Golfkapital am Nil
Von Luca Schäfer
Die Lage ist dramatisch: Mehr als 2.000 Zivilisten sollen in den vergangenen Tagen allein in der norddarfurischen Hauptstadt Al-Fascher massakriert worden sein. Mit Blick auf den gesamten Sudan sprechen die Vereinten Nationen derzeit von der »größten humanitären Krise der Welt«. Im brutalen Machtkampf stehen sich seit 2023 die sudanesischen Streitkräfte SAF unter der Führung des Putschisten und jetzigen Militärmachthabers General Abdel Fattah Al-Burhan und die paramilitärischen Kräfte RSF unter General Mohammed Hamdan Daglo gegenüber.
Der frühere Vize Al-Burhans versucht nun, angesichts der Greueltaten seiner Milizionäre seit der vollständigen Übernahme der rund 300.000 Einwohner zählenden Stadt im Westen des Landes Aktionismus vorzutäuschen. Am Donnerstag ließ er unter anderem den als Abolulu bekannten Feldkommandeur festnehmen, der sich allzu öffentlich seiner Verbrechen gerühmt hatte. In einer Liveübertragung auf Tik Tok gab »Abolulu« zu, Hunderte von Menschen getötet zu haben, und erklärte seine Absicht, diese Zahl auf 2.000 zu erhöhen, wie die Sudan Tribune berichtete.
Hinter den Parteien in diesem »Bürgerkrieg« stehen internationale Financiers und deren jeweilige imperialistische Interessen: Während Al-Burhan umfassend durch die Regionalmacht Ägypten unterstützt wird – erst kürzlich vereinbarten er und Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi, die Zusammenarbeit zu intensivieren –, stehen hinter den RSF die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Beide Seiten pumpen ihre Protegés mit Waffen und Ausrüstung voll. Und auch wenn die VAE jede Unterstützung der Paramilitärs dementieren, sah schon im Januar 2024 ein UN-Expertengremium zum Sudan die Glaubwürdigkeit der Vorwürfe bestätigt. Diese neuen Arten schwerer und hochentwickelter Waffen der RSF hätten »massive Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis im Land«, urteilte das vom Sicherheitsrat eingesetzte Gremium. Die VAE wiederum werden als »wichtiger Verteidigungspartner« von Washington hofiert. Eine Klage seitens der Regierung in Khartum vor dem Internationalen Gerichtshof hatte keinen Erfolg. Den Haag entschied sich gegen den Eilantrag, weil es sich nach erster Prüfung für nicht zuständig befand.
Abu Dhabis Risiko folgt Kalkül: Seit Jahren ist man der wichtigste Abnehmer sudanesischen Goldes, dessen sich sowohl die SAF als auch die RSF bemächtigen. Das Edelmetall ist neben Erdöl das wichtigste Exportgut des Sudan, das Land der drittgrößte Produzent des Kontinents. Der größte Teil wird jedoch außer Landes geschmuggelt, die RSF haben ihre Kontrolle über die Goldfördergebiete in Darfur konsolidiert und können damit Waffen und Logistik finanzieren.
Doch neben dem Zugriff auf Ressourcen strebt der Golfstaat langfristig an, über die eigene Bedarfsdeckung hinaus die Ernährungssicherheit in der Region zu dominieren. Im Fokus: die Häfen entlang der Küste des Roten Meeres. Staatsfonds und Konzerne wie IHC, Jenaan oder der Abu Dhabi Development Fund investieren seit Jahren immense Summen in Agrarprojekte, kaufen Hunderttausende Hektar Land zusammen und sichern Landpachtverträge mit dem Ziel der Produktion von Futter- und Nahrungsmitteln ab.
Bis 2020 sollen allein aus emiratischen Quellen sechs Milliarden US-Dollar in Wirtschaftsprojekte und Lieferkettenlogistik geflossen sein. Die teilweise bis zur im Jahr 2003 ratifizierten Etablierung einer Freihandelszone zwischen beiden Staaten zurückreichenden Kooperationen werden staatsoffiziell als Teil einer bewussten Food-Security-Strategie 2051 präsentiert. 80 Prozent der in den Emiraten verbrauchten oder verarbeiteten Lebensmittel stammen aus dem Land am Nil.
Das verstärkte Eingreifen im Sudan ergibt sich auch aus regionalen Einflussverlusten: So zogen sich die VAE am Ende des Jemen-Kriegs 2021 von der Militärbasis Assab zurück, die sie für 30 Jahre von Eritrea gepachtet hatten, 2018 hatten sie bereits die Konzession zum Betrieb des Doraleh-Terminals, eines bedeutenden Hafens in Dschibuti, verloren. Nur durch umfassende Investitionen konnte der Hafen von Berbera, der sich im abtrünnigen Somaliland befindet, als zentraler Logistikhub am Horn von Afrika erhalten werden. Dies belastete wiederum die Beziehungen zu Mogadischu. Die Wirtschafts- und Militärpolitik der Emirate gehen in der Region zum Zweck des Kapitalexports Hand in Hand und dienen einer langfristig expansiven Strategie – so breiten sich Einfluss wie Akkumulationsregime hinter den Kriegsverbrechen der RSF aus.
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