Was müsste sich bei den Gewerkschaften ändern?
Interview: Anselm Schindler
Die Stadt Wien kürzt drastisch im Sozial- und Gesundheitsbereich. Wie wirken sich die Streichungen aus?
Es ist nicht einfach, ein Gesamtbild zu zeichnen, weil nicht transparent gemacht wird, wo gerade überall gekürzt wird. Trotzdem bekommen Kolleginnen und Kollegen in verschiedenen Betrieben sukzessive mit, was da auf uns zukommt, es gibt auch schon erste Kündigungen. Ein Beispiel ist die Suchthilfe Wien. Sie organisiert die Arbeit mit suchtkranken Menschen. Einige Einrichtungen bestehen seit Jahrzehnten und werden nun offensichtlich dem Erdboden gleichgemacht. Beispielsweise der sozialökonomische Betrieb »Fix und fertig«, der an der Reintegration suchtkranker Menschen arbeitet. »Fix und fertig« hat gerade 30 Jahre Bestehen gefeiert und wird jetzt wahrscheinlich geschlossen, weil die Stadt Wien sich weigert, weiter zu zahlen.
Was heißt es, wenn so ein Betrieb geschlossen wird?
Das heißt, dass Dutzende Kolleginnen und Kollegen ihren Job verlieren, bedeutet aber auch, dass ein wichtiges Projekt für die Unterstützung von Menschen wegbricht. Da wird jahrelange Arbeit und Expertise kaputtgespart, das kann man nicht mal eben so wieder aufbauen. Auch in der Kinder- und Jugendarbeit wird gekürzt: Dort gibt es Einrichtungen, in denen Kolleginnen und Kollegen jetzt »freiwillig« Stunden reduzieren, damit keine Stellen gestrichen werden. Viele Kolleginnen und Kollegen im Sozialbereich arbeiten sowieso schon Teilzeit, oft werden gar keine Vollzeitstellen mehr angeboten. Wer hier noch weiter mit den Stunden runtergeht, landet schnell an der Armutsgrenze, weil das Geld trotz Arbeit nicht mehr reicht.
Die SPÖ hat 2024 noch verkündet, dass es keine »Einsparungen« geben wird. Jetzt also doch. Was ist aus dem »Roten Wien« geworden?
Das »Rote Wien« ist ja schon lange nicht mehr rot, sondern blassrosa. Jetzt koaliert die SPÖ mit der neoliberalsten Partei, den Neos, und so schaut auch der Wiener Haushalt aus. Dabei sind auch die Maastricht-Kriterien der EU ein Problem. Sie erlegen den Kommunen sehr enge Grenzen für ihren Haushalt auf. Das führt oft dazu, dass – statt beim Militär zu sparen – gerade im Sozialbudget, aber auch im Bildungsbereich zuwenig Geld investiert wird. Zusätzlich zu den Einsparungen bei diversen Einrichtungen gibt es auch Druck auf die Löhne. Gerade verhandeln die österreichischen Gewerkschaften für 130.000 Beschäftigte im Sozial- und Pflegebereich den Tarifvertrag.
Wie ist da der Stand?
Die erste Verhandlungsrunde hat ohne Ergebnis geendet, weil die Arbeitgeberseite nicht einmal die Inflation abgelten will. Auch der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung ist eine Abfuhr erteilt worden. Wenn man sich den Zustand unserer sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftslandschaft anschaut, wird es nicht leicht, gegen den drohenden Reallohnverlust anzukämpfen.
Was müsste sich denn bei den Gewerkschaften ändern?
Es müsste eine eigenständige gewerkschaftspolitische Linie entwickelt werden statt der bisherigen sozialpartnerschaftlichen und staatstragenden Ausrichtung. Es ist Wahnsinn, dass zum Beispiel die Gewerkschaftsvorsitzende Barbara Teiber für die SPÖ im Parlament für Kürzungen die Hand hebt. Die Idee von einem budgetären Gesamtwohl ist eine Lüge – in einer Klassengesellschaft gibt es Klassengegensätze, und die Aufgabe der Gewerkschaft ist es, für die Seite der arbeitenden Klasse zu streiten. Es ist schwer, die von der SPÖ durchdrungenen Gewerkschaften gegen den Regierungskurs in Stellung zu bringen – aber genau diese Auseinandersetzung muss geführt werden. Es gibt aber auch Schritte in die richtige Richtung: Kürzlich wurde in einer Betriebsrätekonferenz des Sozial- und Gesundheitsbereichs unsere Resolution angenommen, in der gegen die Rotstiftpolitik mobil gemacht wird. Auch in den anderen Bundesländern werden Demonstrationen organisiert, und in Wien haben sich Betriebsratsgremien der Branche zusammengeschlossen und verlegen ihre Betriebsversammlungen als Proteste auf die Straße.
Selma Schacht ist Betriebsrätin bei der österreichischen »Bildung im Mittelpunk« GmbH und aktiv in der »Kommunistischen Gewerkschaftsinitiative International« (Komintern)
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