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Aus: Ausgabe vom 25.11.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
Tag gegen Gewalt an Frauen

Hilfe im Dauerkrisenmodus

Tag gegen Gewalt an Frauen: Häusliche Gewalt nimmt weiter zu. Gesetzlicher Schutz wird versprochen, bleibt aber unterfinanziert
Von Yaro Allisat
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Protestaktion gegen Femizide am Freitag in Köln

Die dem Bundeskriminalamt (BKA) bekannte Zahl der Fälle häuslicher Gewalt ist im vergangenen Jahr um 3,8 Prozent auf knapp 266.000 gestiegen. Das geht aus einem BKA-Lagebericht vom Freitag hervor. 308 Frauen und Mädchen wurden demnach gewaltsam getötet, 191 durch Menschen aus ihrem näheren Umfeld. Die Zahl der Tötungsdelikte ist damit zwar knapp niedriger als im Vorjahr, in der langfristigen Tendenz jedoch gleichbleibend. Insgesamt wurden 859 Frauen und Mädchen im Jahr 2024 Opfer versuchter oder vollendeter Tötungsdelikte. Auch die Zahl der Tatverdächtigen stieg in diesem Bereich.

Alle drei Minuten erlebt eine Frau in Deutschland Gewalt in ihrer Partnerschaft. Das Dunkelfeld ist groß. Nur ein Bruchteil der Taten, weniger als fünf Prozent, werde laut BKA-Chef Holger Münch überhaupt angezeigt.

Unterfinanzierte Hilfe

Das Gewalthilfesystem ist im Dauerkrisenmodus: Sowohl im Interventionsbereich, also bei Beratungsstellen und Frauenhäusern, als auch bei der Prävention, also bei Bildungs- und Aufklärungsangeboten, fehlt es an Geldern und Personal. Überlastung und Burnout gehören zum Alltag vieler Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in diesem Bereich. Wie es aussieht, wird sich das so bald nicht ändern.

Beispiel Sachsen: Aufgrund von Kostensteigerungen bei Tarifbezahlung, Sachkosten, Nebenkosten und erhöhtem Personalbedarf durch Bearbeitung von Hochrisikofällen – also Fällen, in denen akut ein Femizid droht – könnte es mit den vom Bund in Aussicht gestellten Mitteln zu einer Kürzung der Landesförderung kommen. Das beanstandeten die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Gewaltfreies Zuhause Sachsen, der Kinderschutzbund Sachsen, das Queere Netzwerk Sachsen sowie die LAG Sexualisierte Gewalt in einer gemeinsamen Stellungnahme von Ende Oktober. Hinzu kommen bundesweit Kürzungen im gesamten Sozialbereich, was zur Prekarisierung gewaltbetroffener Frauen und Mädchen führt, unter anderem durch fehlende Wohnungsangebote, unterbrochene Gesundheitsversorgung sowie komplizierte Zugänge zu Sozialleistungen und Therapieplätzen.

Auch die Präventionsarbeit an Schulen und in Bildungseinrichtungen ist stark unterfinanziert. Programme zur Aufklärung über gewaltfreie Beziehungen oder Konsens existieren meist nur punktuell. Gerade junge Menschen, die früh für ein respektvolles Miteinander sensibilisiert werden, könnten zur langfristigen Gewaltprävention beitragen. Fehlen diese Angebote, bleiben gefährdende Verhaltensmuster oft unentdeckt und werden in die nächste Generation weitergetragen.

Die Beratungspflicht im Rahmen des im Februar beschlossenen Gewalthilfegesetzes verkommt zur hohlen Phrase, sollte kein schneller Ausbau der Strukturen erfolgen. »Schon jetzt können wir mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nur etwa die Hälfte der sichtbaren Bedarfe decken«, erklärte die Koordinierungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt und Stalking aus Leipzig vergangene Woche gegenüber jW. »Das neue Gewalthilfegesetz bringt an vielen Stellen, insbesondere für Schutzeinrichtungen, wichtige Verbesserungen. Für uns als Beratungsstelle ist jedoch keine Stärkung der Ressourcen absehbar.« Speziell Stadt-Land-Unterschiede könne das Gesetz nicht abdecken. »Unsere Erfahrung zeigt, dass der Bedarf an Schutz und Unterstützung flächendeckend steigt und sich nicht auf Zahlenschlüssel reduzieren lässt«, heißt es weiter. Zwischen Gesetz und Realität bestehe eine deutliche Lücke.

