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Aus: Ausgabe vom 30.10.2025, Seite 14 / Leserbriefe

Aus Leserbriefen an die Redaktion

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Demokratietheorie mit Reul

Zu jW vom 13.10.: »Zitat des Tages«

Es wäre auch »mal schön«, wenn Herbert Reul zu verstehen versucht, dass es große Demonstrationen »für den Rechtsstaat« oder für die – wie »toll« auch immer ausmalbare – Demokratie längst gab: als unter Federführung eben jenes Herrn Reul noch mit FDP-Schützenhilfe im Kabinett eines gewissen Armin Laschet sowohl das Polizei- und Ordnungsrecht als auch das Versammlungsrecht in Teilen zerstört, zumindest undemokratisch und obrigkeitsorientiert alles andere als »toll« beschnitten wurde. Die Vorgängermodelle tragen noch wahrnehmbare Elemente der erforderlichen Austarierung zwischen den Rechten des Individuums und der Allgemeinheit und damit den Prägestempel einer in NRW lange Zeit einflussreichen SPD. Deren einstiges Moment des Ausgleichs bezog sich einst durchaus auch auf andere örtliche Ebenen und auch auf andere als nur formale Kontexte. Stichwörter: Ausgleich Ost–West (Bundesebene, Brandt, Bahr), Ausgleich Nord–Süd (global, Brandt, Palme/SAP), Ausgleich sogar im Konfliktherd Nahost (Kreisky/SPÖ, auch die nordischen Sozialdemokraten), aber auch Ausgleich im »rheinisch-­danubischen Klassenkompromiss« (BRD vor »Vereinigung«, Österreich noch Jahre danach).

Mit dem Aspekt der Notwendigkeit der Teilhabe, auch der Prozessualität und konkreter Erscheinungsformen von Demokratie gelangen wir allerdings über das Formale hinaus und müssen in wenigstens so meinungsoffene Debatte treten wie in den 1970er Jahren, damit Demokratie erlebbar, womöglich gar »toll« werden könnte. Reul fehlen die intellektuellen Kompetenzen sowohl für solch eine faktische Demokratie als auch – siehe seine Gesetzgebung – für eine formale. Nicht umsonst waren auf den Großdemonstrationen gegen die Reulisierung von NRW – einmal in Köln, zweimal in Düsseldorf – auch sehr viele Juristen wahrnehmbar vertreten, die wohl im Unterschied zum »Rechts-Empfinden« eines Reul angemessenere Rechtsauffassungen oder -verständnisse hatten.

Es ist traurig, dass sich gerade die SPD schleichend vom für sie typischen und im Zusammenspiel mit sonstigen Kräften wichtigen Ausgleichsmoment verabschiedete (in NRW mit ­Clement statt Rau, im Bund seit Schröder, aber auch schon bei GG-Klitterung der früheren 1990er, als es um Grundrecht auf Asyl oder den Fortbestand der Staatsbahnen DB und DR ging). (…)

Bernhard May, Wuppertal

»Dann stehe ich auch dazu«

Zu jW vom 25.10.: »›Es waren notwendige ­Versuche‹«

Danke für das Interview mit Brigitte Asdonk über den nachvollziehbaren Aufbau bewaffneter Gruppen. »Wir lehnen Gewalt ab, aber sagen, dass es legitim ist, sich zu bewaffnen, um überhaupt gegen die herrschende Gewalt anzukommen.« Sind das nicht auch die Erfahrungen aus den großen Revolutionen in Frankreich und Russland, aus den Befreiungsbewegungen vom Bauernkrieg an über China, Chile und aus allen Erdteilen? Wieviel Mut gehört dazu! Wieviel psychische Kraft, einen langen Knast, der an Hexenverfolgung und Faschismus erinnert, durchzustehen! Wir hatten es in der DDR einfacher, anhand von Marx, Engels, Lenin und unserer Kulturlandschaft politische und humanistische Bildung zu erwerben.

Bei wie vielen oder wenigen blieb davon was hängen? Wie viele Wendehälse umgeben uns? Die »gut eingerichteten Wohnungen« halte ich nicht für die Ursache des Abwendens der meisten 68er von der APO, es ist eine Frage des Charakters und des Wissens. Habe ich begriffen, wie eine Gesellschaft funktioniert und dass sie verändert werden muss, dann stehe ich auch dazu. Heute würden wir erst recht scheitern, weil die Massenverdummung umfassend geworden ist. Wir werden nicht umhinkommen, uns Gedanken zu machen, auf welchem Wege wir zu einer gerechten Gesellschaft gelangen, wie diese aussehen soll, wie wir die Eigentumsverhältnisse umstürzen, wie wir Wissen verbreiten können.

Die Partei Die Linke hat es dreieinhalb Jahrzehnte verschlafen, ein entsprechendes Konzept zu erarbeiten; vom bürgerlichen BSW mit seinem Kapitalismusverbesserungsprogramm erwarte ich ebenso nichts; die DKP mit ihrem konsequenten Programm ist wohl zu klein, vielleicht zu zerstritten und unterwandert; die KPD? Es gibt Friedensbewegungen und viele kleine Gruppen, massenhaft kluge Publikationen, aber keine klare politische Führung durch eine marxistische Organisation, keine politische Arbeit im »Volk«. Wir, die »Alten«, die sich zu politischen Gesprächen treffen, werden uns nicht mehr bewaffnen, wir können nur noch unseren Geist liefern.

Martina Dost, Vierlinden

»Voll im Trend«

Zu jW vom 22.10.: »China plant die Zukunft«

Mit den am 20. Oktober begonnenen Beratungen zum neuen Fünfjahresplan 2026–2030 wird China wirtschaftlich weiter gut unterwegs sein. Negativwirkungen aus absehbaren Sanktionskriegen sollten mit der Stärkung der chinesischen Inlandsproduktion (Importablösung) begegnet werden. Schädliche Konsequenzen aus zeitweiliger Überproduktion (Wohnungs- und Bürobauten) oder dem internen Preiswettbewerb lassen sich mit der besseren Planung und Bilanzierung vermeiden. Die vorgesehene Weiterentwicklung der Technologie wird die Arbeitsproduktivität in Chinas Wirtschaft erhöhen. Das liegt voll im Trend der weltweiten Technorevolution. Im Gegensatz zur Koalitionsregierung unter Kanzler Merz und Finanzminister Klingbeil stehen in Beijing keine Konzepte zur Erhöhung der Kriegstüchtigkeit des Landes zur Beratung auf der Tagesordnung.

Günter Buhlke, Berlin

Im Gegensatz zur Koalitionsregierung unter Kanzler Merz und Finanzminister Klingbeil stehen in Beijing keine Konzepte zur Erhöhung der Kriegstüchtigkeit des Landes zur Beratung auf der Tagesordnung.

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