Thema verfehlt
Von Christoph Butterwegge
Seit der Covid-19-Pandemie, der Energiepreisexplosion und der sich nur langsam beruhigenden Inflation dringt die Armut verstärkt in die Mitte der Gesellschaft vor, während sich der Reichtum immer stärker bei wenigen (Unternehmer-)Familien konzentriert. Die soziale Ungleichheit ist das Kardinalproblem unseres Landes, weil sie sowohl Gift ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt als auch eine Gefahr für die Demokratie.
Dass die seit über einem halben Jahr von CDU, CSU und SPD gestellte Bundesregierung diesbezüglich nur ein arg begrenztes Problembewusstsein hat, zeigt ihr am Mittwoch vorgelegter Armuts- und Reichtumsbericht, in dem die soziale Polarisierung in Deutschland heruntergespielt wird. Während die Gesellschaft materiell und sozialräumlich immer deutlicher auseinanderfällt, gerät der Regierungsbericht umfangreicher denn je. Er umfasst gut 650 Seiten und enthält eine Unzahl von Statistiken, Tabellen und Schaubildern. Die Leser werden von dem unübersichtlichen Zahlenwerk regelrecht erschlagen, es gleicht einem Datenfriedhof. Weniger wäre an dieser Stelle mehr gewesen. Vielleicht haben die Verfasser am Ende vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr gesehen und den Kern des Problems verfehlt.
Weder erfasst der Regierungsbericht die strukturellen Armutsursachen noch liefert er die entscheidenden Informationen zum überbordenden Reichtum. Über die Armut, ihr soziodemographisches Profil (Verteilung auf die Geschlechter, die Altersgruppen, den Haushaltstyp und die Staatsbürgerschaft), ihre Entstehungsursachen sowie ihre Folgen für die Betroffenen wie die Gesellschaft erfährt man in dem vom Paritätischen Gesamtverband jährlich auf 30 bis 40 Seiten veröffentlichten Armutsbericht mehr als auf den gut 650 Seiten des Regierungsdokuments. Dem immer noch riesigen Niedriglohnsektor wird zu wenig Beachtung geschenkt, obwohl er das Haupteinfallstor für die Armut in Deutschland ist.
Um zu erfahren, dass es in Deutschland über 256 Milliardäre und Multimilliardäre gibt, von denen übrigens nur einer aus Ostdeutschland stammt, muss man das Sonderheft 2025 des Manager-Magazins heranziehen. Und um die strukturellen Zusammenhänge zu verstehen, sollte man die Fachliteratur zur sozioökonomischen Ungleichheit zu Rate ziehen. Genannt seien die Bücher »Blackbox Steuerpolitik« von Julia Jirmann, »Steuer-Revolution!« von Karl-Martin Hentschel und Alfred Eibl, »Toxisch reich« von Sebastian Klein sowie »Unverdiente Ungleichheit« von Martyna Linartas. Die Verfasser des Berichts haben darauf verzichtet, diese Literatur zu konsultieren, vermutlich weil die Bundesregierung politisch nicht mit den kritischen Autoren übereinstimmt.
Christoph Butterwegge ist Mitglied im Wissenschaftlichen Gutachtergremium für den Siebten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung und hat bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt
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