Gegründet 1947 Montag, 24. November 2025, Nr. 273
Die junge Welt wird von 3063 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 24.11.2025, Seite 8 / Kapital & Arbeit
G20 in Südafrika

Vom Ende her denken

G20-Gipfel in Johannesburg: Südafrika erreicht Abschlusserklärung und verankert Diskussion über globale Ungleichheit in Agenda der Staatengruppe
Von Christian Selz, Kapstadt
8.JPG
Runde Sache: Tagungs- und Medienpersonal feierten das Ende von G20 mit einem Tänzchen (Johannesburg, 23.11.2025)

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa gilt als kluger Verhandlungsführer. Bewiesen hat er das schon Anfang der 1990er Jahre bei den Verhandlungen zur Beendigung der Apartheid. Was ihn auszeichnet, ist die Fähigkeit, Prozesse vom Ende her zu denken. Auf dem G20-Gipfel am vergangenen Wochenende in Johannesburg hat er diese Herangehensweise auf die Spitze getrieben und die Abschlusserklärung gleich zu Beginn annehmen lassen. Der Schachzug hatte Erfolg, Südafrika erreichte eine Gipfeldeklaration, die einen starken Fokus auf die wichtigsten Agendapunkte des Landes legt: globale Ungleichheit und Schuldenkrise.

»Aus Afrika immer etwas Neues«, zitierte Ramaphosa in seiner Begrüßungsrede den römischen Gelehrten Plinius den Älteren. Während die Kameras noch liefen, präsentierte er den erstmals auf dem afrikanischen Kontinent versammelten G20-Staatenlenkern seinen Vorschlag, die in der Vorwoche von den Delegationen ausgehandelte Abschlusserklärung gleich zum Auftakt des Treffens zu verabschieden, und hatte mit dem Überraschungseffekt Erfolg. Ohne Gegenstimme nahmen die anwesenden Vertreter von 19 der G20-Staaten und der Europäischen Union das Dokument an. Die Abwesenheit einer Delegation der USA – Washingtons Regierungschef Donald Trump hatte den Gipfel boykottiert – schlug sich lediglich in einer kleinen Formulierungsänderung nieder: »Wir, die G20-Anführer, die in Johannesburg versammelt sind …«, heißt es nun in der Abschlusserklärung.

Durch die vorweggenommene Verabschiedung der Erklärung verhinderten die südafrikanischen Gastgeber, dass der Entwurf während des Gipfels torpediert werden konnte. Das Gros der Beobachter hatte vorab bezweifelt, dass es überhaupt zu einer gemeinsamen Gipfelerklärung kommen würde. Zumal Washington gedroht hatte, sämtliche Entschlüsse blockieren zu wollen, sollten die Südafrikaner es wagen, eine Erklärung ohne US-Beteiligung anzustreben. Der Erpressungsversuch blieb erfolglos: Neben der kaum verhohlenen Provokation im Einstiegssatz wird sogar der Klimawandel, ein Reizwort in Trumps Ohren, im Dokument erwähnt. Auch der dummdreiste Versuch der US-Regierung, Ramaphosa entgegen allen protokollarischen Gepflogenheiten zu erniedrigen, die Präsidentschaft an einen Geschäftsführer der Botschaft Washingtons zu übergeben, lief ins Leere. Der Südafrikaner verwies auf einen »leeren Stuhl«. Sein Außenamtssprecher erklärte, dass man die US-Regierung »als abwesend eingetragen« habe. Die Übergabe erfolge ohne offiziellen Pressetermin durch einen ranggleichen Beamten des südafrikanischen Außenministeriums.

Entscheidender als derlei Gipfelfolklore dürften allerdings die Themen sein, die die Südafrikaner neu in der G20-Agenda verankert haben. Pretoria nahm während seiner Präsidentschaft die Vorlage Brasiliens aus dem Vorjahr auf, eine globale Besteuerung von Superreichen zu fordern, und gab dem Vorhaben eine akademische Basis. Zwei Expertengruppen waren dabei ausschlaggebend. Eine Kommission afrikanischer Experten unter Führung des ehemaligen südafrikanischen Finanzministers Trevor Manuel präsentierte Vorschläge zur Linderung der Schuldenkrise. Und ein »G20-Sonderkomitee unabhängiger Experten zu globaler Ungleichheit« unter der Führung des ehemaligen Weltbankchefökonomen Joseph Stiglitz präsentierte einen Bericht, der mit vernichtenden Zahlen einen »Ungleichheitsnotstand« ausruft und klipp und klar festhält: »Die heutigen Ungleichheiten sind nicht naturgegeben. Sie sind das Resultat unseres Handelns als Nationen und als Weltgemeinschaft.«

Für die G20, bisher Organisator genau der globalen Welt- und Handelsordnung, die jenen Ungleichheitsnotstand geschaffen hat, sind das neue Töne, wenn auch keine Revolution. Südafrika habe das »G20-Megaphon« genutzt, bilanzierte der Geschäftsführer des Johannesburger Institute for Economic Justice, Gilad Isaacs, im Gespräch mit dem Nachrichtenportal Daily Maverick: »Es sind kleine Schritte in einem Normalisierungsprozess. Ich würde sie nicht als Durchbruch oder lebensverändernd übertreiben. Aber das ist, was Multilateralismus ausmacht.«

Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug

Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Quicklebendig. Eine Zulu-Tänzerin mit einer Choreographie zu Beg...
    19.07.2025

    Ja, er lebt noch, gerade so

    G20-Finanzministertreffen in Südafrika will Multilateralismus retten und von den USA gerissene Löcher stopfen. Doch die Interessengegensätze bleiben groß
  • Die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor vor der 76. Ge...
    23.10.2023

    Solidarität fördern

    Dokumentiert: Der globale Süden muss seine Anstrengungen zur Herausbildung einer demokratischen und multipolaren Weltordnung verstärken

Regio:

Mehr aus: Kapital & Arbeit