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Aus: Ausgabe vom 15.11.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
Katholische Friedensbewegung

Wider das Absegnen der eigenen Kriegstüchtigkeit

Die Haltung der katholischen Kirche in Deutschland zu Krieg und Frieden. Ein Offener Brief an Pax Christi
Von Michael von der Schulenburg
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Helm ab zum Gebet: Feldgottesdienst auf dem Truppenübungsplatz Munster (18.4.2024)

Am Sonnabend, dem 15. November, hält Pax Christi in Heidelberg die Konferenz »Für ein Kriegsende und eine europäische Sicherheits- und Friedensordnung« ab. Zu diesem Anlass hat der frühere UN-Diplomat und jetzige EU-Abgeordnete Michael von der Schulenburg am 3. November einen offenen Brief an diese Friedensbewegung in der katholischen Kirche verfasst.

Mein Name ist Michael von der Schulenburg. Ich bin praktizierender Katholik und habe 34 Jahre für die Vereinten Nationen in Entwicklungs- und Friedensmissionen gearbeitet – meist in führenden Positionen und in Ländern, die sich im Krieg befanden oder durch Kriege direkt oder indirekt in Mitleidenschaft gezogen wurden. Heute bin ich parteiloser Abgeordneter der BSW-Gruppe im Europäischen Parlament. (…)

Einleitend möchte ich darauf hinweisen, dass ich seit 1978 nicht mehr in Deutschland lebe und heute meinen ersten Wohnsitz in Österreich habe. Damit möchte ich betonen, dass vieles, worüber ich hier schreibe, auf persönlichen Eindrücken beruht und keiner eingehenden Analyse entspringt. Ich bin kein Theologe und verfüge über kein theologisches Fachwissen. Dieser offene Brief soll daher nicht als Anklage oder Schuldzuweisung verstanden werden, sondern als Ausdruck einer inneren Unruhe, die sich aus meinen langjährigen Erfahrungen mit Krieg und Frieden in vielen Teilen der Welt speist.

Die Worte »Pax Christi« sind bereits Programm – ein Programm, das Christen dazu verpflichtet, sich für Verständigung und Frieden einzusetzen. Gerade in dieser Zeit sollte das von größter Bedeutung sein: einer Zeit, in der der Ukraine-Krieg und die Kriege Israels in Gaza, der Westbank, im Libanon und Syrien – sowie die Kriege mit dem Iran, dem Jemen und Katar – zu unsagbarem menschlichem Leid und einem uns alle bedrohenden Ausmaß geführt haben.

Die Gefahren dieser Kriege sind heute unkalkulierbar. Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs spielen Nuklearwaffen in diesen Konflikten eine strategische Rolle – bislang noch als Abschreckung. Aber wo liegt die Grenze zwischen Abschreckung und Einsatz? Vor diesem Hintergrund sollten Berichte über die Modernisierung von Atomwaffen, die rasante Entwicklung neuer Trägersysteme und Pläne für erneute Atomwaffentests uns zutiefst beunruhigen.

Mit dieser Entwicklung riskieren wir die Schöpfung. Wie können wir dazu schweigen? Auf meinen Reisen besuche ich regelmäßig Messen in Österreich, Deutschland, den Niederlanden und Belgien. Doch in den letzten Jahren habe ich kein einziges Mal eine Fürbitte für die Kinder in Gaza gehört – oder für die jungen Ukrainer und Russen, die sich gegenseitig töten. In keiner Predigt wurden diese Kriege erwähnt, und bei keinem Friedensgruß wurde vor einer Entwicklung gewarnt, die zur Zerstörung der Menschheit und allen Lebens auf der Erde führen könnte.

