Rotlicht: Meme
Von Felix Bartels
»Was ist der widerstandsfähigste Parasit? – Ein Gedanke: resistent, hoch ansteckend. Wenn ein Gedanke einen Verstand infiziert hat, ist es fast unmöglich, ihn zu entfernen.« So eröffnet »Inception«, jener Film, der eine surreale Gaunerei erzählt: das Einpflanzen eines Gedankens in ein Subjekt. Doch ist es so nicht überhaupt? Ideen kommen von außen, durch Rezeption vermittelt, wie auch deren Fortdenken, als methodischer Ablauf, auf Erfahrung mit der Außenwelt beruht.
Platon wollte die Paradoxie von innen und außen mythisch lösen, im Modell der Anamnesis: Dass wir Begriffe bilden können, verdanke sich dem Umstand, dass wir sie vor der Geburt in reiner Form gesehen haben. Die Frage, wie von außen Aufgenommenes zu innerlich Verankertem werden, man mithin den Eindruck haben kann, dass die eigenen Gedanken ganz die eigenen sind, löst sich durch einen emphatisch postulierten Mythos indessen nicht. Vom erdnäheren Platon-Schüler Aristoteles stammt die Beobachtung, dass die erste Form, in der jeder Mensch lernt, die Nachahmung sei.
Womit der intime Mechanismus des Memes benannt ist, das sich im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte in der Netzkultur etabliert hat. Der Ausdruck kommt vom griechischen Verb »mimeisthai«, das zugehörige Nomen »mimema« bedeutet: das Nachgeahmte. Lange bevor allerdings das Meme als festes Element der Netzkultur identifiziert werden konnte, war es als universelle Protoform beschrieben.
1976 skizzierte Richard Dawkins in »The Selfish Gene« ein Modell, das kulturelle Evolution analog zur biologischen fassen sollte. Er entwickelte das »Mem« (engl. meme) als elementare kulturelle Replikationseinheit analog zur elementaren biologischen Replikationseinheit »Gen« (engl. gene). Unter Mems verstand er nicht nur Inhalte des Denkens: »Ideen, Melodien, Gedanken, Schlagworte, Kleidermoden, die Art, Töpfe zu machen oder Bögen zu bauen«. Sie hausen demnach in Wissenschaft und Theorie, doch auch in den Bildenden Künsten, der Musik, Rhetorik, Erzählkunst, in Handwerk oder Technik. Die für das Meme der Netzkultur typische Verknüpfung von Genres scheint hier bereits angedeutet. Wesentlich an Mems aber ist ihre Fähigkeit, repliziert zu werden, »indem sie von Gehirn zu Gehirn springen durch einen Prozess, den man im weitesten Sinne als Imitation bezeichnen kann«.
Doch jede Nachahmung ist zugleich eine Transformation. Für Dawkins, der das Universelle an Darwins Evolutionsprozess herausstellen wollte, war auch das wichtig, denn wie bei der biologischen Mutation finde beim Übersprung von Mem-Inhalten im Kulturellen eine Mutation statt. Diese Mutation nun, bei Dawkins als unbewusst-kollektive, gesellschaftlich bedingte verstanden, wird in der Netzkultur vorsätzlich. Das Meme unterscheidet sich dadurch vom Mem, dass es ein Medieninhalt ist, der bewusst inszeniert wird, genauer: mit der Absicht, einen Inhalt zu verändern, zu verschieben oder auf den Kopf zu stellen. Dabei treffen fast immer ein visuelles Genre (Bild, Video) und ein Text aufeinander, wobei sowohl das visuelle als auch das textliche Element bereits kulturell tradiert sein können. Die Memekultur operiert mit bekannten Schablonen, erst durch das Aufeinandertreffen von zuvor nicht verbundenen Bild- und Textinhalten entsteht ein überraschend aufplatzender neuer Sinn, der damit zugleich einen ästhetischen (allzumeist humorvollen) Effekt hat.
Grundmuster wären etwa die Übertragung eines sinnhaften Zusammenhangs auf einen anderen (zumeist der aktuellen Lage entnommenen) Fall, Durchkreuzung der Tendenz eines Elements mittels der eines anderen, ironische Selbstinszenierung des Produzenten. Die Memetechnik ist folglich geeignet für Spott, politische oder kulturelle Kritik, Dekonstruktion von Ideologemen, das Aufzeigen doppelter Standards oder ironisches Brechen eigener Marotten. Memes lehren, doch indem sie Performance sind, funktionieren sie nicht didaktisch. Gewissermaßen haben sie sich dem Aphorismus als gestisch-dekonstruierendes Pendant und dem Witz als genreübergreifendes Geschwist beigesellt.
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