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Aus: Ausgabe vom 22.11.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
Bosnien und Herzegowina

Wahlen ohne Präsident

Bosnien und Herzegowina: Nach Milorad Dodiks Absetzung wird am Sonntag in der Republika Srpska ein neuer Präsident gewählt
Von Roland Zschächner
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Sie wollen mehr Kompetenzen für die serbische Teilrepublik: Anhänger Dodiks vor dem Gerichtssaal (26.2.2025)

Er steht nicht zur Wahl, trotzdem wird über Milorad Dodik abgestimmt. An diesem Sonntag sind die Bewohner der Republika Srpska (RS) dazu aufgerufen, ihre Stimme für den zukünftigen Präsidenten des vor allem von Serben bewohnten bosnischen Landesteils abzugeben. Sie haben die Wahl zwischen sechs Kandidaten, doch nur zwei haben die Aussicht auf den Sieg. Siniša Karan wurde von seiner Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD), der Regierungspartei in der RS, ins Rennen geschickt. Der Professor ist derzeit Minister für Hochschulbildung, zuvor war er lange Innenminister der Teilrepublik. Sein Kontrahent ist Branko Blanuša von der Serbischen Demokratischen Partei. Der Professor für Elektrotechnik wird von den meisten Oppositionsparteien unterstützt. Rund 1.264.000 Wähler sind für die vorgezogene Abstimmung registriert.

Karan macht keinen Hehl daraus, dass er nur Lückenfüller für Dodik ist. Das Motto seiner Kampagne lautet »Für Karan – Srpska wird gewinnen, für Dodik«. Kein Wunder, denn Karan ist ein enger Vertrauter des seit Jahren in der RS in verschiedenen Posten herrschenden Dodik. »Es ist an der Zeit, das Mandat zu bestätigen, das das Volk Präsident Milorad Dodik vor drei Jahren erteilt hat. Die bevorstehenden Wahlen sind keine gewöhnlichen Wahlen, sondern ein Referendum, in dem wir den Volkswillen schützen und bekräftigen«, meint Karan. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Oktober 2022 gewann Dodik 47 Prozent der Stimmen, während seine Kontrahentin Jelena Trivić mit rund 43 Prozent der Stimmen den zweiten Platz belegte.

Bei dieser Wahl könnte es ein knappes Rennen werden. Zumal ein Skandal der Opposition in die Hände spielen könnte. Am Mittwoch veröffentlichte der Bürgermeister der RS-Hauptstadt Banja Luka, Draško Stanivuković von der rechtsliberalen Partei für Demokratischen Fortschritt, ein Video. Das zeigt den SNSD-Politiker und Arzt Vlado Đajić sowie einen weiteren Mann, bei dem es sich um einen verurteilten Kriminellen handeln soll. Letzterer stellt vor Đajić eine Tüte mit einer weißen, pulverförmigen Substanz ab. Während des im Video festgehaltenen Gesprächs werden Beträge von 30.000 und 40.000 Euro genannt. Umgehend distanzierte sich Dodik von Đajić, der der SNSD in Banja Luka vorsteht und für die Partei im Parlament der RS sitzt.

Notwendig geworden sind die vorgezogenen Wahlen, nachdem im August das oberste bosnische Gericht ein Urteil gegen Dodik aus dem Februar bestätigt hatte. Damit wurde er zu einem Jahr Haft verurteilt, zudem wurde ihm ein sechsjähriges Politikverbot auferlegt. Hintergrund sind mehrere von Dodik auf den Weg gebrachte Gesetze, die der RS mehr Kompetenzen zusprechen sollten. Die Gefängnisstrafe konnte der SNSD-Chef schließlich durch die Zahlung von 36.500 bosnischen Mark (rund 18.660 Euro) abwenden. Eine Summe, die Dodik problemlos begleichen konnte, schließlich gilt er als einer der reichsten Männer des Landes. Seitdem er Ende der 1990er Jahre das erste Mal Ministerpräsident der RS war, verstand er es, ein Geflecht von Getreuen und Firmen aufzubauen und dadurch seine politische Macht zu monetarisieren.

Die Abstimmung markiert eine neue Etappe im derzeitigen politischen Krisenzyklus Bosniens. Der Konflikt dreht sich etwa darum, wieviel Macht den einzelnen Landesteilen zusteht. Dodik war – nicht frei von Eigennutz – geschickt darin, mehr Befugnisse für die Republika Srpska zu reklamieren. Das führte Anfang des Jahres nach den Urteilen gegen ihn und andere Politiker der RS zu Spannungen. Doch seit dem Sommer hat sich die Lage beruhigt. Dazu haben auch die USA beigetragen, die einen Deal aushandelten. Dieser sieht vor, dass sich Dodik, der gute Beziehungen zu Russland hat, aus dem aktiven Politikbetrieb zurückzieht, ohne ins Gefängnis zu müssen, zugleich aber weiter aus dem Hintergrund agieren kann.

