Damaskus provoziert Pogrome
Von Wiebke Diehl
Die syrischen »Sicherheitskräfte« gehen erneut verstärkt gegen die Alawiten des Landes vor. So eröffneten sie am Dienstag das Feuer auf friedliche Demonstranten in Homs und Hama sowie in mehreren Küstengebieten. Die Protestierenden forderten ein Ende der Gewalt gegen Minderheiten, die Freilassung von inhaftierten Alawiten sowie Föderalismus und politische Dezentralisierung. Der libanesische TV-Sender Al-Majadin berichtete unter Berufung auf Zeugen, dass Menschen von Einsatzkräften überfahren wurden. Auch in Städten wie Latakia, Tartus, Banias und Dschabla sei wahllos scharfe Munition eingesetzt worden. Angreifer hätten Parolen gegen die Glaubensgemeinschaft der Alawiten gegrölt, der auch der gestürzte Präsident Baschar Al-Assad angehört. Zudem sei es zu zahlreichen Festnahmen gekommen.
Die Proteste Tausender Angehöriger der alawitischen Minderheit, an denen sich auch Christen beteiligten, folgten einem Aufruf des religiösen Führers der Glaubensgemeinschaft in Syrien, Scheich Ghazal Ghazal. Anlass war ein Angriff auf alawitische Zivilisten durch Milizen und Stammeskämpfer, die unter dem Befehl des Innenministeriums stehen. Zuvor war in Homs ein getötetes sunnitisches Ehepaar aus dem Bani-Khaled-Stamm gefunden worden, in dessen Wohnung ein mit Blut geschriebener antisunnitischer Slogan wahrscheinlich gezielt plaziert worden war, um Übergriffe auf Alawiten zu rechtfertigen. Selbst das syrische Innenministerium spricht von einem Versuch der Anstiftung.
Morde an Angehörigen syrischer Minderheiten sind seit dem Sturz Assads an der Tagesordnung. Im März wurden insbesondere in den Gouvernements Latakia und Tartus Tausende alawitische Zivilisten von Milizen unter Kontrolle der neuen Regierung ermordet. Unter ihnen befanden sich auch Verbände des syrischen Al-Qaida-Ablegers Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) von Abu Mohammed Al-Dscholani, der sich nach dem Putsch vom 8. Dezember zum Präsidenten ernannt hat und wieder unter seinem bürgerlichen Namen Ahmed Al-Scharaa auftritt. Ähnlich dem Vorgehen des »Islamischen Staats« (IS) gegen Jesiden entführen Milizionäre regelmäßig junge alawitische Frauen – um Lösegeld zu erpressen oder sie sexueller Gewalt auszusetzen. Im Juni starben bei einem Anschlag auf die Mar-Elias-Kirche in Damaskus mindestens 22 Menschen. Und im Juli töteten Stammesmilizen und sogenannte Sicherheitskräfte in Südsyrien mehr als 2.000 Menschen, vorwiegend Drusen. Monatelang wurde die Provinz Suweida zudem mit einer Blockade belegt und die Versorgung der Bevölkerung gestoppt.
Die Täter bleiben in der Regel straflos. Auch in einem Mitte November in Aleppo gestarteten Gerichtsprozess werden die Hintermänner nicht angetastet. 14 Angeklagten, laut Justizkreisen zur Hälfte Vertreter der alten und der neuen Regierung und ihres Sicherheitsapparats, werden unter anderem eine Anstachelung zu konfessionellen Spannungen, Diebstahl und Angriffe auf Einsatzkräfte zur Last gelegt. Im Juni hatte Reuters eine Recherche veröffentlicht, die zu dem Schluss kam, dass die Befehlskette bei den Massakern an den Minderheiten direkt zu Kommandeuren im Dienst der Regierung führe. Die Täter seien vom Sprecher des Verteidigungsministeriums, Hassan Abd Al-Ghani, sogar über eine Telegram-Gruppe gesteuert worden. Ein Ende Juli vorgelegter Untersuchungsbericht hingegen verschleiert die längst belegte direkte Verantwortung von Scharaas »Übergangsregierung«. Statt dessen wird suggeriert, außer Kontrolle geratene Milizen hätten auf eigene Rechnung gehandelt.
Gleichzeitig mit der neuerlichen Gewalteskalation gegen die Alawiten kommt es in Nordostsyrien zu Kämpfen. Die von den USA unterstützten, kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) gaben am Wochenende bekannt, ihre Stellungen im Gouvernement Deir Al-Sor würden von Militäreinheiten und Milizen unter dem Kommando der neuen Befehlshaber in Damaskus angegriffen. Das syrische Verteidigungsministerium hatte seinerseits vergangene Woche erklärt, die SDF hätten in Rakka zwei seiner Soldaten getötet. Nach Angaben der SDF wurde die angegriffene Stellung allerdings vom IS genutzt, um die kurdischen Gebiete mit Drohnen zu attackieren. SDF-Anführer Maslum Abdi fordert eine Aufnahme kurdischer Rechte in die Verfassung. Das Abkommen vom 10. März zur Integration der SDF in Militär und Sicherheitsapparat werde von Scharaa torpediert.
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