Reiche bashen
Von Daniel Bratanovic
Es ist noch nicht so lange her, dass öffentlich geäußerte Kritik an exorbitantem Reichtum unter dem Rubrum »Neiddebatte« sogleich passend gerahmt, pariert und verächtlich gemacht wurde. Die Ungleichheit bürgerlicher Gesellschaften gilt nach solchem Framing als naturgegeben, und sein Ethos und sein Wagemut sorgten dafür, dass das unternehmerische Selbst einfach viel erfolgreicher ist als der erbärmliche Rest, sein Wohlstand also wohlverdient. Seither wächst der Reichtum, der sich auf einige wenige konzentriert, ins schier Unermessliche und frisst sich die Armut unaufhaltsam in Richtung Mitte. Die Neiddebatte ist verstummt, das kapitalistische Märchen pervertiert zur Horrorstory. Politischen Funktionsträgern dämmert, dass eine Fortsetzung dieser Entwicklung die Stabilität einer Gesellschaft, die so etwas aus sich selbst hervorbringt, ernsthaft gefährdet.
Der Teufel scheißt aber immer noch auf den größten Haufen. Das Vermögen der Milliardäre der G20-Staaten, teilt jetzt die Organisation Oxfam der Weltöffentlichkeit mit, ist binnen eines Jahres um 2,2 Billionen US-Dollar gestiegen: um 16,5 Prozent von 13,4 Billionen auf 15,6 Billionen US-Dollar. Dem wird entgegengehalten, dass allein dieser Zuwachs ausreichte, um 3,8 Milliarden Menschen aus der Armut zu befreien. Daraus leitet sich die Forderung nach einer »wirksamen Besteuerung« der Superreichen dieser Welt ab.
Man mag den empörten Hinweis auf dieses krasse Missverhältnis der unzulänglichen Kapitalismuskritik zeihen, da damit eine bloße Oberflächenerscheinung in den Blick genommen werde. Wahr ist aber, dass die Industriestaaten der OECD in den vergangenen Jahrzehnten die Spitzensätze der Einkommenssteuer von ursprünglich einmal rund 90 Prozent um die Mitte der 1960er Jahre systematisch abgesenkt und damit eine gewaltige Umverteilung von Einkommen und Vermögen eingeleitet haben, die bis heute andauert. Mithin offenbart sich schlagend, in wessen Interesse Politik gemacht wurde und gemacht wird. Der Ultrareichtum einiger weniger ist aber ein Symptom einer chronischen Überakkumulation, kein Zeichen von Erfolg, sondern eines der Krise. Reichenbashing ist daher kein Fehler, sondern der notwendige Durchgang zur radikalen Kritik alles Bestehenden.
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