Die Wende in der US-Politik gegenüber Bosnien zeigte sich am 29. Oktober, als das US-Finanzministerium Sanktionen gegen Dodik und sein Umfeld, darunter auch Karan, aufhob. Die Strafmaßnahmen waren 2017 verhängt worden, weil Washington Dodik beschuldigt hatte, sich an korrupten Praktiken zu beteiligen. Außerdem soll er das Dayton-Abkommen behindert haben, mit dem am Freitag vor 30 Jahren der Bosnienkrieg beendet und die Spaltung des Landes in eine serbische und eine bosnisch-kroatische Teilrepublik festgeschrieben wurde. Zwei Tage später erklärte Dorothy Shea, US-Vertreterin bei den Vereinten Nationen, vor dem Sicherheitsrat, man habe die Sanktionen aufgehoben, »um die Krise zu entschärfen und die Stabilität zu fördern«. Die USA verfolgten »nicht länger eine Politik der Nationenbildung«, vielmehr sei es »an der Zeit für lokale Lösungen, die von lokalen Akteuren unter Führung der drei Völker Bosnien und Herzegowinas vorangetrieben werden«, so Shea.

Während die USA eine Wende hin zu einer regionalen Verständigung zumindest andeuten, beharren die Europäische Union und die Bundesrepublik auf ihrer Politik der Unterordnung. Das machte Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) im Vorfeld seiner Balkanreise in der zu Ende gehenden Woche erneut deutlich: »Reformschritte und ein klares Bekenntnis zu den gemeinsamen Werten sind Voraussetzung für einen Beitritt zur EU«, so der CDU-Politiker. Was mit den Landesteilen ist, die nicht in die EU wollen, ließ der Minister offen. Vieles deutet darauf hin, dass sich die bosnische Krise erneut vertiefen wird.

Reiche im Blutrausch

Es sind Vorwürfe, die schwer auszuhalten sind. Reiche Ausländer sollen während der Belagerung Sarajevos (1992–1996) dafür bezahlt haben, Menschen zu töten. Diese sogenannten Wochenendscharfschützen hätten von Stellungen der serbischen Truppen auf Zivilisten und Soldaten geschossen, eine regelrechte Menschenjagd. »Safari« sei diese vom serbischen Geheimdienst organisierte Grausamkeit genannt worden, an der US-Amerikaner, Russen, Kanadier, Deutsche und Italiener teilgenommen hätten, so Recherchen von Journalisten. Berichtet wird zudem über »Preislisten«. Demnach habe die Ermordung von Menschen umgerechnet zwischen 80.000 und 100.000 »gekostet«, für Kinder sei die höchste Summe verlangt worden.

Die Vorwürfe gibt es bereits seit Jahren. Doch einem breiten internationalen Publikum wurden sie 2022 durch die Dokumentation »Sarajevo Safari« des slowenischen Regisseurs Miran Zupanič bekannt. Sarajevos Bürgermeisterin Benjamina Karić strengte daraufhin Ermittlungen an. Diese führten bisher zu keiner Anklage. Doch nun kommt Bewegung in die Sache. Wie am 11. November bekannt wurde, ermittelt die Mailänder Staatsanwaltschaft gegen unbekannt wegen vorsätzlichen Mordes, erschwert durch Grausamkeit und niederträchtige Motive. An gleicher Stelle hat am Donnerstag ein kroatische Journalist Anklage gegen den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić eingereicht. Der Vorwurf: Er soll an der damaligen Menschenjagd beteiligt gewesen sein.

Zuvor hatte der Journalist und Autor Ezio Gavazzeni, der sonst über Terrorismus und Mafia schreibt, sich des Themas angenommen, recherchiert und schließlich Anzeige erstattet. Er hatte zusammen mit Juristen ein mehrseitiges Dossier erstellt. Als Quelle für ihre Informationen wird ein Offizier des bosnischen Militärgeheimdienstes genannt. Dieser berichtete gegenüber Gavazzeni, seine Kollegen hätten im Jahr 1993 herausgefunden, dass dieser »Scharfschützentourismus« stattgefunden habe. Die Information sei anschließend nach Rom weitergeleitet worden. Dort habe sich der 2007 aufgelöste Militärgeheimdienst SISMI mit der Sache befasst und die Reisen in das Kriegsgebiet innerhalb von wenigen Monaten gestoppt.

Von serbischer Seite werden die Vorwürfe als »Lügen« und »erfunden« zurückgewiesen. Dazu passen Recherchen der BBC. Der Sender hat Mitglieder der britischen Streitkräfte befragt, die in den 1990er Jahren in Sarajevo sowie in den umliegenden, von serbischen Einheiten kontrollierten Gegenden stationiert waren. Sie hätten weder von einem »Scharfschützentourismus« gehört, noch habe es Hinweise darauf gegeben. Auch sei es wegen der vielen Kontrollpunkte »logistisch schwer durchführbar« gewesen, Menschen aus Drittländern zu den Stellungen zu bringen. Ein Soldat bezeichnete gegenüber der BBC die Behauptungen, dass Ausländer dafür bezahlt hätten, auf Zivilisten zu schießen, als »urbanen Mythos«. (rz)

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