Die Türkei trocknet aus
Von Eike Seidel
Im Konya-Becken, dem Zentrum der türkischen Agrarproduktion zwischen Antalya und Ankara, meldete die Katastrophenbehörde zuletzt rund 800 neue Bodenabsenkungen. Andere Quellen berichten von rund 2.000 solcher Löcher im karsthaltigen Gestein – teils Hunderte Meter tief. Mit Durchmessern bis zu 30 Metern machen sie das Befahren der Ackerflächen zunehmend riskant.
Die Ursachen sind vielfältig. In der Türkei liegt der Hauptgrund in der starken Grundwassernutzung für wasserintensive Feldfrüchte wie Zuckerrüben und Weizen. Der Boden trocknet aus, verliert seine Stabilität und bricht zusammen. Verstärkt wird dies durch zunehmende Trockenheit und eine Landwirtschaft im industriellen Maßstab, die die Böden nicht tragen. Die vergangenen beiden Jahre waren die trockensten seit Menschengedenken. Bis 2030 erwarten Experten, dass ein Großteil der Bevölkerung unter Wasserstress leidet.
Der weltweite Verlust des Grundwassers wird durch zwei Forschungssatelliten dokumentiert, die als »Tom und Jerry« im Rahmen des EU-Projekts Global Gravity-based Groundwater Product (G3P) mittels Satellitengravimetrie die weltweiten Grundwasservorkommen und deren Veränderungen erfassen. Innerhalb eines Monats wird durch die beiden Satelliten die gesamte Erdoberfläche auf Veränderungen in der Gravitation untersucht, die nach komplexen Berechnungen schließlich die Veränderung im Boden ausweisen. Und diese Veränderungen sind im wesentlichen die im volatilsten Anteil der Masse im Boden – dem Grundwasser.
Eine Studie der Universität Arizona zeigt: Der Verlust von Grundwasser trägt stärker zum Meeresspiegelanstieg bei als das Schmelzen der Eisschilde in der Antarktis und in Grönland. Seit 2002 wächst die Grundwassermenge nur noch in den Tropen. »Es ist erschreckend, wie viel nicht erneuerbares Wasser wir verlieren«, warnt Studienleiter Hrishikesh Arvind Chandanpurkar. Gletscher und tiefes Grundwasser seien wie uralte Treuhandfonds. Statt sie nur in Notlagen zu nutzen, würden sie als unerschöpfliche Quellen behandelt. Ferner würden die Speicher in feuchten Jahren nicht wieder aufgefüllt. Chandanpurkar: »So steuern wir auf eine akute Wasserpleite zu.«
In der Türkei sind heute schon eine Reihe von natürlichen und künstlichen Seen nahezu oder ganz ausgetrocknet. So ist der Salzsee Tuz Gölü in der Gegend um Konya heute so gut wie ausgetrocknet – infolge der Ableitung seiner Zuflüsse für die landwirtschaftliche Bewässerung. Der Bafa-See, einst eine Attraktion an der Ägäisküste mit einer Fläche von ehemals 15 Prozent des Bodensees, ist heute mangels Zufluss durch den Fluss Menderes nahezu verschwunden. Auch der Vansee, der größte See der Türkei, trocknet zunehmend aus.
In den 1970er Jahren galten 50 Prozent der Türkei als trocken oder halbtrocken. 2022 waren es bereits 65 Prozent. Wissenschaftler erwarten bis 2050 einen Anstieg auf 80 Prozent. Klimaforscher rechnen bis Ende des Jahrhunderts mit deutlich höheren Temperaturen: im Sommer plus fünf bis sieben Grad, im Frühling und Herbst plus drei bis fünf Grad. Nur die Schwarzmeerregion und Nordostanatolien bleiben vergleichsweise verschont. Dürre- und Hitzeperioden werden im Rest des Landes immer häufiger.
Die Türkei behauptet, die Staudämme an Euphrat und Tigris dienten allein der Stromproduktion. Mit diesen Projekten soll die Wasserversorgung der am schwersten unter dem Wassermangel leidenden Region sichergestellt werden, indem das Wasser dieser Flüsse zurückgehalten wird. Der Wasserdiebstahl, der hier die »Unterlieger« Irak und Syrien betrifft, wird deren Wassermangel potenzieren.
Für jene Auguren, die den vom späteren UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali anlässlich der Konflikte um den Nilstaudamm in Äthiopien prophezeiten Krieg ums Wasser bis heute als unwahrscheinlich abtun, wird die Luft dünner. Hunger, Flucht und Wanderungsbewegungen nehmen unaufhaltsam zu. Dass bislang keine Bomben und Panzer eingesetzt wurden, gilt ihnen als Beweis für einen Irrtum. Doch das gezielte Aushungern und Verdurstenlassen großer Teile der Bevölkerung sind mindestens ebenso wirksam – eine Waffe, die das Völkerrecht klar benennt und die zunehmend eingesetzt wird.
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