»Der Westen war nicht Disneyland«
Von Marc Hairapetian
Von »Silverado« und »Der mit dem Wolf tanzt« über »Wyatt Earp« bis »Horizon«: Sie haben nie aufgehört, Western zu drehen. Warum jetzt noch die Dokureihe »Kevin Costner’s The West«?
Die Geschichten dieser Filme haben sich, auch wenn sie fiktionalisiert wurden, in Interaktionen zwischen Rot, Weiß, Schwarz und auch Gelb wirklich ereignet. Aber die Dokumentation ist noch näher an der eigentlichen Wahrheit. Wir, das sage ich als Weißer, misshandelten die »Native Americans« und beuteten sie zu unserem Vorteil aus – und durch die Sklaverei auch die Afroamerikaner –, um die Vereinigten Staaten aufzubauen. Dies detaillierter aufzuzeigen, als es ein Kinofilm vermag, war unser Anliegen. Wir wollten auch mit der Standardvorstellung über den sogenannten Wilden Westen, »Cowboys bekämpfen Indianer, und Indianer bekämpfen Cowboys«, aufräumen. Es war doch wesentlich komplexer. Vor allem politisch betrachtet.
Wie genau?
Die Dokureihe beginnt mit der berühmten Lewis-und-Clark-Expedition von 1804 bis 1806. Sie war die erste US-Überlandexpedition zur Pazifikküste und zurück. Meriwether Lewis und William Clark kartierten den Westen erstmals systematisch. Daraus leiten sich die frühen Machtansprüche der USA ab. Im weiteren Verlauf zeigen wir, wie sich Konflikte mit indigenen Völkern, zum Beispiel den Lakota, Comanche und Blackfeet, zuspitzten. Die Rollen von Cowboys, Pionierinnen, Siedlern, Gegnern der Sklaverei und Indigenen in einer Zeit des Umbruchs werden beleuchtet. Die großen Mythen des Westens werden nicht abgefeiert, sondern kritisch hinterfragt. Das war Voraussetzung für mich, um mitzumachen.
Warum sind Sie nicht nur als Präsentator, sondern auch als ausführender Produzent an Bord?
Du bist auf der anderen Seite der Kamera und versuchst, auch hier deinen Zugriff zu finden. Ich mag Geschichten, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt werden. So verhält es sich auch bei der Geschichte der Vereinigten Staaten. Es reicht einfach nicht, die Geschichte des Westens nur aus der Perspektive des privilegierten, weißen Mannes zu erzählen. Die Ureinwohner unseres Landes, denen soviel Unrecht angetan wurde, müssen nicht nur darin vorkommen, sondern auch ihr Blick auf die Ereignisse – und sei es durch ihre Nachkommen. Das ist immens wichtig. Manchmal kam ich mir bei der Produktion gefangen vor. Wie ein Fisch im Aquarium, der aber immerhin nach allen Seiten Ausschau halten kann.
Was ist mit der weiblichen Sicht?
Die Geschichte ist voll von Frauen, die vergessen wurden. Auch im Westen. Dabei waren sie für den Zusammenhalt der Siedler, die erste Gemeinschaften mit drei, vier Häusern in unmittelbarer Nachbarschaft bildeten, in erster Linie verantwortlich. Diese Frauen waren tapfer. Sie standen ihre Frau, griffen zur Not auch zur Waffe, um ihre Familie und das Hab und Gut zu verteidigen.
Gibt es eine Frau in der Geschichte des Westens, die Sie besonders hervorheben möchten?
Ja, das ist Cynthia Ann Parker. Da stimme ich mit meiner guten Freundin, der Historikerin Doris Kearns Goodwin, welche hier ebenfalls als ausführende Produzentin dabei ist, überein: Cynthia Ann Parker war eine Tochter von Siedlern, sie wurde 1836 während des Fort-Parker-Massakers von Comanchen entführt, da war sie zwischen neun und elf Jahre alt. Sie wurde von einer Indianerfamilie adoptiert, mit siebzehn heiratete sie einen Kriegshäuptling. Unter ihren Kindern war auch der spätere Häuptling Quanah Parker, der zäh gegen europäische Siedler und amerikanische Soldaten kämpfte. Cynthia Ann Parker wurde fast ein Vierteljahrhundert nach ihrer Entführung von Texas-Rangern aufgegriffen und gegen ihren Willen zu ihrer alten Familie zurückgebracht. Sie versuchte mehrfach vergeblich, zu ihrer indianischen Familie zurückzukehren. Und so verweigerte sie schließlich jede Nahrungsaufnahme und starb 1870. Ihre Geschichte zeigt die Komplexität und innere Zerrissenheit des Westens.
Sie haben viele Westernfilme gedreht. Was waren ihre Vorbilder, welche Filme haben Sie am meisten beeinflusst?
