Besserwissender des Tages: Cem Özdemir
Von Felix Bartels
Ich bin jung, mein Herz ist voll Schwung, soll niemand drin wohnen als Mao Tse-tung. Zeiten gabs, da gab das Sinn. Denn der Robert, den man gern hat, dichtete das mit Blick auf den Restbestand der Achtundsechziger, aus dem die Nervensägen grünen Anstrichs sich späterhin rekrutierten. Niemand konnte sagen, wofür diese Leute stehen. Niemand kann es heute. Dass sie nerven, scheint das Wesentliche an ihnen. Erkannt hat das auch Cem Özdemir, der sich in Baden-Württemberg anschickt, nach Kretschmann zweiter grüner Landesvater zu werden.
Wozu man die Geister, die einen gerufen haben, loswerden muss. »Wir müssen mal selbstkritisch fragen, warum wir immer noch im Verdacht stehen, die Menschen zu belehren oder noch alles besser zu wissen«, verrät Özdemir in der Zeit. »Wir Grünen in Baden-Württemberg wollen nicht jeden Lebensbereich regeln, sondern mit den Leuten gemeinsam die Dinge verändern.« Vorausgesetzt, die Leute wollen, was die Grünen wollen.
Die Anschlussfähigkeit ergibt sich aus der Abwesenheit linker Inhalte: »Eine Sensibilität für das Wohlergehen der Wirtschaft ist bei uns Teil der DNA.« Gleichwohl wundert ihn, dass Jahrzehnte währende Anpassungsarbeit nicht honoriert wird. So redet er, als spuke noch der Geist von Ströbele durch die Gemächer der grünen Geschäftsstelle.
Das Rätsel ist leicht zu lösen, wenn man nicht am parteibedingten Bias leidet. Die Grünen repräsentieren den Teil der Oberschicht, der sich in seiner Freizeit ein Gewissen leistet. Den anderen Teil, der auch lebt, wie er arbeitet, zog es von jeher zur FDP. Auf dem Weg zu konformen Positionen in Militär-, Wirtschafts- und Sozialpolitik drohte Verwechslung, das gute Gewissen wenigstens im Alltag wurde nachgerade zum unique selling point. Die Grünen können die besserwissende Gängelei nicht unterlassen, weil allein daran klarwird, dass sie noch da sind.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besondere Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Ansichten
-
Reiche bashen
vom 21.11.2025 -
Entlarvende Ehrlichkeit
vom 21.11.2025 -
Mogelpackung
vom 21.11.2025