Garten Eden vertrocknet
Von Eike Andreas Seidel
Der fruchtbare Halbmond verdurstet. Früher lagen im heutigen Irak und im arabischen Golf vor Basra fruchtbare Gebiete, die zum Vorbild für die biblische Vorstellung eines Garten Edens wurden. Doch damit scheint jetzt Schluss zu sein – das zumindest legen die jüngsten Zahlen der irakischen Regierung nahe.
Auf lediglich zehn Milliarden Kubikmeter Wasser beziffern sich die Reserven des Landes, die in normalen Jahren im Frühjahr mit 19 Milliarden nahezu doppelt so groß sein sollten. Schon seit vielen Jahren ist die Austrocknung des fruchtbaren Landes zu beobachten. Neben dem zunehmenden Niederschlagsmangel sind dafür teilweise auch unsinnige Maßnahmen des Regimes Saddam Husseins verantwortlich, das die Sümpfe im mittleren Irak (die als »mesopotamische Sümpfe« zum Weltkulturerbe gehören und bis in den Iran reichen) und die Sümpfe im Euphrat-Tigris-Delta bei Basra durch seinen »Glory River« trockenlegen ließ. Gleichzeitig wurden in Gegenden, die wegen ihrer Trockenheit für die Landwirtschaft nicht nutzbar sind, große Bewässerungsprojekte umgesetzt. Die Folge war eine großflächige Versalzung der Böden, die unter anderem durch DDR-Spezialisten in den 1980er Jahren durch Auswaschen des Salzes aus dem Ackerboden behoben werden sollte.
Zu wenig Sümpfe
Tatsächlich stellen Sumpfgebiete Wasserspeicher dar, die Landwirtschaft auch in Trockenperioden möglich machen. So hat auch im Jordantal nördlich des Sees Genezareth die Trockenlegung der dortigen Malaria-Sümpfe durch Israel in den 1950er Jahren viel zur Austrocknung des Tales und zur Absenkung des Wasserspiegels des Sees Genezareth beigetragen.
Auch die Kanalisierung der Flüsse und die Trockenlegung der Überflutungsgebiete an den Flussufern haben weltweit zum schnelleren Abfließen des kostbaren Wassers beigetragen und Überschwemmungen bislang unbekannten Ausmaßes bei Hochwasser begünstigt. Im Gegensatz zu den »natürlichen« Überschwemmungen der Vergangenheit, die – wie etwa im Niltal der Pharaonenzeit – neuen fruchtbaren Schlamm als Dünger hinterließen und die Felder vor der Versalzung schützten, indem sie das durch die Sonneneinstrahlung an die Oberfläche gebrachte Salz fortspülten, sind die neuen Hochwässer reißende Ströme, die fruchtbare Erde in Richtung Meer wegspülen.
Im Irak wurde in den vergangenen Jahren versucht, durch Zerstörung der Kanäle des »Glory River« die »mesopotamischen Sümpfe« wieder zu renaturieren und als Wasserspeicher zu nutzen. Dazu gab es auch eine Kooperation zwischen dem Iran und dem Irak. Der Wassermangel im Irak hat aber noch weitere Ursachen. Zu nennen ist zum einen der steigende Wasserverbrauch der »Oberlieger«, also der Türkei und des Iran, die die Wassermengen, die in den Irak abfließen, durch eigenen Verbrauch erheblich reduzieren; zum anderen die Vernutzung des Wassers im Irak selbst, indem die zunehmende Industrialisierung einen immer größeren Anteil des verfügbaren Wassers der landwirtschaftlichen Nutzung entzieht. Bislang war die Landwirtschaft weltweit mit 70 Prozent der Hauptnutzer von Wasser. Dieser Anteil wird in Zukunft weiter zurückgehen, und die Abwässer der Industrie und der Besiedelung sind ohne aufwendige Reinigungsmaßnahmen für eine weitere Nutzung unbrauchbar. Das Wasser, das heute über die Flüsse Euphrat und Tigris in Basra ankommt, ist für den menschlichen Gebrauch oder die Landwirtschaft nicht mehr nutzbar: Es ist eine braune, giftige und stinkende Kloake.
Einer der Flüsse des »Oberliegers« Iran ist der im Iran Sirwan, im Irak Diyala genannte Fluss, der durch einen von insgesamt 14 Staudämmen des »Tropical Water Projects« aufgestaut wird. Diese Staudämme sollen im Endausbau mit einer Kapazität von 1,9 Milliarden Kubikmetern Wasser sowie 150 Kilometern unterirdischen Tunneln Wasser in ländliche Gebiete im Süden des Iran umleiten. In der dortigen Region Chuzestan hatten Bauernaufstände infolge der jahrelangen Dürre im Jahr 2021 zu bewaffneten Auseinandersetzungen geführt. Verstärkt wurde der Wassermangel im Südwesten des Iran durch den Bau des Staudamms Chamshir am Zoreh-Fluss, dessen Wasserkraftwerk 2023 in Betrieb ging und bei dem die Befüllung des Stausees die Nutzung des Flusswassers durch die Landwirtschaft auf längere Zeit stark reduzierte.
Bei all diesen Staudammprojekten der »Oberlieger« müssen die »Unterlieger« bis zum Füllen des Sees mit enormer Knappheit auskommen. Und die Nutzung des Wassers nach der Befüllung der Stauseen reduziert die Menge des an die »Unterlieger« abgegebenen Wassers erheblich. Mittlerweile werden aus dem Iran sehr viele landwirtschaftliche Produkte in den Irak exportiert, dessen eigene Bauern am Diyala kaum noch bewässerungsintensive Pflanzen anbauen können. Als Reaktion auf diesen Wassermangel hat nun das weitgehend autonome kurdische Gebiet im Nordirak damit begonnen, seinerseits Dämme zu bauen, wodurch dem Süden noch weniger Wasser zukommt.
