staatsmacht. An der Minderung der Wachstumsmacht des nationalen Gesamtkapitals durch den weit überproportional wachsenden Anteil der kriegsnotwendigen Akkumulation von Kredit im »militärisch-industriellen Komplex« ändert das nichts.
Russlands Kriegswirtschaft ist eine harte Probe auf die Leistungsfähigkeit des nationalen Kapitalismus als materielle Basis der kostspieligen Selbstbehauptung russischer Weltmacht im Ukraine-Krieg gegen den Reichtum, den der Westen dort in den Verschleiß der russischen Militärmacht investiert. Konsequenterweise verlangt dieser Kapitalismus für den Bestand, also die Wiederherstellung und Steigerung seiner ökonomischen Macht, ein Kriegsergebnis, das der nationalen Rubel-Ökonomie den Status einer Wirtschaftsmacht verschafft, die die Weltmärkte für kapitalistisches Wachstum umfassend zu ihrem Vorteil bewirtschaftet. Wenn die Produktivkraft des nationalen Kapitals Russland zum Erfolg als kriegerisch konkurrenzfähige Weltmacht befähigen soll, dann muss ein Sieg her, der den nationalen Kapitalismus nachhaltig vor seiner Ruinierung bewahrt, also im Weltvergleich dominant macht. Auch darum kämpft Russland in der Ukraine.
Mehr zum Thema im Heft 3/25 der Zeitschrift Gegenstandpunkt und auf der Webseite: gegenstandpunkt.com
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Markus H. aus Deutschland (20. Dezember 2025 um 01:19 Uhr)Der Artikel schreibt Russland Kriegsziele zu, die mit der Realität nichts zu tun haben: »ein Kriegsergebnis, das der nationalen Rubel-Ökonomie den Status einer Wirtschaftsmacht verschafft, die die Weltmärkte für kapitalistisches Wachstum umfassend zu ihrem Vorteil bewirtschaftet« – »Auch darum kämpft Russland in der Ukraine«. Diese Behauptung steht in eklatantem Widerspruch zu den tatsächlich erklärten Zielen der russischen Regierung. Eines gehört ganz sicher nicht dazu: dass ein Sieg in der Ukraine Russlands Wirtschaft an die Spitze der Weltmärkte katapultieren solle. Erstens orientiert sich Russland längst nicht mehr am von den USA und Westeuropa dominierten »freien Weltmarkt«, der inzwischen nicht einmal mehr die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung umfasst. Stattdessen setzt es auf alternative Wirtschaftsbeziehungen zu China, den BRICS-Staaten und weiteren Ländern. Zweitens ist völlig unklar, wie ein russischer Sieg in der Ostukraine Russland wirtschaftlich nennenswert stärken sollte. Die dort weitgehend zerstörte Wirtschaftsstruktur reicht kaum aus, um die ansässige Gesellschaft zu tragen. Die »neurussischen« Gebiete dürften auf absehbare Zeit ein reines Zuschussgeschäft bleiben. Der Autor ignoriert sowohl die konkrete Lage in den umkämpften Gebieten als auch die klar formulierten Ziele der russischen Regierung. Stattdessen flüchtet er sich in theoretische Konstruktionen wie: »Konsequenterweise verlangt dieser Kapitalismus […] ein Kriegsergebnis […]« – als wäre diese Abstraktion ein absichtsvoll handelndes Subjekt. Am Ende steht die These, Russland mache sich nun und künftig daran, die Welt wirtschaftlich auszunutzen, gar zu dominieren, um die Kosten des Ukrainekrieges zu kompensieren. Für diese Behauptung bleibt der Autor jeden empirischen Nachweis schuldig. Es ist eine weitere Variante des Musters »der Russe steht vor der Tür« – als ob es davon nicht längst genug gäbe.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (18. Dezember 2025 um 13:10 Uhr)Der Text ist informatorisch und sachlich an ökonomischen Grundsätzen orientiert. Dass die Kommentatoren dies aus eigener Ansicht anders sehen können, ist nachvollziehbar. Aber die existentielle Krux der Reproduktion bleibt bestehen im Missverhältnis von Akkumulation und Konsumtion. Dieses ist nicht immer und sofort sichtbar, sondern ein quasi schleichendes Gift. Wenn die Konsumtion die Investitionen in den Kapitalstock dauerhaft übertrifft, wird es gefährlich. Der Autor bezieht das hier nur auf Russland. Aber die Länder der EU tun nichts anderes. Nur sehr viel konfuser und planloser und auch schon über einen längeren Zeitraum mit übermäßigen Schulden. Siehe Bildung, ÖPNV, Brücken etc. Der Krieg schadet beiden Seiten gleichermaßen und ist ökonomisch schwachsinnig. Politisch jedoch nicht, trotz des Substanzverzehrs. Genau darauf spekuliert die EU-Spitze, dass Russland auf Umwegen doch noch ruiniert wird (jetzt auch noch mit Hilfe der Aktivierung des russ. Auslandsvermögens). Es wäre jedoch im Ergebnis möglich, dass die EU schneller kollabiert an Größenwahn, Unvernunft, fehlenden ökonomischen (fiskalischen) Grundlagen und politischer Hilf- und Planlosigkeit (dafür um so größerem grundlosem Sendungsbewusstsein). Das System, das über die besseren Reproduktionsmöglichkeiten (und sie zu aktivieren versteht) verfügt, gewinnt am Ende.