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Aus: Ausgabe vom 18.11.2025, Seite 5 / Inland
Rückverstaatlichung in Berlin

Enteignung – ganz easy!

Berliner Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« präsentiert Studie zur Finanzierung der Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne
Von Ralf Wurzbacher
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Mitglieder von »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« bei Vorstellung des eigenen Gesetzentwurfs (September 2025)

Eine Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände in Berlin ist machbar. Darüber besteht weitgehend Konsens. Die Frage ist bloß: zu welchem Preis? Die Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« (DWE) hat mit einer am Montag vorgelegten Studie Antworten geliefert. Demnach könnten die betroffenen Unternehmen mit Entschädigungen in einer Bandbreite von zehn bis 17 Milliarden Euro rechnen. »Eine Finanzierung ist möglich, auch bei einer langfristig niedrigen Miete und einem guten Bewirtschaftungsstandard«, erklärte Sprecherin Firdes Firat gegenüber junge Welt. »Es braucht also keine dauerhaften Zuschüsse aus dem Haushalt.« Die Hauptstadt werde durch den Schritt »nicht ärmer, sondern reicher«.

Ob dem so ist oder nicht, das könnte zu einem entscheidenden Faktor für das Gelingen eines zweiten Volksentscheids werden, den DWE in der Frage auf den Weg bringen will. Beim ersten Vorstoß vor vier Jahren kam zwar die erforderliche Mehrheit an Unterstützern zustande. Eine Umsetzung hat der Senat wegen Unwillens allerdings bis heute verschleppt. Beim neuen Anlauf sollen die Bürger, anders als damals, über einen eigens erarbeiteten Gesetzentwurf abstimmen, den die Politik verpflichtend zu verwirklichen hätte. Die Vorlage, die eine Rückverstaatlichung von rund 220.000 Wohneinheiten vorsieht, hatte die Initiative Ende September vorgestellt (jW berichtete). Was aber, wenn das Versprechen von langfristig bezahlbarem Wohnraum nicht zu halten ist und die Berliner am Ende sogar draufzahlen müssten, sei es als Mieter oder Steuerzahler?

Der Landesrechnungshof hat genau das in einem Gutachten vom Frühjahr 2024 vorausgesagt und eine »Vergesellschaftung mit vertretbaren Risiken« für abwegig befunden. Die Prüfer haben zwei Modelle durchgerechnet: Ein Schadensausgleich in Höhe des Marktwertes beliefe sich demnach auf bis zu 42 Milliarden Euro, was das klamme Land finanziell überfordern würde. Das zweite Szenario sieht eine Entschädigung von acht oder elf Milliarden Euro vor, wie dies eine vom Senat eingesetzte Expertenkommission erwogen hat. Das werde »unweigerlich zu Defiziten« bei der Bewirtschaftung führen, warnte die Behörde, was wiederum nur durch höhere Mieten oder zusätzliche Landesmittel zu kompensieren sei. Allerdings habe der Rechnungshof, wie Firat bemerkte, ausschließlich Extremwerte untersucht, ohne aber Aussagen zur tatsächlichen Refinanzierbarkeit von Vergesellschaftung zu treffen. »Diese Lücke schließen wir jetzt.«

Die im DWE-Auftrag von einem Team um den Sozialwissenschaftler Andrej Holm erstellte Expertise fragt nach der maximalen Entschädigungssumme, die sich aus den zu erwartenden Mieteinnahmen finanzieren lässt, ohne dass der Landeshaushalt belastet wird. Beispielsweise operiert eine Variante mit einer Nettokaltmiete von sieben Euro pro Quadratmeter, einer Mietsteigerung von jährlich 1,2 Prozent, Bewirtschaftungskosten von 3,73 Euro pro Quadratmeter sowie einem Finanzierungsmix aus Anleihen, Krediten und Eigenkapital bei einer Laufzeit von 60 Jahren. Daraus ergibt sich eine Entschädigungssumme von 15,3 Milliarden Euro. Je nach gewählten Ausgangswerten fällt der Betrag höher oder niedriger aus.

Eine Kompensation auf Niveau des aktuellen Marktwertes der Wohnungen schließt die Initiative von vornherein aus. Besagter Gesetzentwurf nennt einen Korridor von 40 bis 60 Prozent und beziffert diesen auf acht bis 18 Milliarden Euro. Finanziert werden soll dies über sogenannte Schuldverschreibungen, die über einen Zeitraum von 100 Jahren aus den Mieteinnahmen zu begleichen wären. Ziel des Projekts ist es, die ökonomische Machtkonzentration in der Hand weniger Konzerne zu brechen und die Weichen in Richtung einer gemeinwohlorientierten Wohnungs- und Mietenpolitik zu stellen. Berlin soll damit beginnen und im Erfolgsfall mittel- und langfristig Schule machen. Man verstehe die Studie als »Impuls zur weiteren fachlichen Auseinandersetzung«, schreiben die Autoren. Gelegenheit dazu bietet eine Veranstaltung des Lehrstuhls für Immobilienwirtschaft, Stadtentwicklung und Smart Cities an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin am 24. November 2025 um 19 Uhr.

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