Im Dienste der Aufrüstung
Von Dieter Reinisch, Brüssel
In der kommenden Funktionsperiode sei es die Aufgabe des Ausschusses, den Menschen zu erklären, wieso die Aufrüstung der EU notwendig sei: »Wenn die Menschen wissen, was sie verteidigen, dann werden sie es auch verstehen«, erklärte Séamus Boland auf der Pressekonferenz am 22. Oktober im Europäischen Parlament in Brüssel. Zuvor wurde Boland zum 35. Präsidenten des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) gewählt. Der Ire steht in den kommenden fünf Jahren einem der ältesten EU-Gremien vor: Im EWSA sind Unternehmerverbände, Gewerkschaften und Zivilgesellschaften vertreten. Es ist die EU-Variante der Sozialpartnerschaft.
Sein Programm ziele darauf ab, »durch Armutsbekämpfung Chancen zu schaffen (…) und den Übergang zu einer wettbewerbsfähigeren und grüneren Wirtschaft so zu gestalten, dass niemand zurückgelassen wird«, heißt es. Von Bekämpfung der Erwerbslosigkeit und des Mangels an Wohnraum in der EU war aber weder in der Pressekonferenz noch in seiner Antrittsrede am Donnerstag viel zu vernehmen: »20 Prozent der Bevölkerung der EU sind von Armut betroffen oder gefährdet«, erklärte er. Dies möchte er ändern. Von konkreten Schritten, wie sowohl die Armut als auch die Wohnungskrise angegangen werden soll, findet sich in seinem Programm, das den anwesenden Medien ausgehändigt wurde, aber nichts.
Konkreter formulierte er da seine Positionen zum Krieg in der Ukraine und dem Verhältnis der EU zu Russland. Seine erste Reise als neuer EWSA-Präsident werde ihn ins Baltikum führen: »Ein deutliches Zeichen, dass wir unsere Mitgliedsländer unterstützen.« Unterstützung müsse es auch für die Ukraine geben. Daher sei er für die milliardenschweren Rüstungsausgaben, die die EU im Rahmen von »Renewal 2030« beschlossen hat. Nur wenige Tage vor seiner Wahl kam es zu einer politischen Einigung über das Programm für die europäische Verteidigungsindustrie. Die EU-Kommission bezeichnete es in einer Presseaussendung unter anderem als »ein wichtiges Instrument zur Unterstützung der gemeinsamen Beschaffung und des industriellen Ausbaus sowie zur Umsetzung des Fahrplans für die Verteidigungsbereitschaft 2030«. Darin enthalten sind weitere 1,5 Milliarden Euro für die Verteidigungsindustrie. Mit dem Geld sollen in den kommenden drei Jahren die Industrialisierung von Verteidigungsgütern, der Ausbau der Industrie, Unterstützung für europäische Lieferketten und kleine und mittelständische Unternehmen sowie die Entwicklung der technologischen und industriellen Basis der Verteidigung der Ukraine finanziert werden, gab die Kommission bekannt.
Der EWSA ist zwar ein reines Beratungsgremium für Kommission und Parlament. Aufgrund seiner Zusammensetzung ist er auch ein Sprachrohr der europäischen Gewerkschaften. Er müsste daher eine gewisse Rolle bei der Verteidigung von Sozialleistungen und Arbeitsrechten in der EU übernehmen. Doch auf die Frage eines osteuropäischen Kollegen, wie Boland garantieren will, dass die Gelder für die Rüstungsausgaben nicht aus den Budgets für Soziales und Bildung genommen werden, entgegnete der neue Präsident: »Rüstungsindustrie würde die europäische Wirtschaft ankurbeln und sich dadurch im besten Fall selbst finanzieren.«
Das scheint auch der Plan der Kommission zu sein: Auf Grundlage einer »Vorgabe zu Verteidigungsgütern aus EU-Produktion, wonach mindestens 65 Prozent der Bestandteile der finanzierten Projekte aus der EU oder aus assoziierten Ländern stammen müssen« soll sichergestellt werden, dass die Ausgaben »in erster Linie die Verteidigungsindustrie der Union unterstützen«.
Tritt dieser »beste Fall« nicht ein, dann sei seine zentrale Aufgabe in den kommenden Jahren, die Sozialkürzungen »den Menschen zu erklären, damit sie es auch verstehen und sich nicht von Europa abwenden«, erklärte Boland der versammelten Presse. Anstelle Verteidigung sozialer Rechte sieht der Sozialausschuss seine Aufgabe also darin, Kürzungen von Sozialleistungen gegenüber den Betroffenen zu rechtfertigen.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
Screenshot: euvsdisinfo.eu01.10.2025Schmutzige Bomben
Anna Jörke/jW15.08.2025»Für EU-Staaten hat Frieden keine Priorität«
Christian Charisius/dpa13.06.2025Ein bisschen Frieden
Mehr aus: Betrieb & Gewerkschaft
-
Die die 13. Monatsrente durchsetzte
vom 30.10.2025