Die Stanley-Kramer-Produktion »Zwölf Uhr mittags« zum Beispiel. Unvergesslich, wenn der in einer kleinen Stadt im Kampf gegen die Banditen auf sich allein gestellte Gary Cooper am Ende seinen Sheriffstern in den Dreck wirft. Stanley Kramer hat immer politisch heiße Eisen angefasst.
Mir gefällt auch Ralph Nelsons 1970 entstandener Western »Das Wiegenlied vom Totschlag« sehr gut. Er thematisiert am Ende das Massaker am Sand-Creek. Es wurde 1864 im damaligen Colorado-Territorium an Cheyenne und einigen Angehörigen der Arapaho in ihrem Winterlager verübt. Angehörige zweier Kavallerieregimenter der Colorado National Guard unter Oberst John M. Chivington töteten 133 Menschen. Die meisten Opfer waren Frauen und Kinder. Der schonungslos grausame Film ist auch eine Analogie auf das Mỹ-Lai-Massaker vom 18. März 1968, bei dem US-amerikanische Soldaten 504 südvietnamesische Zivilisten ermordeten, darunter zahlreiche Kinder, Frauen und Greise.
Wie gefährlich war der historische Westen eigentlich?
Sehr gefährlich. Es war ein großes Gebiet, wo sich immer wieder Dramen zwischen Trappern und den »Native Americans« abspielten. Für die Siedler war es auch nicht einfach, ihre Familien in den Gebieten jenseits der Zivilisation mitzunehmen. Der Westen war nicht Disneyland! Es war nicht so romantisch, wie es seit mehr als 100 Jahren durch Hollywood verklärt wird. Es ging zur Zeit des »Wilden Westens« zuerst einmal vor allem ums Überleben. Es war wilder als wild. Es war gefährlicher als gefährlich. Wir können darüber einen Film machen. Sie können darüber schreiben. Aber was wirklich ein Klischee ist, ist dieser hemmungslose Romantizismus »Wilder Westen«.
Wie wichtig war der europäische Einfluss bei der Eroberung?
Er war sehr bedeutend. Spanier und Briten kamen über das Meer nach Louisiana. Alaska wurde von den Russen in Besitz genommen. Polnische Ingenieure bauten Staudämme in Michigan und Wisconsin und planten ab 1789 unter Leitung des US-Amerikaners Benjamin Wright, bei Buffalo den Eriesee mit dem Hudson River zu verbinden – den Eriekanal.
New York hieß als niederländische Kolonie erst Nieuw Amsterdam. Die Niederländer kauften die Insel Manhattan von den Ureinwohnern für einen symbolischen Betrag von 60 Gulden und gründeten darauf die Siedlung. Im Jahr 1664 eroberten die Briten die Kolonie und benannten die Stadt in New York um. Die Geschichte Amerikas lebt vom Ruhm, aber auch von den Eroberungsgelüsten der Europäer. Beim Klondike-Goldrausch 1896 war fast ganz Europa vertreten.
Wie wurde durch die Eroberung des Westens das moderne Amerika geformt?
Nachdem viele Stämme der »Native Americans« betrogen, vertrieben und ermordet sowie schwarze Sklaven ausgebeutet wurden, kam es irgendwann zu einer Verschmelzung mit den Eroberern und mit Emigranten aus den unterschiedlichsten Nationen. Sie wuchsen bei allen Ressentiments irgendwann zusammen. Das ist ein Prozess, der über 100, 200 Jahre brauchte. Aber erst, als man erkannte, was man den Ureinwohnern und der afroamerikanischen Bevölkerung an Leid zugefügt hatte, war ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Nährboden für eine wirkliche Diversität gegeben. Es entstand eigene Musik, ich denke da vor allem an Gospels und später Rock ’n’ Roll. Amerika entwickelte eine eigene Poesie, und wir begannen tatsächlich, eine Nation zu werden.
Was hat uns eine solche Doku über das Heute zu sagen?
Das ist eine interessante Frage. So, wie die Doku verschiedenen Kulturen Rechnung trägt, ist sie auch eine Antwort auf die Leute, die in der Trump-Ära Grenzen ziehen wollen, beispielsweise zu Mexiko, und sagen: »Wir brauchen keine neuen Leute mehr!« Meiner Ansicht nach ist es doch vielmehr so: Wir brauchen einen größeren, ja viel weiteren Blick auf uns selbst, mehr Empathie und das Verständnis, dass die Geschichte, nicht nur die Amerikas, mit uns endet. Wir sind ein Teil eines Kontinuums.
»Kevin Costner’s The West«, acht Teile, auf »The History Channel« via Amazon Prime und Apple TV
Kevin Costner, 1955 im kalifornischen Lynwood geboren, ist Schauspieler, Filmproduzent und Regisseur. Für den Western »Der mit dem Wolf tanzt« erhielt er 1990 Oscars für den besten Film und die beste Regie
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