Diktatorisch europäisch
Von Roland ZschächnerEr tat es schon wieder: Christian Schmidt hat am Dienstag in Sarajevo eigenmächtig das Wahlgesetz in Bosnien und Herzegowina geändert. Der CSU-Politiker, der 2021 vom Westen auf den Posten des Hohen Repräsentanten (HR) gehievt worden war, begründete seinen Schritt damit, »faire und freie Wahlen« für alle Bürger des Landes sicherstellen zu wollen. Dazu wurden vor allem »technische Veränderungen« am Abstimmungsprozess vorgenommen, die für mehr »Transparenz und Sicherheit« nach OSZE- und EU-Standards sorgen und »Manipulationen« verhindern sollen. 114 Artikel umfasst die Schmidtsche Verfügung, gegen die weder auf demokratischem Weg noch juristisch vorgegangen werden kann.
»Ich werde heute tun, was vor vielen Jahren hätte getan werden sollen«, sagte Schmidt vor Pressevertretern. Zuvor hatten sich die bosnischen Institutionen nicht auf eine Änderung des Wahlgesetzes verständigen können. Das steht schon seit langem in der Kritik. Doch die Knackpunkte, die ethnische Aufteilung der Wähler und damit die Begünstigung von nationalistischen Parteien, wurden bislang nicht angegangen – auch nicht von Schmidt. Die neuen Regelungen sollen teilweise in Pilotprojekten bereits bei den in diesem Jahr anstehenden Kommunalwahlen angewendet werden und vollständig bei den Parlamentswahlen 2026 gelten.
Es war nicht das erste Mal, dass Schmidt sich in die bosnische Politik einmischte. Bei den Wahlen 2022 änderte er das Wahlgesetz, kurz nachdem die Lokale geschlossen worden waren. Davon profitierte die kroatisch-nationalistische Partei HDZ, indem ihr mehr Sitze zugeschanzt wurden. Das sorgte für Protest, vorwiegend bei der bosniakischen Bevölkerung. Dazu trug auch bei, dass die HDZ wie Schmidts CSU zur Europäischen Volkspartei (EVP) gehört. Für die jetzige Änderung des Wahlgesetzes erhielt Schmidt indes von den meisten liberalen und dem Westen zugeneigten Politikern in Bosnien Zustimmung. Auch die Botschaften der USA und der Bundesrepublik in Sarajevo begrüßten die HR-Entscheidung.
Scharfe Kritik übte dagegen am Dienstag die serbische Vertreterin im dreiköpfigen Staatspräsidium, Željka Cvijanović: »Immer wenn die Volksvertreter in Bosnien und Herzegowina einen Schritt nach vorn machen, wirft Schmidt uns dreimal zurück.« Das werde »die politische Situation zusätzlich verkomplizieren«. Auch aus Deutschland wird Kritik laut. Als »unverantwortlich« bezeichnete Sevim Dagdelen, außenpolitische Sprecherin der Gruppe BSW im Bundestag und Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, die eigenmächtige Änderung am Mittwoch gegenüber jW: »Schmidts diktatorisches Verhalten wird die Fliehkräfte in Bosnien-Herzegowina noch verstärken und neue Konflikte schüren.«
Dass Schmidt derartige Entscheidungen treffen kann, liegt an der komplizierten Struktur Bosnien-Herzegowinas, die nach dem Krieg 1995 durch das Dayton-Abkommen eingeführt wurde. Der Hohe Repräsentant sollte darauf achten, dass die in der Übereinkunft festgelegten Bestimmungen umgesetzt werden. Dafür wurden die sogenannten Bonner Befugnisse erlassen, die den HR mit quasi diktatorischer Macht ausstatten. So kann er eigenmächtig Gesetze annullieren und eigene erlassen sowie demokratisch gewählte Vertreter absetzen. Der ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister wurde 2021 vom Westen und gegen den Willen Russlands auf den Posten gesetzt. Vertreter der hauptsächlich von Serben bewohnten Republika Srpska sprechen Schmidt deswegen die Legitimität ab, auch weil der UN-Sicherheitsrat ihm die Zustimmung verweigerte. China und Russland treten schon länger dafür ein, das HR-Amt abzuschaffen.
Bis es soweit ist, verkörpert Schmidt den kolonialen Geist des Postens. So fiel er beispielsweise 2022 damit auf, dass er bosnische Politiker als »Müll« beschimpfte. Auch die aktuelle Entscheidung wurde mit den vermeintlich mangelnden Fähigkeiten und dem fehlenden Willen der nationalen Behörden begründet. Daher habe der HR eingreifen müssen, alles geschehe für die »europäische Integration«. Am vergangenen Donnerstag hatten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union beschlossen, Beitrittsgespräche mit Bosnien zu beginnen.
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