Autokratische Fossilien
Die Akkumulation des Kapitals ist das Bewegungsgesetz der Gesellschaften des Planeten. Die intrinsische Logik dieses unbegrenzten »Immer mehr« schafft Probleme, stößt an Grenzen, die eben dieser Planet setzt, wenn er den ausgebeuteten natürlichen Reichtum nicht mehr reproduziert, sich erschöpft, zur Wüstenei oder zur Müllkippe wird. Der Zusammenhang – kapitalistische Produktionsweise hie, kaputter Planet da – wird außerhalb marxistischer Reflexion eher selten angesprochen, sorgt aber für einen handfesten Widerspruch: Klimaschutzmaßnahmen, die verhindern sollen, dass Kapital in Zukunft nicht mehr akkumulieren kann, schmälern die Profite der Gegenwart. Also werden sie abgeräumt oder zurechtgestutzt, wie jetzt die Staaten der EU vereinbart haben.
Die Süddeutsche Zeitung ist nicht zufrieden mit dem Kompromiss. »Das Signal aus Brüssel an die Welt, nach Jahren der Klimaklarheit, ist trüb: Europa geht auf Schlingerkurs.« Hoffnung setzt das Münchener Blatt in ein mit Rechten nicht gerade üppig bedachtes Gremium: »Noch kann das EU-Parlament einiges ausbügeln, und es sollte das auch tun. Denn der Klimaschutz ist eine Chance für Europa – für seine Wirtschaft, seine Unabhängigkeit von fossilen Autokraten, seine Zukunftsfähigkeit.« In Frankfurt am Main herrscht die Perspektive des Kassenwarts: »Für den globalen Klimaschutz muss das« – was da in Brüssel ausgeknobelt wurde – »keine schlechte Nachricht sein. Oftmals ist die Bekämpfung der Erderwärmung außerhalb Europas günstiger als hierzulande, und dabei ist zunächst einmal nicht relevant, wo genau weniger Emissionen ausgestoßen werden. Wichtig wird nun sein, sicherzustellen, dass es genügend hochwertige Projekte in Drittsaaten gibt, ohne neue Bürokratie für die Unternehmen aufzubauen«, schreibt die FAZ.
Formidable! Sollen die anderen doch machen, ist billiger. Zweifelhaft indes, dass dieses Kalkül aufgeht. In derselben Ausgabe der Zeitung macht der brasilianische Präsident Lula da Silva, Gastgeber der jetzt beginnenden Klimakonferenz in Belém, in einem Gastbeitrag eine andere Rechnung auf. Bei der Bewältigung der globalen Krise gebe es gemeinsame, aber eben unterschiedliche Verantwortlichkeiten. »Deshalb fordert der globale Süden einen besseren Zugang zu Ressourcen – nicht als Wohltätigkeit, sondern aus Gerechtigkeit. Die reichen Länder haben am meisten von der kohlenstoffbasierten Wirtschaft profitiert. Sie müssen sich nun ihrer Verantwortung stellen, nicht nur, indem sie ihre Verpflichtungen eingehen, sondern auch durch die Begleichung ihrer Schulden.« Schulden? Bei den autokratischen Fossilien in München oder Frankfurt ist man sich vermutlich keiner Schuld bewusst. (brat)
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