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Aus: Ausgabe vom 03.04.2024, Seite 7 / Ausland
Balkan

Bosnien im Zwiespalt

Hoher Repräsentant verlangt elektronische Wahlen. Republika Srpska kontert mit Ultimatum
Von Marko Dejanović
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Gebärdet sich wie ein kolonialer Statthalter: Der Hohe UN-Repräsentant und CSU-Exlandwirtschaftsminister Christian Schmidt (Sarajevo, 10.10.2023)

Die Vorbereitungen auf die im Oktober anstehenden Kommunalwahlen in Bosnien und Herzegowina haben bereits jetzt einen gewaltigen und schier unlösbaren Zwiespalt offengelegt. Christian Schmidt, der Hohe Repräsentant der UNO vor Ort, hat vergangene Woche den Staat verpflichtet, den bevorstehenden Wahlprozess zu digitalisieren, um damit Betrug und Manipulation entgegenzutreten. Denn mit Hilfe seiner sogenannten Bonn Powers darf Schmidt Gesetze erlassen, ohne über demokratische Legitimität zu verfügen. Dennoch fand er sozusagen die innere Güte, den bosnischen Politikern bis zum 19. April Zeit zu lassen, die konkrete Umsetzung zu diskutieren und festzulegen. Allerdings sieht sein Gesetz vom 26. März vor, anerkannten Kriegsverbrechern eine Kandidatur zu verbieten.

Eine Aktion des Hohen Repräsentanten zieht regelmäßig eine Reaktion des serbischen Nationalisten Milorad Dodik nach sich. Recht schnell beschloss die Nationalversammlung des bosnischen Teilstaats Republika Srpska, dessen Präsident Dodik ist, am Freitag ein eigenes Ultimatum. Wie immer droht das Parlament des Teilstaats mit der Spaltung des Landes, sollten politische Maßnahmen Schmidts in der Hauptstadt Sarajevo anerkannt werden. Demnach will die Republika Srpska nun selbst die lokalen Wahlen organisieren – ein Novum, denn bisher wurden Abstimmungen immer zentral aus Sarajevo mitorganisiert. Auch verlangt die Nationalversammlung eine »Wahlkommission der Republik«, womit der Republika Srpska mehr Autonomie zustünde. Was landesweit für den meisten Aufruhr sorgte, ist aber, dass Sarajevo dazu aufgerufen wird, den Posten des Hohen Repräsentanten abzuschaffen und dessen Amtsinhaber Schmidt sowie die Botschafter der USA und der BRD zu Staatsfeinden zu deklarieren.

Der Streit zwischen Dodik und Schmidt hat sich mit den Jahren immer mehr intensiviert. Im Hintergrund steht eine ebenso verfahrene wie tragische Situation. So ist eine Digitalisierung und Demokratisierung des Wahlprozesses in Bosnien bereits seit 2006 diskutiert worden, konnte aber nie durchgesetzt werden. Als Hindernisse können sowohl diverse Inkompetenzen als auch Korruption angeführt werden. Dass nun jemand von außen kommt, um ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen, ist ein Affront für viele Einwohner, die das Versagen des eigenen Staates seit langem nur mitansehen können.

Die Probleme in Bosnien und Herzegowina scheinen unlösbar: Es gibt eine unkontrollierte und massenhafte Abwanderung von Jugendlichen und Werktätigen, Fachkräfte fehlen in allen Bereichen der Wirtschaft, Armut und Perspektivlosigkeit grassieren. Der Nationalismus hat Bosnien zum Spielball der Großmächte werden lassen, und die jüngst beschlossene Aufnahme von Gesprächen über eine EU-Mitgliedschaft gibt wenig Hoffnung auf Verbesserungen. Denn ein EU-Pass würde die Abwanderung nur begünstigen.

So berechtigt es sein mag, die bosnischen Verhältnisse zu kritisieren – Dodiks Vorhaltungen gegenüber Schmidt sind nicht substanzlos. Denn der ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister mit CSU-Parteibuch tritt wahrlich wie ein kolonialer Verwalter auf. Ähnlich steht es auch um Dodiks Kritik an den Botschaftern Deutschlands und der USA. Auch der kroatische Staatspräsident Zoran Milanović sprach im Januar von »kolonialen Terroristen«, als sich die USA und die EU in die Handelsgespräche zwischen Kroatien und Bosnien einmischten.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gottfried W. aus Berlin (3. April 2024 um 12:01 Uhr)
    Gibt es irgendwelche Hinweise, dass ein digitales Wahlverfahren auch nur den Hauch eines Vorteils hat? Ein insgesamt seltsamer Artikel. Kraut und Rüben.

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