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Aus: Ausgabe vom 07.11.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
Syrien-Krieg

Lafarge vor Gericht

Syrien-Krieg: Französischer Zementkonzern wegen Kollaboration mit Dschihadisten erneut auf der Anklagebank
Von Karin Leukefeld
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Hier regierte einmal der »Islamische Staat«, wie die Wandmalerei anzeigt (Tabka, 12.5.2017)

Der französische Zementgigant Lafarge musste für seine Tätigkeit in Syrien bereits einen hohen Preis bezahlen. Seit Dienstag steht er erneut vor Gericht. Der Prozess in Frankreich ist zunächst bis zum 16. Dezember terminiert. Im Oktober 2022 wurde der Konzern bereits vom US-Justizministerium zu einer Strafe von 788 Millionen US-Dollar verurteilt. Dafür, dass er die von den USA als Terrororganisationen designierten Dschihadistengruppen »Islamischer Staat« (IS) und »Nusra-Front« bezahlt hatte, um seinen Betrieb aufrechterhalten zu können. Dabei soll Lafarge nach US-Angaben mindestens 70,3 Millionen US-Dollar Gewinn erzielt haben.

Lafarge hatte 2013/2014 mit Geldzahlungen von bis zu 13 Millionen Euro an verschiedene syrische bewaffnete Kampfverbände versucht, sein Zementwerk im Norden Syriens zu schützen, um die Produktion fortsetzen zu können. Nach Angaben französischer Gerichte dementiert Lafarge die Geldzahlungen nicht und kooperiert in allen Bereichen mit der Justiz. Sowohl die französische Tageszeitung Libération als auch die türkische Nachrichtenagentur Anadolu haben spätestens seit 2021 über den Fall berichtet. Auch der katarische Nachrichtensender Al-Dschasira widmete dem Fall ausführliche Beiträge.

Von Paris ermuntert

Lafarge hatte demnach seit 2014 Kontakt zum französischen Geheimdienst, um diesen über die Vereinbarung seitens des Unternehmens mit den Kampfverbänden zu informieren. Libération führte ein Dokument des französischen Auslandsgeheimdienstes DGSE mit Datum vom 26. August 2014 an, in dem unter dem Stichwort »vertrauliche Verteidigung« zu lesen war, dass der französische Staat »sehr wohl von den Bedingungen wusste, unter denen Lafarge seine Produktion in Syrien in einem Gebiet aufrechterhalten« konnte, »das teilweise vom ›Islamischen Staat‹ besetzt gehalten wurde«. Der Kontakt zwischen Lafarge und dem französischen Geheimdienst soll laut Anadolu bereits am 22. Januar 2014 begonnen haben.

An dem Tag habe der Sicherheitschef von Lafarge, Jean-Claude Veillard, per E-Mail dem Geheimdienst des französischen Innenministeriums mitgeteilt, dass das Unternehmen Kontakte zu »lokalen Akteuren« unterhalten müsse, um seine Arbeit in Syrien fortsetzen zu können. 2013/2014 soll es »mehr als 30 Treffen zwischen Lafarge und den verschiedenen französischen Geheimdiensten für das Innere, Äußere und den militärischen Geheimdienst gegeben haben«. Die wiederum kooperierten im Syrien-Krieg mit anderen NATO-Diensten, die aus militärischen Kontrollzentren in der Türkei und in Jordanien heraus den Krieg mit umfangreichen Waffenlieferungen und dem Einschleusen von Kämpfern schürten.

In einem Interview mit Libération vom März 2023 erklärte der ehemalige Lafarge-Manager Bruno Lafont, die Behörden hätten das Unternehmen ermuntert, seine Arbeit in Syrien fortzusetzen. Der französische Staat habe sich unter anderem deshalb für die Arbeit von Lafarge interessiert, »weil die Fabrikanlage (in Syrien) einen wirklich strategischen Standort für die (Anti-IS-)Koalition und für Frankreich gehabt« habe. Das ist unübersehbar, wenn man die »M4« von Aleppo Richtung Osten fährt, wo sich die Anlage südlich der Autobahn in Dschabalija erhebt.

Nachdem Lafarge die Zementfabrik 2014 geräumt hatte, wurde sie vom »Islamischen Staat im Irak und in der Levante« eingenommen. Von dort griffen die IS-Kämpfer 2014 den Ort Ain Al-Arab an der syrisch-türkischen Grenze an, dessen kurdischer Name Kobanî durch den Widerstand der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG bekannt wurde. Diese wurden in ihrem Verteidigungskampf – durch Vermittlung der USA – zunächst von Sondereinheiten der nordirakischen Peschmerga unterstützt, die über die Türkei Kobanî erreichten.

