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Aus: Ausgabe vom 10.11.2025, Seite 3 / Ansichten

Freiheitsbote des Tages: BND-Quelle »Enrico«

Von Nico Popp
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Gruppenbild ohne »Enrico«, aber mit Geheimdienstkomponente: Kai Wegner, Regierender Bürgermeister von Berlin, posiert mit prowestlichen Aktivisten vor einem Nachbau der sogenannten Freiheitsglocke (8.11.2025)

In Berlin ist »Freedom Week«, und da geht es natürlich nicht nur um Gegenwart und Zukunft der globalen Regime-Change-Industrie, sondern auch um frühere Großtaten. Für Montag angekündigt ist ein Vortrag im BND-Besucherzentrum, das als »Projektpartner« an der »Freedom Week« beteiligt ist. Thema für Michael von Rintelen, »Leiter Historisches Büro« beim BND: »Krise vor dem Mauerfall: Erfolgreiche Einblicke des BND in die DDR«.

Klingt interessant, denn über solche »Einblicke« in die Vorbereitung der DDR-Abschaffung ist ja immer wieder spekuliert worden. Was Rintelen vortragen will, hat er vorab schon Welt am Sonntag verraten. Demnach hat ein gewisser Erich Hempel, ein frühpensionierter DDR-Diplomat, den BND ab Herbst 1988 bei über 30 Treffen mit Informationen aus der SED-Führung versorgt. Zum Beispiel am 17. Oktober 1989 über die erst am Folgetag bekanntgegebene Ablösung Erich Honeckers. Kohl habe so einen »luxuriösen Informationsvorsprung« erhalten. Die ganze Geschichte klingt etwas unrund – beinahe so, als habe in Ostberlin jemand Hempel (BND-Deckname »Enrico«) als Boten benutzt. Die MfS-Spionageabwehr hatte Hempel offenbar im Blick, griff aber nicht ein.

Der Tag im BND-Besucherzentrum klingt aus mit »Gedanken zur Freiheit in Verantwortung« von Rainer Eppelmann. Ein Fingerzeig, dass der Pfarrer und Bürgerrechtler a. D. in dieser Umgebung auftaucht? Wir wollen nicht spekulieren – Eppelmanns Draht in den Westen verlief ja auf offener Bühne. Kürzlich stolperte ich über einen Anfang 1989 in Hanfried Müllers Weißenseer Blättern erschienenen kleinen Artikel, in dem nach einem Eppelmann-Interview in Bild eine Frage gestellt wurde: »Ist es eigentlich erträglich, dass ein Pfarrer einer DDR-Kirche eine ausländische Regierung auffordert, eine offensivere Politik gegen sein eigenes Land zu treiben?« Ja, fand die SED-Spitze. Man kann auf unterschiedlichen Wegen Kapitulationsbereitschaft signalisieren.

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