Dabei haben sich Papst Franziskus – ebenso wie heute Papst Leo XIV. – unermüdlich um Frieden bemüht und immer wieder friedliche Lösungen für Konflikte eingefordert. Im Sommer 2022 war ich unter Führung von Jeff Sachs gemeinsam mit Romano Prodi, Anatol Lieven und vielen anderen – darunter mehrere Kardinäle – vom Vatikan eingeladen, wo wir eine mögliche Friedenslösung für den Ukraine-Krieg erarbeitet haben. Als ich versuchte, darüber im Bistum Wien oder in meiner kleinen Gemeinde in Bisamberg zu berichten, stieß ich auf Ablehnung. Man wollte sich nicht einmal auf einen Kaffee mit mir treffen. Woher kommt diese Angst, sich mit dem Thema Krieg auseinanderzusetzen?

In dieses kirchliche Schweigen bricht nun die erschreckende Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zum Wehrdienst vom 13. Oktober dieses Jahres. Sie ist im Stil eines juristischen Gutachtens verfasst – vom Geist einer Pax Christi ist darin nichts zu spüren. Im Gegenteil: Sie liest sich wie eine Rechtfertigung von Kriegsvorbereitungen. Dabei werden die Kriegsnarrative der Bundesregierung völlig unkritisch übernommen. Eine derart schwarzweiße Darstellung mit klaren Schuldzuweisungen mag für eine Regierung, die sich im Konflikt mit Russland befindet, noch nachvollziehbar sein – für Bischöfe einer weltumspannenden Kirche ist sie es nicht.

Der Wehrdienst – also eine zentrale Frage der Kriegsvorbereitung der Bundesregierung – wird in dieser Erklärung gerechtfertigt. Dabei wird das Argument einer »sicherheitspolitischen Bedrohung durch Russland«, also einer unmittelbaren Kriegsgefahr für Deutschland, übernommen. Eine solche Kriegsgefahr wird jedoch nur von europäischen NATO-Mitgliedern (und insbesondere von der Bundesregierung) behauptet. In den USA hingegen ist in den jährlich erscheinenden gemeinsamen »Gefahrenanalysen der US-Geheimdienste« nie von einer derartigen Bedrohung die Rede. Auch in den vielen Nicht-NATO-Ländern, in denen heute die Mehrheit der Christen lebt, wird eine Gefahr, dass Russland letztlich auch uns angreifen würde, offenbar nicht gesehen. Warum also übernehmen deutsche Bischöfe diese Sichtweise? Sollte es überhaupt die Rolle deutscher Bischöfe sein, sich in Kriegen auf eine Seite zu stellen? Ist das Absegnen der eigenen Kriegstüchtigkeit bei gleichzeitiger Verteufelung von Gegnern überhaupt eine christliche Haltung? Wäre es nicht vielmehr Aufgabe einer christlichen Gemeinschaft, sich auch gegenüber einem Gegner verständnisvoll und ausgleichend zu öffnen? Sind diplomatische Prinzipien zur Lösung von Konflikten – wie (i) dem Gegner Respekt zu zollen, (ii) auch seinen Narrativen zuzuhören und (iii) den Versuch zu unternehmen, seine Positionen zu verstehen – nicht letztlich Prinzipien, die einer christlichen Kirche besser zu Gesicht stünden als die nun veröffentlichte bischöfliche Erklärung zum Wehrdienst?

Sollten deutsche Bischöfe im Sinne einer Pax Christi ihre Energie nicht vielmehr darauf richten, Gesprächsfäden aufzunehmen und Friedensperspektiven zu entwickeln – so wie wir es bereits im Sommer 2022, also vier Monate nach Ausbruch des Krieges, an der Päpstlichen Akademie des Vatikans, der Pontificia Academia Sancti Thomae Aquinatis, getan haben? Diese Akademie wurde 1879 von Papst Leo XIII., dem Namensvorgänger und Vorbild des heutigen Papstes, gegründet.