Fabrik als Drehkreuz

Mit US-Luftunterstützung konnten die YPG-Einheiten den IS bis zur Stadt Rakka zurückdrängen. Die auf dem Weg liegende – bei den Angriffen verschont gebliebene – Zementfabrik Lafarge ging von der IS- in kurdisch-US-amerikanische Kontrolle über. Die US-Armee richtete dort eine Militärbasis ein. Ihr Hubschrauberlandeplatz diente als Drehkreuz für US-Truppen und Verbündete. Von der Zementfabrik ging der kurdische Vormarsch in Richtung Rakka aus, von wo – wiederum unter Luftangriffen der US-geführten »Anti-IS-Koalition« – der IS weiter Richtung Osten vertrieben wurde.

Die Zementfabrik bot auch französischen Militäreinheiten eine Basis. Als US-Präsident Donald Trump in seiner ersten Amtszeit 2019 einen Teilrückzug der US-Truppen aus Syrien anordnete, räumten diese die Lafarge-Militärbasis ebenfalls und überließen die Anlage den russischen und syrischen Armeekräften. Gemäß einer Vereinbarung auch mit der Türkei kontrollierten russische Soldaten fortan Militärbasen und Gebiete, die zuvor von den US-Truppen besetzt waren. Dazu gehörte auch die strategisch wichtige Autobahn »M4«, auf der fortan russische Einheiten patrouillierten.

Die Lafarge-Zementfabrik hat viele Kampfverbände und Armeen kommen und gehen sehen. Die Nusra-Front, die von Lafarge zwischen 2013 und 2014 Schutzgeld erhalten hatte, änderte 2015 ihren Namen in Haiat Tahrir Al-Scham (HTS). Ihr Machtbereich beschränkte sich lange auf die Region Idlib. Seit dem Umsturz im Dezember 2024 stellt die Nusra-Front alias HTS den »Interimspräsidenten« Syriens, als den Ahmed Al-Scharaa sich selbst installierte. Er hatte 2012 unter dem Pseudonym Abu Mohammed Al-Dscholani die Nusra-Front als Al-Qaida-Ableger in Syrien gegründet.

Hintergrund: Traditionsreiches Unternehmen

Das 1833 im südfranzösischen Örtchen Le Teil von dem Unternehmer Léon Pavin de Lafarge gegründete und nach ihm benannte Unternehmen hat zunächst feuerfeste Schamottsteine produziert. International wurde die Firma Lafarge bekannt, als sie 1864 für den Bau des Suezkanals 110.000 Tonnen Kalkstein lieferte. Der Konzern verfügt heute über mehr als 1.900 Produktionsstätten weltweit und verzeichnete 2013 mit 64.000 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 15,2 Milliarden Euro. 2014 fusionierte Lafarge in einem »Zusammenschluss unter Gleichen« durch Aktientausch mit dem Schweizer Konkurrenten Holcim zum Konzern Holcim Lafarge Ltd. Der Jahresumsatz verdoppelte sich mit 140.000 Mitarbeitern weltweit auf 30 Milliarden Euro. Schon vor dem Zusammenschluss hatte Lafarge sein Unternehmensimage durch Partnerschaften mit den Naturschutz- und Hilfsorganisationen WWF, Care und Habitat for Humanity aufpoliert. Schließlich belastet die Zementproduktion die Umwelt stark. Das Unternehmen ist zudem Mitglied in der Global Business Coalition on HIV/AIDS sowie im Nachhaltigkeitsrat World Business Council for Sustainable Development.

2010 hatte Lafarge ein großes Zementwerk im Wert von 680 Millionen Euro in Dschabalija in der Provinz Aleppo im Norden Syriens in Betrieb genommen. Nach Beginn des Syrien-Krieges wurde bekannt, dass das Unternehmen Millionen Euro an bewaffnete oppositionelle Kampfgruppen bezahlte, um den Betrieb fortsetzen zu können. Hintergrund war seit Mitte 2012 der Sturm der sogenannten Rebellen auf die nördliche Provinzstadt Aleppo – das syrische Wirtschaftszentrum – und die nordwestlich davon gelegene Industriestadt Scheich Nadschdschar. Kämpfer der »Freien Syrischen Armee«, vom »Islamischen Staat im Irak und in Syrien« (englisch ISIS oder arabisch »Daesch« abgekürzt) und von der »Nusra-Front« stürmten die weitläufigen Industrieanlagen. Sie plünderten Maschinen, ganze Produktionsstraßen, Computer, Werkzeuge, Rohstoffe und Fuhrparks und transportierten ihre Beute über die Grenze in die Türkei.

Geld zu erpressen war die Haupterwerbsquelle der diversen syrischen Kampfgruppen, die zudem aus der Türkei mit Waffen beliefert wurden und deren Zahl damals nach UN-Angaben auf mehr als 1.000 landesweit gestiegen war. Nicht nur Lafarge bezahlte, um sein Werk vor der Zerstörung zu retten. Auch syrische Unternehmen in Aleppo, Homs, Damaskus und andernorts hofften, durch die Entrichtung von Schutzgeld von weiteren Verwüstungen, Entführungen oder Morden verschont zu bleiben. (kl)

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