»Wenn die Bundesregierung es mit dem Gewaltschutz ernst meint, darf dies keine Frage der Haushaltslage sein«, sagte Elke Ronneberger, Bundesvorständin für Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, in einer Stellungnahme vom Freitag. Die Regierung müsse jetzt deutlich in den Ausbau eines bedarfsgerechten Hilfesystems und präventive Maßnahmen investieren. »Denn obwohl die aktuellen Zahlen der angezeigten Gewalttaten gegen Frauen massiv steigen, sinken die Chancen auf Hilfe.«

Auch trans Frauen sind häufig von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt betroffen. Das neue Selbstbestimmungs- und Gleichstellungsgesetz (SBGG) soll zwar formal ihren Schutz vor Diskriminierung stärken, doch in der Praxis bleibt etwa der Zugang zu Frauenhäusern oder Beratungsstellen oft politisch unsicher oder uneinheitlich geregelt. So kam es während der Einführung des SBGG zu Debatten darüber, ob trans Frauen überhaupt Zugang zu Frauenhäusern erhalten sollen. Fachstellen betonen, dass ohne verbindliche Standards und ausreichende Finanzierung insbesondere transfeindliche Gewalt weiter unsichtbar bleibt.

Gesetzliche Hilfe

In der Politik dürfte all dies bekannt sein, gehen doch bundesweit Akteure der Gewalthilfe mit Forderungen nach einem Ausbau des Systems an die Öffentlichkeit. Anlässlich des neuen BKA-Berichts häufen sich nun erneut die Forderungen, dass man mehr tun müsse. Erst in diesem Jahr verabschiedete der Bundestag das Gewalthilfegesetz und brachte Änderungen im Gewaltschutzgesetz auf den Weg. Das Gesetz gibt es seit 2002. Es soll den Schutz von Frauen und Kindern garantieren, beispielsweise indem gewalttätige Männer aus der gemeinsamen Wohnung entfernt werden. Die neuen Gesetzesvorgaben sehen unter anderem elektronische Fußfesseln für Täter vor. Ab 2032 soll zudem jede Frau Anspruch auf einen kostenfreien Platz im Frauenhaus und auf Beratung haben. In diesem Zuge übernimmt voraussichtlich der Bund die Hauptverantwortung bei der Finanzierung, wodurch genannte Kürzungen zu erwarten sind.

Hintergrund: Tag gegen Gewalt an Frauen

Am 25. November 1960 wurden die drei Schwestern Patria (geb. 1924), Minerva (geb. 1926) und María Teresa Mirabal (geb. 1935) vom Geheimdienst des dominikanischen Diktators Rafael Trujillo ermordet. Die drei Frauen gehörten zu den wichtigsten Figuren der Bewegung »Movimiento Revolucionario 14 de Junio«, die den Sturz der Trujillo-Diktatur plante. Der Name der Geschwister im Untergrund war »Las Mariposas«, zu deutsch »Die Schmetterlinge«.

Die 50er Jahre in der Dominikanischen Republik unter Diktator Trujillo waren geprägt von Angst, Terror und Unterdrückung. Minerva Mirabal hatte sich früh politisiert und dem Widerstand angeschlossen. Sie wurde über die Jahre mehrfach verhört, zeitweise von Sicherheitsorganen festgehalten und dauerhaft überwacht. Obwohl sie ihr Jurastudium abschließen konnte, verweigerte das Regime ihr aus politischen Gründen die Zulassung als Anwältin.

Mit der Zeit schlossen sich auch Patria und María Teresa dem Widerstand an. Sie beteiligten sich an klandestinen Aktivitäten, organisierten geheime Treffen, transportierten verbotene Materialien und unterstützten politische Gefangene. Damit gehörten sie zu den wenigen Frauen, die in der breiteren Widerstandsbewegung nicht nur unterstützende, sondern zentrale Rollen einnahmen.

Ihr gewaltsamer Tod wurde nicht nur zu einem Symbol für den Kampf gegen die Unterdrückung durch die Trujillo-Diktatur, sondern auch gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Die Ermordung der Schwestern löste im Land Empörung aus und trug zur Delegitimierung des Trujillo-Regimes bei, das wenige Monate später zusammenbrach.

Seit den 1980er Jahren greifen lateinamerikanische Frauenrechtsorganisationen den 25. November als Aktionstag gegen Gewalt an Frauen auf, um an das Vermächtnis der Mirabal-Schwestern zu erinnern und weltweit auf strukturelle, häusliche und politische Gewalt aufmerksam zu machen. 1999 erklärten die Vereinten Nationen diesen Tag offiziell zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen.

Heute markiert der 25. November weltweit den Beginn der »16 Tage gegen Gewalt an Frauen«, einer internationalen Kampagne, die bis zum 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, andauert. Insbesondere politische Gruppen, Gewerkschaften, Beratungsstellen und Vereine nutzen den Tag, um auf patriarchale Gewalt aufmerksam zu machen.

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