Könnte die Charta der Vereinten Nationen – ein Dokument, das von allen Päpsten seit dem Zweiten Weltkrieg unterstützt wurde – nicht auch deutschen Bischöfen helfen, eine christlichere Haltung zur Frage von Krieg und Frieden einzunehmen? Vier Gedanken dazu:

1. Die Verpflichtung zu friedlichen Lösungen von Konflikten

Um Kriege zu vermeiden, haben sich alle 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen in der Charta verpflichtet, ihre Konflikte ausschließlich durch friedliche Mittel – also durch Verhandlungen, Diplomatie, Vermittlungen oder Schiedsgerichte – zu lösen. Das gilt selbstverständlich auch für bereits ausgebrochene Kriege, die so schnell wie möglich beendet werden sollen. Wäre es daher nicht angebracht, wenn deutsche Bischöfe die Bundesregierung zu Gesprächen und Verhandlungen mit Russland aufforderten, um eine friedliche Lösung des Ukraine-Kriegs zu erreichen?

2. Die Abkehr von der Idee gerechter Kriege

Die UN-Charta unterscheidet nicht mehr zwischen gerechten und ungerechten Kriegen. Sie verpflichtet alle Kriegsparteien gleichermaßen, sich um eine friedliche Lösung zu bemühen. Denn in allen Kriegen behauptet jede Seite, im Recht zu sein. Deshalb spielen Überlegungen zur Kriegsschuld bei Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen keine Rolle. Nach der Charta sind alle Kriege unmoralisch – und doch erkennt die Charta an, dass es in Kriegen nicht um Moral, sondern um Interessen geht. Eine Friedenslösung bedeutet daher immer auch einen Interessenausgleich. Schuldzuweisungen, wie sie von deutschen Bischöfen geäußert werden, sind in diesem Kontext fehl am Platz.

3. Nie wieder Krieg!

Die sicherheitspolitischen Überlegungen in der westlichen Welt werden heute vom Spruch des römischen Militärschriftstellers Publius Flavius Vegetius Renatus aus dem 4. Jahrhundert geprägt: »Si vis pacem, para bellum.« – »Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.« Doch dieser Spruch geht davon aus, dass der Mensch dem Menschen stets ein Feind ist und Frieden nur durch Waffen erzwungen werden kann.

Das ist ein zutiefst menschenverachtendes Weltbild – und deutsche Bischöfe sollten sich davon klar distanzieren. Die UN-Charta hingegen geht von einem positiven Menschenbild aus: dass der Mensch durch Vernunft und Vertrauen in der Lage ist, Konflikte friedlich zu lösen – auf eine Weise, die von allen Seiten akzeptiert werden kann. Ist das nicht eine Haltung, die dem christlichen Glauben nähersteht?

4. Das Wort als Fundament der Schöpfung

Oft wird kritisiert, die UN-Charta bestehe nur aus Worten – und könne in einer Welt mit fast drei Billionen Dollar an jährlichen Militärausgaben nichts bewirken. Doch sollte ein solches Argument nicht gerade Christen aufrütteln? Das Christentum – wie auch Judentum und Islam – basiert auf dem Wort. Das Johannesevangelium beginnt gar mit den gewichtigen Worten: »Im Anfang war das Wort.« Wenn das Wort für die göttliche Schöpfung steht – wie können wir dann akzeptieren, dass unser Frieden auf von Menschen geschaffenen Waffensystemen beruht, die alles Leben auf der Erde in wenigen Stunden vernichten könnten? Sollten religiöse Gemeinschaften nicht die vorrangigen Fürsprecher der UN-Charta sein? (…)

Der Friede sei mit Euch!

Michael von der Schulenburg ist parteiloser Abgeordneter der BSW-Gruppe im EU-Parlament. Er ist ehemaliger Assistant Secretary-General der Vereinten Nationen und war als UN-Diplomat unter anderem in Afghanistan, Haiti, Pakistan, Iran, Irak und Sierra Leone, Syrien, Somalia, Zentralasien, auf dem Balkan und in der Sahelregion tätig. Seine anlässlich des 80. Jahrestages der UN-Charta am 24. Oktober 2025 verfasste Schrift »Nie wieder Krieg – die Charta der Vereinten Nationen« kann auf der Webseite www.michael-von-der-schulenburg.com heruntergeladen werden

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