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Aus: Ausgabe vom 17.11.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
LNG-Boom

US-Kapital schafft Frackingblase

Mit aller Macht wird Flüssigerdgas in alle Welt gepumpt. Aber gibt es für das wilde Wachstum genug Bedarf?
Von Jörg Kronauer
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Koste es, was es wolle: Frackingindustrieanlage mit 67 Kilometer langem Förderband für Sand in Kermit, Texas

Flüssigerdgas boomt, und das wird es in den nächsten Jahren weiterhin tun: Dies besagen die jüngsten Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA), die in der vergangenen Woche ihren aktuellen World Energy Outlook vorlegte. Der Verbrauch von LNG (Liquefied Natural Gas) wird demnach weltweit zunehmen. Die Frage ist nur, wie stark und wie lange. In Erwartung eines schnell wachsenden Weltmarktes bauen die großen Flüssigerdgaslieferanten, insbesondere die USA und Katar, ihre Exportkapazitäten aus. Die IEA geht von einer Zunahme des weltweit verfügbaren Flüssigerdgases um 50 Prozent bis Anfang der 2030er Jahre aus, ein Plus von 300 Milliarden Kubikmetern Erdgas Jahresvolumen. Gut die Hälfte davon werde von den Vereinigten Staaten gestellt werden, dem bereits heute größten Exporteur von Flüssigerdgas weltweit, prognostiziert die IEA. Etwa ein Fünftel käme aus Katar. Glänzende Aussichten also, sollte man meinen, für die US-Frackingindustrie.

Eine Frage stellt sich freilich bei dem steilen Boom der Flüssigerdgasbranche: Gibt es für das wilde Wachstum der Exportkapazitäten tatsächlich genug Bedarf? Hier kommt die Frage ins Spiel, wie heftig der Verbrauch wachsen wird. Die IEA hat, wie üblich, eine Prognose erstellt, die davon ausgeht, dass die Staaten weltweit ihre angekündigten Klimaschutzmaßnahmen umsetzen, dass sie also Energie zu sparen suchen und eifrig auf erneuerbare Energieträger umrüsten. Und es zeigt sich: Tun sie das, dann wird Anfang der 2030er Jahre das Angebot an Flüssigerdgas die Nachfrage um 65 Milliarden Kubikmeter pro Jahr übersteigen, gut ein Fünftel der Exportkapazitäten, die bis dahin neu gebaut werden. Teure Anlagen drohen also, unter ihrem Potential zu arbeiten oder sogar nutzlos zu verrotten. Noch schwerer wiegt – jedenfalls aus Sicht der US-Frackingindustrie –, dass bei einer Realisierung der geplanten Maßnahmen zum Klimaschutz um 2035 Peak Gas erreicht sein könnte, der Zeitpunkt, von dem an der globale Erdgasverbrauch zurückgeht. Für die Fracker wäre das ein Desaster.

Was tun? Grundsätzlich gibt es aus Sicht der US-Frackingbranche und mit ihr der Trump-Regierung zwei Optionen. Die eine: Man geht gegen konkurrierende Energieträger vor – und zwar gegen die, bei denen die Vereinigten Staaten schlecht aufgestellt sind, also gegen die Erneuerbaren. Die USA, stärkster Finanzier der IEA unter deren 32 Mitgliedstaaten, haben durchgesetzt, dass die IEA in ihrem World Energy Outlook wieder tut, was sie seit fünf Jahren unterlassen hat, um keine falschen Anreize zu setzen: eine Prognose für den Fall zu berechnen, dass neue Maßnahmen zum Klimaschutz in Zukunft weltweit ausbleiben. Und die Prognose zeigt: In diesem Fall wird die US-Frackingindustrie ihr Flüssigerdgas vollständig los. Was aber ist mit dem Klimawandel, der sich bei verstärkter Nutzung fossiler Energieträger beschleunigen wird? Nun, mit dem werde man halt leben müssen, verkündete kürzlich in einem überraschenden Kursschwenk Bill Gates. Er werde schon »nicht zum Untergang der Menschheit führen«. Klar: Das Kapital kann auch mit Klimakatastrophenmanagement viel Geld verdienen.