Zwischen dem Iran und dem Irak gibt es bislang noch keine Verträge über die Menge an Wasser, die der Iran in den Irak fließen lassen soll, um einen Ausgleich zwischen den verschiedenen von der Dürre betroffenen Gebieten zu schaffen. Die UN-Gewässerkonvention von 2014 wurde bislang nur von 35 Staaten unterzeichnet, darunter kein einziger der »Oberlieger«. Diese Konvention soll die Achtung der Interessen aller Anliegerstaaten von Fließgewässern regeln.
Wasserdieb Türkei
Es wundert auch nicht, dass neben dem Iran auch die Türkei dieser Konvention bisher nicht beigetreten ist. Hier sind es die 22 Staudammprojekte an Euphrat und Tigris im Rahmen des Südostanatolienprojektes der Türkei (auf türkisch Güneydoğu Anadolu Projesi; GAP). Der größte dieser Stauseen ist der Atatürk-Stausee mit einer Fläche eineinhalbmal so groß wie der Bodensee. Er und das an der Staumauer gebaute Kraftwerk gingen 1992 in Betrieb.
Das GAP dient insgesamt der kapitalistischen Entwicklung Ostanatoliens. Das Wasser soll zur Bewässerung genutzt werden, aber auch für die Industrie und damit zur ökonomischen Entwicklung der Region. Das Ergebnis ist in jedem Fall eine Reduzierung der durch Euphrat und Tigris nach Süden abfließenden Wassermenge in den Irak.
Speziell der Atatürk-Stausee am Euphrat war der Anlass für den späteren UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, 1985 von den nächsten Kriegen als den »Kriegen ums Wasser« zu sprechen. Konkret ging es in der damaligen Wasserkrise darum, wie viel Wasser noch für den Irak während der Befüllungsphase des Stausees übrig bleibe. Das Fassungsvermögen der 22 Stauseen des GAP ist so groß, dass zur Befüllung insgesamt ein ganzes Jahr erforderlich gewesen wäre. 1987 wurde dieser Konflikt durch die Vereinbarung entschärft, dass die Türkei pro Sekunde 500 Kubikmeter Wasser in den Irak abfließen lässt. Unterhalb des Atatürk-Staudamms wurde der Birecik-Damm nebst einem Kraftwerk im Jahr 2001 fertiggestellt. 3,5 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt folgt dann die Karkamış-Staustufe. All diese Stauseen dienen neben der Stromgewinnung auch der Bewässerung und damit der Verringerung der Wassermenge des Tigris.
Am Tigris wurde im Jahr 2020 der Ilısu-Staudamm 65 Kilometer von der irakischen Grenze entfernt fertiggestellt und die dazugehörigen Kraftwerke in Betrieb genommen. Als 2018 mit der Flutung des Sees begonnen wurde, floss nahezu kein Wasser aus dem Tigris mehr in den Irak. Um den Ilısu-Staudamm hatte es ein jahrzehntelanges Tauziehen gegeben. Mehrere Finanzierungskonsortien zogen sich wegen der unklaren politischen Situation aus dem Projekt zurück, die Weltbank weigerte sich, die Finanzierung zu übernehmen. Immer wieder wurden die negativen sozialen und umweltpolitischen Auswirkungen betont – nicht nur in bezug auf den Irak im Süden, sondern auch in bezug auf die massenhaften Umsiedlungen im Kurdengebiet um den Stausee.
Insgesamt, so wird angenommen, wird der Euphrat in einigen Jahren nur noch 50 Prozent der ursprünglichen Wassermenge, der Tigris sogar nur noch 25 Prozent in den Süden abgeben. Ob die UN-Gewässerkonvention in Zukunft diese Konflikte um die Wassernutzung zwischen den beteiligten Staaten regeln kann, ist fraglich.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (3. Juni 2025 um 11:01 Uhr)Tja, ausgerechnet dort, wo der Mensch zuerst in die Natur eingriff – wo Ackerbau und Städtebau ihren Ursprung fanden – herrscht heute akute Wasserknappheit. In jener Region, die einst als Garten Eden blühte, fehlt heute das Wasser, um überhaupt zu überleben. Was früher Quelle von Leben, Reichtum und Zivilisation war, ist heute ein ausgetrockneter Krisenherd. Hier zeigt sich eine bittere Realität: Zwar spielen klimatische Veränderungen eine Rolle, doch der Großteil des Problems ist menschengemacht. Fehlgeleitete Großprojekte, politisch motivierte Trockenlegungen, rücksichtslose Industrialisierung, ineffiziente Bewässerungssysteme und nationaler Egoismus bei der Wasserverteilung haben die Lage dramatisch verschärft. Staaten verfolgen ihre Eigeninteressen – ohne Rücksicht auf die Lebensgrundlagen der Menschen flussabwärts. Internationale Abkommen wie die UN-Gewässerkonvention werden ignoriert, weil kurzfristiger Profit über langfristige Nachhaltigkeit gestellt wird. Nicht die Natur hat den Garten Eden vertrocknet – sondern der Mensch, der ihn einst bewohnte und von ihm lebte. Was als Wiege der Zivilisation begann, droht durch politische Kurzsichtigkeit, ökonomische Gier und fehlende Zusammenarbeit zur Bühne eines ökologischen Kollapses zu werden. Die Frage ist längst nicht mehr, ob Wasser zum Auslöser künftiger Konflikte wird – sondern wann es endgültig zur Waffe wird.
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