Sozialstaatsdebatte mit verzerrten Zahlen
Das kapitalnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) behauptet in einer Studie, dass Deutschland die höchsten Sozialausgaben in Europa habe. Darauf reagierte Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, am Montag mit einer Stellungnahme:
Die heute diskutierte Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft behauptet, dass Deutschland überhöhte Sozialausgaben habe, doch die Auswahl der Vergleichsländer greift zu kurz. Entscheidend ist: Nimmt man den EU-Durchschnitt, liegen die deutschen Sozialausgaben im Mittelfeld, bei der Alterssicherung sogar seit Jahren darunter. Das überrascht nicht angesichts durchschnittlicher Renten von nur 1.100 Euro.
Zudem berücksichtigt die Studie nur staatliche Ausgaben und blendet private Vorsorgekosten, die der Staat den Bürgerinnen und Bürgern häufig abnimmt, vollständig aus. Rechnet man beides zusammen, zeigt selbst die OECD: Deutschland gibt im Verhältnis zum BIP weniger für soziale Sicherung aus als viele Vergleichsländer, weniger noch als die USA. Kürzungen bei den staatlichen Ausgaben kämen den Arbeitgeberverbänden zu Gute, die Bürgerinnen und Bürger müssten sich teuer selbst absichern. Sie würden draufzahlen. Die Schlussfolgerung ist klar: Notwendig ist eine verlässlichere und solidarisch finanzierte Absicherung – besonders im Alter. Konzepte, die vor allem Arbeitgeber entlasten und die Kosten auf Einzelne verlagern, führen in die falsche Richtung.
Unabhängig von der IW-Studie präsentiert Katja Rietzler von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am gleichen Tag ganz andere Zahlen zur Sozialstaatsdebatte:
(…) Die Sozialleistungen sind im internationalen Vergleich nicht außergewöhnlich hoch und haben auch im Zeitverlauf insgesamt nicht übermäßig zugenommen.
Gerade in Bereichen, die in der Debatte besonders prominent thematisiert werden – nämlich bei der Rentenversicherung und bei steuerfinanzierten Transfers wie dem Bürgergeld und anderen Grundsicherungsleistungen – waren die Ausgaben im Vergleich zur Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr sogar niedriger als noch 2010, wie Daten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie Berechnungen des IMK zeigen. Die Ausgabenquote der Rentenversicherung lag mit 9,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einen ganzen Prozentpunkt unter der Quote 2004 (10,4 Prozent) – trotz einer steigenden Zahl von Rentenbeziehenden.
Besonders bemerkenswert ist die Entwicklung bei steuerfinanzierten Leistungen wie dem Bürgergeld. Trotz der Aufnahme von über einer Million Geflüchteter aus der Ukraine, von denen viele Bürgergeld erhalten, lagen diese Sozialausgaben relativ zum BIP sogar leicht unter dem Wert von 2010.
Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erhalten Bereiche mit tatsächlichen starken Ausgabensteigerungen wie die Pflege und vor allem die Krankenversicherung. Hier sind die Ausgaben seit 2010 deutlich schneller gestiegen als die Wirtschaftsleistung, und die Beitragssätze wurden wiederholt und teilweise kräftig angehoben.
Beim Gesundheitswesen legt der internationale Vergleich, etwa der OECD, zudem Verbesserungspotential nahe. Obwohl Deutschland zu den Ländern mit den höchsten Gesundheitsausgaben gehört, sind die Ergebnisse bei der Lebenserwartung oder dem Gesundheitszustand nur mittelmäßig. (…)
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