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Aus: Ausgabe vom 17.11.2025, Seite 3 / Inland
Tötungen von Frauen

Was zeigen Ihre Daten über Femizide in der BRD?

Patriarchale Muster hinter Tötungen an Frauen werden juristisch kaum erfasst, erklärt Nora Reich
Interview: Barbara Eder
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Am Internationalen Frauenkampftag wird in aller Welt unter anderem gegen Femizide demonstriert (Berlin, 8.3.2025)

Das von Ihnen mitbegründete Projekt »Feminizidmap« war für den Clara-Zetkin-Preis der Linkspartei nominiert. Was hat sich seither getan?

Wir waren 2025 für den Preis nominiert. Zwar ging der Preis an Elizabeth Ngari von »Women in Exile«, aber für uns war die Nominierung eine große Anerkennung. Wir konnten unser Projekt vorstellen, Bundestagsabgeordnete treffen und uns mit anderen Engagierten vernetzen. Seitdem hat sich viel getan: »Feminizidmap« ist inzwischen ein eingetragener gemeinnütziger Verein, und wir haben die Arbeit stark professionalisiert. Unsere Datenbank zu Femiziden in Deutschland umfasst mittlerweile sechs dokumentierte Jahre und wird stetig erweitert. Für 2023 erstellen wir gerade den ersten Jahresreport, der demnächst veröffentlicht wird. Über 90 Prozent der Fälle aus dem Jahr gelten inzwischen als abgeschlossen, das heißt: Es liegt ein Urteil vor, oder der Täter hat Suizid begangen. Damit können wir erstmals vollständige Analysen vorlegen.

Was zeigen Ihre Daten über Femizide in Deutschland?

Erstens: Femizide treffen keineswegs nur junge Frauen. Etwa 30 Prozent der Opfer sind über sechzig Jahre alt – und auch die Täter sind häufig älter. Besonders alarmierend sind Fälle, in denen Frauen von ihren Partnern, Expartnern oder Söhnen getötet wurden, obwohl die Frauen zuvor mehrfach Hilfe gesucht haben. Zweitens: Die Urteile werfen Fragen auf. Manche Gerichte werten die Tatsache, dass ein Opfer sich in ein anderes Zimmer retten konnte, als Indiz gegen Heimtücke. Oder sie sehen keine Heimtücke, weil die Frau aufgrund von vorheriger Gewalt des Mannes »mit einem Angriff rechnen musste«. Solche Begründungen zeigen, wie wenig die patriarchalen Muster hinter Femiziden juristisch erfasst werden. Und drittens: Frauen mit Mehrfachdiskriminierungen – etwa ohne Deutschkenntnisse oder mit Fluchterfahrung – sind besonders gefährdet und zugleich am schlechtesten geschützt. Das sind strukturelle Lücken, die dringend politisch adressiert werden müssen.

Lassen sich die von Ihnen erfassten Femizide kategorisieren?

Wir arbeiten nach internationalen Standards und unterscheiden daher zwischen mehreren Typen von Femiziden, darunter der intime Femizid, also im Partnerschaftskontext; der familiäre durch Vater, Bruder oder andere Verwandte; der nichtintime durch Verehrer oder Bekannte ohne Beziehung sowie Femizide im Prostitutionskontext und weitere Kategorien. Neu hinzugekommen ist die genaue Auswertung der Urteile – also ob Mord oder Totschlag vorliegt, ob Jugendstrafrecht angewandt wurde, wie viele Jahre Haft ausgesprochen wurden. Damit lässt sich erstmals empirisch erfassen, wie deutsche Gerichte Tötungen an Frauen bewerten. Die Datenbank selbst ist aus Datenschutzgründen noch nicht öffentlich zugänglich, aber wir beantworten Anfragen. Unser Ziel bleibt ein umfassendes Gesetz zu Femiziden in Deutschland – jenseits einzelner symbolischer Maßnahmen wie der elektronischen Fußfessel.

Wer nutzt »Feminizidmap«?

Unsere Datenbank wird zunehmend von Wissenschaftlerinnen angefragt. Auch Institute interessieren sich für eine breitere Nutzung unserer Daten. Insbesondere im Vorfeld des 25. Novembers kommen vielfältige zivilgesellschaftliche Organisationen und Gruppierungen auf uns zu und benötigen spezifische Daten als Input für aktivistische Veranstaltungen im Rahmen des jährlichen Tages gegen Gewalt an Frauen. Wir verstehen uns als Monitoringstelle für Femizide in Deutschland – so lautet auch unser Vereinsname – und leisten damit etwas, das staatliche Institutionen bereitstellen müssten: Die Istanbul-Konvention verpflichtet Deutschland zur systematischen Erfassung von Tötungen an Frauen, doch bis heute fehlt eine offizielle Stelle. Unser Engagement bleibt ehrenamtlich, getragen von der Überzeugung, dass die feministische Zivilgesellschaft hier eine Lücke schließen muss.

Nora Reich engagiert sich bei dem Projekt feminizidmap.org, das Femizide bzw. Feminizide in Deutschland dokumentiert

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