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (18. Dezember 2025 um 12:06 Uhr)Als man sich schon lange fragt, was den Autor antreibt und worauf er eigentlich hinaus will, kommt er endlich zur Sache: Putins böser Staat »betätigt sich als Gewaltmonopolist, der seine Nation jahrelang Krieg führen lässt [aus Jux und Tollerei?]. Wladimir Putins neues Russland: mit seiner Kriegswirtschaft ein Musterexemplar der innigen Symbiose von Kapitalismus und Staatsgewalt.« Hat es jemals einen Staat gegeben, der sich nicht als Gewaltmonopolist betätigt? Solche Binsenweisheiten präsentiert uns einer der Autoren des Gegenstandpunkts als neue Erkenntnis, und staatliches Gewaltmonopol sei etwas ganz Schlimmes. Und schließlich stimmt er in den Chor der kriegstreibenden Medien ein, die jeden Tag prophezeien: Putin ist nicht zu trauen, er wird nach einem Friedensschluss irgendwann vor Berlin stehen: »Die geschaffenen und bezahlten Gebrauchswerte werden auf gegenwärtigen und zukünftigen [!] Schlachtfeldern verbraucht«. Russlands Verteidigung der nationalen Souveränität und Kampf gegen eine weitere Einkreisung durch die NATO wird in eine »kostspielige Selbstbehauptung russischer Weltmacht« umgetauft. Kein Wort davon, dass es Putin war, der den Ausverkauf und die Verwandlung Russlands in eine Halbkolonie gestoppt hat. Fazit: Ein »Gegenstandpunkt« zur tagtäglichen Kriegspropaganda ist das jedenfalls nicht.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (18. Dezember 2025 um 14:23 Uhr)Beim GSP muss halt alles ins axiomatische System passen. Wenn nicht, gilt Hegels Satz: »Um so schlimmer für die Wirklichkeit!«
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Harald M. aus Belarus (18. Dezember 2025 um 05:12 Uhr)Der Autor war wohl in den letzten Jahren nicht in Russland, denn dort geht das Leben, wie ich jährlich seit 2020 selbst feststellen konnte, ganz normal weiter. Russland hat noch lange nicht auf Kriegswirtschaft umgestellt, denn Kriegswirtschaft würde bedeuten, dass fast alle Unternehmen im Dienste des Militärs arbeiten, was aber bei Weitem nicht der Fall ist. Außerdem ist die Effektivität des Einsatzes der finanziellen Mittel zur Entwicklung und dem Bau moderner Waffen wesentlich höher als in den westlichen Hauptländern, und so kommt Russland mit relativ kleinen Beträgen aus, die um ein Vielfaches geringer sind als z.B. der »Verteidigungshaushalt« der USA. Die Importsubstitution von Gebrauchsgütern für den Normalbürger ist weit fortgeschritten und die Geschäfte sind voll mit Waren aus russischer Herstellung, die auch in andere Länder exportiert werden. Die Infrastruktur wird weiterhin großzügig ausgebaut und der Wohnungsbau ist auch auf hohem Niveau. Inzwischen hat die Nationalbank den Leitzins halbiert. Es kann gesagt werden, dass die Operation in der Ukraine keinen wesentlichen Einfluss auf das tägliche Leben hat. Die westlichen Sanktionen haben zwar einige Schwierigkeiten gebracht, aber nicht zu einer entscheidenden Verschlechterung der Lage der einfachen Menschen geführt, was auch die hohen Popularitätswerte von Putin und seiner Regierung zeigen. Das neue Zahlungssystem, das mit den Systemen der anderen BRICS-Länder verbunden wird, arbeitet ausgezeichnet und die Karte »MIR« arbeitet normal und ersetzt die westlichen Kreditkarten. Der Rubelkurs ist gegenüber den westlichen Hauptwährungen weitgehend stabil und die Goldreserven des Staates werden ständig vergrößert. Die Dedollarisierung und die Bildung einer multipolaren Welt ist im vollen Gange. Russland hat sich vom Westen abgewandt und arbeitet jetzt bevorzugt mit den östlichen Ländern, vor allem China, Indien, den ASEAN-Staaten und Ländern des globalen Südens in Afrika und Lateinamerika zusammen.
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