Die zweite Option, auf die man zurückgreifen kann, um die Exportinteressen der US-Fracker zu bedienen, besteht darin, konkurrierende Lieferanten auszuschalten. Hier wiederum kommt Russland ins Spiel, der zur Zeit viertgrößte Flüssiggasexporteur der Welt nach den Vereinigten Staaten, Australien und Katar. Russland wird 2025 laut den Berechnungen der IEA gut 60 Milliarden Kubikmeter Erdgas in verflüssigter Form exportieren – und damit fast halb soviel wie die USA. Rund die Hälfte davon ging im ersten Halbjahr 2025 nach Asien, davon wiederum 43 Prozent nach China, 39 Prozent nach Japan. Auf China hat Washington kaum Einfluss, und auch Japan ist trotz massiven Drucks aus den USA nicht bereit, kurz- oder mittelfristig aus dem Kauf russischen Flüssigerdgases auszusteigen; das bestätigte Ende Oktober die neue Ministerpräsidentin Takaichi Sanae anlässlich von Trumps Besuch in Tokio. Es bleibt also Europa, das im ersten Halbjahr 2025 die andere Hälfte der russischen LNG-Exporte abnahm. Zum Glück für die US-Fracker ist die EU bereit, schon 2027 gänzlich aus dem Bezug von russischem LNG auszusteigen. Damit wird in Europa sehr bald Platz für zusätzlich bis zu 30 Milliarden Kubikmeter US-Flüssigerdgas pro Jahr.

Die Trump-Administration versucht noch zusätzlich Druck zu machen, indem sie in ihren Zollverhandlungen alle Welt zu Versprechungen drängt, US-Energieträger zu kaufen. Davon wäre nach Lage der Dinge ein erheblicher Teil Flüssigerdgas. Südkorea musste zusagen, US-Energieträger im Wert von 100 Milliarden US-Dollar zu kaufen. Die EU wiederum hat erklärt, sie werde Energieträger in Höhe von absurden 750 Milliarden US-Dollar importieren. Man muss derlei Versprechungen nicht einhalten: Es gibt kein Rechtsinstrument, das Unternehmen zwingen könnte, ausschließlich bei einem bestimmten Anbieter einzukaufen. Und dennoch: Auch letzten Endes nicht einklagbare Zusagen geben zumindest gewisse Tendenzen vor. Darauf jedenfalls setzt Washington. Es geht um viel Geld – um den Profit der Fracker –, und es geht um viel Macht: Die Trump-Regierung strebt mit ihrer LNG-Exportoffensive nichts Geringeres an als die globale Energiedominanz. Dafür lohnt sich aus der Perspektive des US-Establishments ein harter Kampf.

HintergrundEnergiedominanz mittels LNG

Was es mit der globalen Energiedominanz auf sich hat, die die Trump-Regierung offiziell anstrebt, dazu hat sich im Sommer Diana Furchtgott-Roth geäußert, eine Ökonomin, die in Trumps erster Amtszeit erst im Finanz-, dann im Verkehrsministerium arbeitete und die heute als Energieexpertin für die ultrarechte Heritage Foundation tätig ist. Diese wiederum hat im Rahmen ihres Project 2025 eine Art Regierungsprogramm für Trumps zweite Präsidentschaft verfasst. Furchtgott-Roth schrieb im Sommer in einem Beitrag für die US-Zeitschrift The National Interest, mit der starken Förderung insbesondere von Frackinggas ziele Washington zunächst darauf ab, in punkto Energie unabhängig zu sein – und zwar unabhängig »von den grünen Energielieferketten Chinas«. Setze man auf erneuerbare Energieträger, dann bleibe man nach Lage der Dinge auf eine gewisse Kooperation mit Beijing angewiesen. Mit dem Decoupling, der Entkopplung von der Volksrepublik, werde es dann nichts. Deshalb müsse nun Schluss sein mit der Umrüstung auf Wind- und Sonnenenergie.

Bei der Förderung von Frackinggas und seiner Umwandlung in Flüssigerdgas für den Export geht es laut Furchtgott-Roth freilich noch um mehr. Demnach zielt Washington darauf ab, als größter Exporteur weltweit eine dominante Weltmarktposition zu erlangen. Das ermögliche es den USA, die globalen Energiepreise zu beeinflussen, erläuterte die Heritage-Expertin in The National Interest. Kostengünstige Energie im eigenen Land sei zudem vorteilhaft für den Plan, die eigene industrielle Basis wieder zu stärken, nicht zuletzt übrigens auch durch die Abwerbung von Industrie etwa aus Europa, wo die Energiepreise steigen – dies auch aufgrund des Wechsels von billigem russischem Pipelinegas zu teurem US-Flüssigerdgas. Nicht zuletzt sei eine dominante Stellung auf dem globalen Energiemarkt mit zusätzlicher »geopolitischer Hebelkraft« verbunden, schrieb Furchtgott-Roth. (jk)

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