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Aus: Ausgabe vom 19.07.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
G20

Ja, er lebt noch, gerade so

G20-Finanzministertreffen in Südafrika will Multilateralismus retten und von den USA gerissene Löcher stopfen. Doch die Interessengegensätze bleiben groß
Von Christian Selz, Kapstadt
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Quicklebendig. Eine Zulu-Tänzerin mit einer Choreographie zu Beginn des G20-Finanzministertreffens in Durban

Die größte Aufmerksamkeit galt einem abwesenden Gast. Als sich am Donnerstag und Freitag die Finanzminister und Notenbankchefs der G20-Staaten im südafrikanischen Durban trafen, saß US-Schatzmeister Scott Bessent wie schon beim vorherigen Gipfel im Februar nicht mit am Tisch. Statt dessen schickten die USA einen rangniederen Repräsentanten. Die bleibende Frage: Wie stellen sich die restlichen G20-Staaten gegen die offensichtlichen Schwächungsversuche Washingtons?

Südafrika, das in diesem Jahr den Vorsitz des Forums innehat, zielt vor allem auf die Bearbeitung von Themen, die den afrikanischen Staaten wichtig sind. Ganz oben auf der Agenda stand deshalb die Frage nach dem Umgang mit der Überschuldung. Etwa 20 afrikanische Länder sind derzeit entweder bereits überschuldet oder unmittelbar davon bedroht. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hatte deshalb im März eine Expertenkommission unter Vorsitz des ehemaligen südafrikanischen Finanzministers Trevor Manuel gegründet, um die G20-Mechanismen zur Entschuldungshilfe für solche Länder effizienter zu gestalten. Manuel fordert unter anderem, die entsprechenden Mechanismen der Staatengruppe auch für als Schwellenländer eingestufte Staaten zugänglich zu machen.

Des weiteren ging es in Durban darum, wie die Löcher in der Entwicklungshilfefinanzierung – entstanden sowohl durch die abrupten Dekrete aus Washington als auch infolge der Umorientierung auf militärische Aufrüstung in den EU-Staaten und in Großbritannien – gestopft werden können. Ähnliche Fragen bestehen auch bei der Finanzierung der Energiewende in afrikanischen Staaten, die zwar ohnehin stark auf die Interessen westlicher Unternehmen und Investoren zugeschnitten war und hauptsächlich aus Krediten und Staatsgarantien bestand, die aber aufgrund des Rückzugs der USA ebenfalls als unsicher gelten.

Spekuliert wurde vor dem Gipfel über eine stärkere Rolle der EU und Chinas, woran sich die Schwierigkeiten, einen gemeinsamen Kurs zu finden, bereits erahnen ließen. Dem deutschen Finanzminister Lars Klingbeil wurde auf dem Gipfel zwar demonstrativ der zentrale Platz neben seinem südafrikanischen Amtskollegen Enoch Godongwana zugewiesen und es war sicherlich auch kein Zufall, dass der erste EU-Afrikagipfel seit 2018 in diesem Frühjahr kurz nach den verbalen Attacken der US-Administration gegen Südafrika organisiert worden war. Brüssel und Berlin versuchen derzeit, die von Washington gerissene Lücke zu nutzen, um verlorenen Boden in Afrika gutzumachen. Eine gemeinsame G20-Strategie, vor allem unter Einbeziehung der Volksrepublik bedeutet das aber noch lange nicht. Zumal die Bedeutung des Forums auch in den meisten europäischen Staaten offensichtlich als nicht mehr sonderlich hoch angesehen wird: Frankreichs Finanzminister Éric Lombard blieb dem Treffen in Durban jedenfalls fern, was allerdings auch an den innenpolitischen Zuständen der chronisch überschuldeten Nation gelegen haben könnte.

So drehte sich dann die mediale Berichterstattung aus Durban am Freitag vor allem um die Frage, ob es – erstmals unter südafrikanischem Vorsitz – gelingen könnte, dass die Teilnehmer sich auf ein Abschlusskommuniqué einigen würden, das bis Redaktionsschluss allerdings nicht vorlag. Verschiedene Vertreter der Delegationen äußerten sich dahingehend zumindest optimistisch. Ein Kommuniqué wäre »ein starkes Signal, dass der Multilateralismus noch lebt«, sagte der geschäftsführende Adminis-trator des UN-Entwicklungsprogramms, Haoliang Xu, am Freitag dem Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg – und fügte hinzu: »Er mag sich nicht bester Gesundheit erfreuen, aber er lebt.«

Hintergrund: Geschichte der G20

Gegründet wurde die G20 als prowestliches Projekt in Reaktion auf eine der ersten schwereren Krisen der kapitalistischen Globalisierung in den südostasiatischen Staaten Ende der 1990er Jahre. Das ursprüngliche Forum G22, damals noch in etwas anderer Zusammensetzung, ging auf eine Initiative des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton zurück. Beschlossen wurde ihre Gründung 1999 von den Finanzministern der damals Russland noch einschließenden G8-Staaten, das erste Treffen fand im Dezember 1999 in Berlin statt. Bis 2007 blieben die G20 ein Forum der Finanzminister der Mitgliedsländer mit klarem Fokus auf die Steuerung des internationalen Handels und des Finanzsystems. Die Beschlüsse der Treffen sind völkerrechtlich nicht bindend.

Ab 2008 trafen sich unter dem Dach der G20 auch die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer, zu denen heute neben den G7-Mitgliedern USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und Kanada auch die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika und Indonesien zählen. Darüber hinaus sind Argentinien, Australien, Mexiko, Saudi-Arabien, Südkorea und die Türkei Mitglieder der G20, die von den Regionalverbünden Europäische Union und Afrikanische Union komplettiert werden. Vorgebliches Ziel der Organisation ist – wiederum aus G7-Sicht gedacht – eine stärkere Einbindung von Entwicklungs- und Schwellenländern in die Organisation der globalen Wirtschafts- und Finanzarchitektur. Die generelle Ausrichtung ist auch an der Auswahl der ständigen Gäste ablesbar, zu denen der Direktor des Internationalen Währungsfonds und der Präsident der Weltbank zählen. (cs)

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