Ein grobes Mistverständnis
Von André Dahlmeyer
Einen wunderschönen guten Morgen! Am Sonntag kam es am vorletzten Spieltag der Gruppenphase der argentinischen Meisterschaft (Torneo Clausura) in der Bombonera (Pralinenschachtel) am Río Riachuelo zum Superklassiker zwischen Boca Juniors und River Plate, dem historisch meistbeachteten Fußballspiel der Welt auf Klubebene. Nach dem Copa-Libertadores-Finalrückspiel im Santiago Bernabéu von Ende 2018 und den Libertadores-Halbfinals von 2004 war diese Partie wohl die wichtigste der Balltretgeschichte zwischen den beiden Vereinen, ein echtes Endspiel, es ging für beide Teams sowohl um die Qualifikation für die kommende Copa Libertadores als auch um die für die Achtelfinals der silberländischen Meisterschaft.
Die beiden Schwergewichte Lateinamerikas schwächeln seit geraumer Zeit, bei Boca Juniors folgte ein Trainer auf den anderen, die Spielstile, mit denen Anhänger und Medien die Klubs identifizieren, wurden seit längerem nicht mehr abgerufen und wenn, dann lediglich als Sternschnuppenevent. Vor allem die River-Plate-Fans kriegen allmählich die mentale Krätze. Im August des vergangenen Jahres war Marcelo Gallardo zum Rekordmeister zurückgekommen, der erfolgreichste Trainer der Vereinsgeschichte, das größte Idol der Hinchas (Fans). In den acht Jahren seiner Regentschaft (Spitzname: Napoleón) gab es eine Titelschwemme (14) beim Millonario, darunter zwei Copas Libertadores.
Im argentinischen Fußball verdient man nur Bakschisch, Gallardo bügelte also sein Konto rund acht Monate sportlich eher erfolglos beim saudi-arabischen Al-Ittihad auf und ersetzte schließlich nach seiner Rückkehr seinen Nachfolger Martín »Micho« Demichelis, der von der Bayernreserve gekommen war, ein einziges Mistverständnis. Für den ehemaligen River-Plate-Star war es der erste richtige Trainerjob. Demichelis war durchaus erfolgreich, aber den Fans gefiel der Spielstil ihres Teams nicht, zu europäisch, und als Trainer war er ihnen, sobald er den Mund aufmachte, zu arrogant. Der Klassiker: Wer lange im Ausland weilt, versteht und erreicht die eigenen Leute nicht mehr.
Vor dem Stadion von River Plate (gleich um die Ecke der ESMA, der Mechanikschule der Marine, dem größten Konzentrationslager der Diktatur, 1976–1983) protzt seit Mai 2023 die größte Statue der Welt, die je einem Protagonisten des Fußballbusiness gewidmet wurde, in diesem Fall Marcelo Gallardo. Sie misst 7 Meter und wiegt 6,5 Tonnen. Nach seiner Rückkehr holte »Napoleón« vor allem alte River-Plate-Stars zurück, die schon unter seiner Fuchtel kickten. Der Kader ist aufgebläht und überaltert, die vier amtierenden Weltmeister im Team können allein freilich keine Spiele gewinnen. Es macht den Eindruck, als erreiche Gallardo, dessen Vertrag gerade vom neuen Präser trotz einer historischen Negativserie um ein Jahr verlängert wurde, die Spieler nicht mehr. Da ist null Selbstvertrauen, ein Blinder mit Krückstock erkennt das.
Vor dem Match in der Bombonera hatte Gallardo salbadert, es sei für seine Schutzbefohlenen die beste Gelegenheit, sich wieder mit den Fans zu versöhnen. Sie versemmelten es. River Plate trat mit einer ängstlichen Fünferkette an. Mann des Nachmittags war der 23jährige Flügelflitzer Exequiel Zeballos, der Ende der ersten Halbzeit für den Führungstreffer sorgte, dann gleich nach dem Wiederanpfiff nach einem tollen Solo über links den gebürtigen Misionero Juan Portillo vernaschte und für den Uru Miguel Merentiel auflegte, der für den 2:0-Endstand sorgte. Boca Juniors qualifizierte sich nach zwei Jahren ohne kontinentale Spiele für die Copa Libertadores sowie für die Achtelfinals der Meisterschaft und träumt nun im ganz großen Stil. River Plate ist im Vorhof der Fußballhölle angekommen. Bei den 15 Spielen am letzten Spieltag am Weekend geht es nur bei einem um nichts mehr, so geht Fußball. River Plate hat bislang nur die Qualifikation für die Copa Sudamericana sicher. Das wird den Fanatikern zu wenig sein. Beim (einzigen) Abstieg 2012 zündeten sie das eigene Stadion an.
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